Das Kripo-Krippenspiel
4. Dezember 2012
Die Weihnachtsgeschichte in der Kriminalspielfassung
Musik: die Erkennungsmelodien diverser Serien zu einem bizarren Klangereignis abgemischt. Allmählich wird die Musik leiser. Man sieht einen verlassenen Stall in der Wüste. Der Wind wirbelt Sand auf. Man hört Schafe blöken. Sonst ist alles ruhig, kein Mensch weit und breit. Die Mittagshitze hat alles in den Schatten der umliegenden Häuser getrieben. Plötzlich durchbricht eine Frauenstimme die Szenerie: „Schalupke! Essen!“
Schnitt.
1. Szene: Engel und Hirte
Die Skyline von Tel Aviv. In einem modernen Bürogebäude öffnet sich die Aufzugtür und ein etwas ungepflegter, aber sympathisch wirkender Hirte in zerschlissenen Jeans und Lederjacke, dem man seine 83 Jahre nicht ansieht, steigt schwungvoll aus, winkt der Sekretärin fröhlich zu und geht zielsicher Richtung Schreibtisch von Rechtsanwalt Dr. Engel.
Engel: Hirte. Ich grüße Dich!
Hirte: Hallo Engel!
Engel: Hör zu, Hirte!
Hirte: Bin ganz Ohr!
Engel: In Bethlehem ist uns ein Retter geboren.
Hirte: Das klingt nach einem neuen Auftrag. Trifft sich gut: Ich bin in letzter Zeit etwas knapp bei Kasse…. (grinst breit und schaut Engel erwartungsvoll an)
Engel (die Augen verdrehend): Schon verstanden… Hier. (reicht ihm einen Umschlag)
Hirte (deutet leichte Verneigung an): Die Firma dankt!
Engel (wieder ganz bei der Sache): Er liegt in einer Krippe, in einem Stall. Überprüf‘ das bitte!
Hirte: Wird erledigt.
Engel: Ach, so – noch etwas: Möglichst heute. Es eilt!
Hirte (tippt sich an die Stirn): Bin schon unterwegs!
Hirte macht sich auf den Weg, Engel schaut ihm kopfschüttelnd, aber zufrieden hinterher.
Schnitt.
2. Szene: Maria und Josef auf Herbergssuche
Ein Paar mit einem Esel. Der Mann sitzt bequem auf dem Esel, der gemütlich einen Wüstenweg entlang trabt, die Frau, wesentlich jünger als der Mann und offensichtlich hochschwanger, schlurft unter Schmerzen hinterher.
Josef (besorgt): Wie geht es dir, Maria?
Maria (stöhnt): Ich glaube, bald ist es soweit!
Josef (hebt den Zeigefinger der rechten Hand): Dann suchen wir jetzt eine Herberge.
Maria (erleichtert): Du meinst: Eine Herberge für heute Nacht, Josef?
Josef: Ja. Für heute Nacht, Maria!
Maria (richtig erleichtert): Damit ich das Kind in einigermaßen annehmbaren Verhältnissen zur Welt bringen kann, in einem Bett mit Federkernmatratze und nicht in einem… Stall?
Josef (väterlich): Ja, Maria, das meine ich.
Maria und Josef kommen zur Herberge. Josef steigt vom Esel, bindet ihn fest und geht zur Tür. Maria folgt ihm. Josef klopft an die Tür, auf der gut leserlich „Herberge“ steht. Trotzdem wird der Schriftzug noch einmal in Großaufnahme gezeigt. Die Haushälterin öffnet.
Josef: Grüß Gott.
Haushälterin (unsicher): Ja, bitte?
Josef: Mein Name ist Josef. Ich bin aus dem Hause Davids. Das ist Maria (sie nickt). Wir haben eine Frage.
Haushälterin (noch unsicherer): Eine Frage?
Josef: Hören Sie, wir hätte gerne den Inhaber dieser Herberge gesprochen.
Haushälterin (noch viel unsicherer): Den Inhaber?
Maria (mit leicht schiefliegendem Kopf): Ja, den Inhaber.
Der Inhaber, ein gutaussehender, sehr gepflegter, aber dennoch (oder gerade deshalb) etwas schmieriger Geschäftsmann kommt just in diesem Moment dynamischen Schrittes eine Wendeltreppe heruntergelaufen. Er trägt einen dunkelblauen Anzug mit geblümtem Einstecktuch. Im Eingangsbereich angelangt, bedeutet er der Haushälterin mit einer einfachen Handbewegung, sich zurückzuziehen. Sie verschwindet, ängstlich auf Josef blickend, der ihre Angst aufmerksam registriert.
Inhaber (schleimig): Sie möchten den Inhaber sprechen?
Josef: Ja. (Pause) Sind Sie (Pause) der Inhaber?
Inhaber: Ja, das bin ich. Und Sie? (er hebt die rechte Hand) Halt, warten Sie. (mit gespielter Scham) Ich habe… gelauscht. Ich weiß: Das macht man nicht. (er lacht – Josef lächelt breit zurück, man merkt ihm aber an, dass ihm der Inhaber höchst unsympathisch ist und er ihn für den Hauptverdächtigen hält, in welcher Sache auch immer) Habe ich das richtig verstanden: Aus dem Hause Davids kommen Sie?
