Gewalt, Gesundheit und Logik

25. Juli 2012


Es geht noch mal um die rituelle Beschneidung. „Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein“, schreiben Mediziner und Juristen dazu in der FAZ. Gleichzeitig schreiben sie: „Wir setzen uns ein für eine Versachlichung der Diskussion.“ Nur, um dann noch einmal zu betonen, dass „Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein [kann]“.

Mir erschließt sich zwar nicht ganz, was der Vorwurf, die rituelle Beschneidung (nur die ist mal wieder gemeint, soweit ihre Praxis eben aus der Religionsfreiheit resultiert) sei Elterngewalt am unschuldigen Kinde, dem „durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird“, mit einer Versachlichung der Diskussion zu tun haben soll, aber mir muss sich ja auch nicht immer alles erschließen. Eigenartig finde ich allerdings schon, dass Mediziner und Juristen zwar Offene Briefe an die FAZ schreiben können, dabei auf die Beachtung der „wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlage“ pochen (und damit nebenbei unterstellen, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages hätten diese bislang ignoriert) sowie – bringt immer Punkte! – auf die Berücksichtigung von „Erkenntnissen der Hirn- und Präventionsforschung“, dass sie aber offenbar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht kennen. Diese verbucht nämlich Beschneidungen bei Jungen nicht unter „Gewalt“, sondern unter „Gesundheit“, mit der Folge, dass dort, wo man die WHO kennt, der Anteil der beschnittenen Jungen hoch ist. In den USA wurde 2005 bei mehr als der Hälfte aller männlichen Neugeborenen eine Beschneidung durchgeführt, die meisten von diesen sind Christenkinder. Was jetzt? „Gesundheitsvorsorge kann kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein!“ So was in der Art? In Südkorea gibt es praktisch keine Juden und Moslems und dennoch sind 80 Prozent der Männer beschnitten. Was jetzt?

Dass die Mediziner die WHO nicht kennen, lasse ich ja noch gelten, dass aber die Juristen die Religionsfreiheit nur negativ belegen und gar nicht auf die Idee kommen, dass die Beschneidung im Judentum der positiven Religionsfreiheit von Eltern und Kindern dient, stimmt mich schon nachdenklich.

Und mit der Logik haben sie es beide nicht, der Mediziner und der Jurist: „Der schwerwiegende Vorwurf jedoch – unter assoziativem Verweis auf den Holocaust – durch ein Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde ,jüdisches Leben in Deutschland’ unmöglich werden, ist für Vertreter des Kinderschutzgedankens nicht hinnehmbar.“ Das ist schön und gut, bloß: Wenn die „rituelle Jungenbeschneidung“ nun mal wesentlicher Bestandteil des „jüdischen Lebens“ ist und jene „in Deutschland unmöglich werden“ soll, auch aufgrund der vorgetragenen Bedenken von „Vertretern des Kinderschutzgedankens“, dann steht im Ergebnis nun mal, dass „jüdisches Leben in Deutschland unmöglich“ wird. Und eben nicht „hinduistisches Leben“ und auch nicht „in Spanien“. Man kann nicht die Einnahme von Wasser verbieten und sich anschließen darüber wundern, dass Menschen verdursten, obgleich man das doch gar nicht wollte. Wer die körperliche Unversehrtheit des Kindes so hoch ansetzt, dass sie über der Beschneidungspraxis steht, der muss auch so konsequent sein, sie über „jüdisches Leben in Deutschland“ zu stellen. Alles andere ist unredlich.

(Josef Bordat)

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