Josef (immer noch lächelnd): Ja, aus dem Hause Davids.
Inhaber (mit gespielter Lockerheit): Habe ich… meinen Wagen… falsch geparkt? (lacht dämlich)
Josef (lachend): Nein, nein. (plötzlich todernst) Wir haben nur eine Frage: Können wir hereinkommen?
Inhaber (mit urplötzlich versteinerter Miene): Hereinkommen?
Josef (nun ist es an ihm, mit gespielter Lässigkeit zu lächeln, und er genießt es sichtlich): Ja, hereinkommen! (dreht sich lächelnd zu Maria um)
Maria (sehr bestimmt): Ja, was ist nun?
Inhaber (immer noch mit versteinerter Miene): Das geht nicht. Wir sind voll. Meine Haushälterin kann das bestätigen. (halblaut) Anna!
Es erscheint die völlig verschüchterte Haushälterin, der auch ein nur mäßig aufmerksamer Zuschauer, der – sagen wir mal – nebenbei seine Dissertation schreibt, anmerken kann, dass sie vom Inhaber unter Druck gesetzt wird.
Inhaber (mit zusammengepressten Lippen): Sag dem Herrn und der Dame, dass wir voll sind. (sich zu ihr wendend) Sind wir doch, oder?
Haushälterin (zu Josef, total verunsichert): Sie… haben es ja… gehört.
Josef (in sehr, sehr freundlichem Ton, unter wohlwollender Berücksichtigung des sozioökonomisch zementierten Opferstatus‘ der Haushälterin): Ich würde es aber gerne von Ihnen hören, Anna!
Haushälterin (sucht den Kontakt zum Inhaber, hält seinem eisigen Blick aus zusammengekniffenen Augen aber nicht lange stand): Wir sind… voll. (Josef traurig, fasst flehentlich anblickend) Es tut mir Leid.
Josef (mit warmherziger Freundlichkeit): Das muss es nicht, Anna. (zum Inhaber) Tja, da kann man nichts machen, was? (auf seine Reaktion wartend, doch der Inhaber bleibt wie versteinert stehen) Komm, Maria – wir gehen. (nicht unzufrieden, weil er gesehen hat, was er sehen wollte) Guten Tag.
Maria (blickt Josef mit leicht schiefliegendem Kopf etwas überrascht an, dann zu Anna und dem Inhaber, die beide nochmal in Großaufnahme ins Bild kommen): Guten Tag.
Maria und Josef gehen weg. Maria hat die Gelegenheit genutzt, sich auf den Esel zu setzen. Der Inhaber blickt ihnen selbstzufrieden nach, geht dann zum Telefon, wählt eine Nummer und sagt: „Schalupke? – Ja. – Sie waren da. – Ja. – Aus dem Hause Davids. – Ja, Du hast richtig gehört: Haus David. – Ja. – Es könnte sein, dass sie auch zu Dir kommen. – Ja. – In den Stall mit der Krippe, Du hast ganz richtig verstanden. – Ja. – Wir bleiben dabei: Voll! – Gut. – Ich werde dafür sorgen, dass sie schweigt. Verlass‘ dich drauf.“ Langsam legt er den Hörer auf die Gabel, eine Großaufnahme zeigt ein versteinertes Gesicht mit einem starren Blick aus eiskalten Augen. Sein Blick geht allmählich die Wendeltreppe hinauf, zu Anna, die oben Betten macht. Entschlossen geht der Inhaber der Herberge die ersten Stufen hinauf…
Maria (aufgeregt): Sie hat uns nicht die Wahrheit gesagt, Josef! Vor irgendetwas hatte sie Angst!
Josef (nachdenklich, fast abwesend): Schon möglich, Maria.
Maria (aufmerksam): Was denkst Du, Josef?
Josef (immer noch wie in Trance): Ich weiß nicht, Maria. Ich denke, er hat die Nachbarin getötet und wollte nicht, dass wir die Leiche finden, die immer noch in der Garage liegt. Anna hat ihn wahrscheinlich dabei beobachtet, wie er das Blut weggewischt hat und… (plötzlich hellt sich sein Gesicht auf) Schalupke hat ihm dabei geholfen!
Maria (aufgeregt): Du meinst, Schalupke hat ihm dabei geholfen?
Josef (jetzt absolut überzeugt): Ja, Maria. Das meine ich nicht nur, das weiß ich! (Pause) Ich bin absolut sicher, verstehst Du?!
Maria (aufgeregt): Dann gehen wir jetzt zu Schalupke und nehmen ihn fest! (stolz) Er hat einen Stall mit Krippe in Bethlehem, nicht weit von hier.
Josef (sehr zufrieden): Komm, Maria.
Maria (begeistert): Ich reite schon mal den Esel vor. (braust davon, Josef bleibt in einer Staubwolke zurück)
Josef (man hört nur seine Stimme, er selbst ist kaum sichtbar): Manchmal hasse ich meinen Beruf!
Schnitt.
3. Szene: Drei Könige folgen einem Stern
Mitten in der Wüste stehen drei Männer zusammen. Zwei von ihnen tragen Königsgewänder, einer trägt Jeans und eine hellbeige Jacke.
Kaspar (aggressiv): Mensch, Balthasar, nu sach do auma watt! Scheiße, Mann!
Melchior (vorwurfsvoll-väterlich): Kaspar, wir hatten doch alles besprochen! Ich kann nicht verstehen, weshalb Du…
Balthasar: Die Kaschpa hat chlechte Laune!
Kaspar (aggressiv): Ach, is doch Quatsch, Baltha. (zu Melchior) Wir latschen nu schon seit Wochen durch diese (sucht nach treffendem Wort) diese… Scheiße! Ohne jede Spur!
Melchior (um Versachlichung bemüht): Das ist nicht ganz richtig, Kaspar. Immerhin haben wir den Stern! (deutet gen Himmel)
Kaspar (grinst erst, beginnt dann zu kichern; das Kichern steigert sich nach und nach in sarkastisches Hohngelächter hinein): Stern, was? (stößt Balthasar in die Rippen, der kurz zusammenzuckt) Stern. (es klingt resignativ)
Melchior (trotzig): Ja: „Stern“!
Kaspar (plötzlich wieder aggressiv): Mann, Melchior, hör doch auf mit der Scheiße!
Melchior (lauter werdend): Nicht in diesem Ton, Kaspar! Nicht in diesem Ton!
Balthasar: Die Kaschpa hat chlechte Laune!
Kaspar: Och, Mensch. Du jetzt auch noch, Baltha! (beleidigt) Ihr könnt mich mal, wisst ihr das?!
Melchior (wieder ruhig und sachlich): Das wissen wir, Kaspar! Können wir nun weitergehen?
Kaspar (geht kopfschüttelnd weiter): Mann, Mann, Mann, Du! „Stern“!
Balthasar: Die Kaschpa hat chlechte Laune!
Melchior (kollegial): Komm, weiter, Balthasar.
Sie gehen hinter Kaspar her, der sich plötzlich und unvermittelt umdreht und mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf Melchior deutet.
Kaspar (laut): Aber eins, das schwör‘ ich Dir, Du…!
Melchior (so souverän wie möglich): Was?
Kaspar (lauter): Wenn wir jemals in diesem Bettsalami…
Balthasar: Bethlehem.
Kaspar (noch lauter): Dann, dann…
Melchior (noch souveräner als möglich): Was: „dann“?
Kaspar (geradezu melancholisch): Ach, leck mich doch am Arsch, Mensch! (tief in sich gekehrt, leise) Scheiße!
Balthasar: Die Kaschpa hat…!
Melchior (bestimmt): Ruhe jetzt!
Die drei Männer gehen weiter Richtung Bethlehem.
Schnitt.
Bethlehem aus der Totalen. Im Zeitraffer erfährt man die Lösung des Falles: Maria und Josef sind bereits angekommen, ebenso wie der Hirte, der zwischenzeitlich Anna aus den Klauen des windigen Herbergsinhabers gerettet hat; diesen hat er kurz darauf der Kriminalpolizei übergeben, die zähneknirschend zugeben muss, dass ein Hirte und ein Rechtsanwalt ihr in Sachen Ermittlungsarbeit weit überlegen sind. Schalupke wurde von Josef verhaftet, nachdem er mit Schalupkes Frau essen gegangen war. Maria hat ihr Kind in Schalupkes nunmehr vakantem Stall geboren und in die dort stehende Krippe gelegt.
Schnitt.
Der Stall aus der Anfangsszene, nun in strahlend helles Licht getaucht. Rundherum ist es dunkel: es ist Nacht. Man erkennt Menschen. Maria, Josef, das Jesuskind, den Hirten, eine Reihe von Kriminalkommissaren und Männer in weißen Schutzanzügen, die den Stall auf Spuren untersuchen. Man sieht alles aus der gleichen Einstellung wie zu Beginn. Doch nun wirkt die Szenerie einladend, fast gemütlich. Alles scheint friedlich und glücklich. Dr. Engels Mercedes fährt vor. Er steigt aus, macht ein paar Schritte Richtung Krippe, bleibt jedoch in Respektsabstand stehen. Er wirkt zufrieden.
Langsam fährt die Kamera nach oben aus der Szene heraus und nimmt den Stall aus der Totalen in den Blick. Rechts neben dem Stall kommt eine bisher nicht zu sehende Imbissbude zum Vorschein, davor Stehtische. An einem der Stehtische trinken zwei Männer Bier und essen Bratwurst. Einer von ihnen, ein kleiner Dicker, hebt sein leeres Glas und dreht sich ein wenig in Richtung Imbisswirt. – „Machse noma zwei Kölsch, Herodes?!“
Abspann.
Einblendung: „Die drei Könige erreichen Bethlehem vierzehn Tage später, weil der Stern sie über Duisburg leitet.“
Ende.
(Josef Bordat)