Buch der Woche (3)
28. Februar 2014
Mich erreichten in den letzten Wochen und Monaten sehr viele Bücher zur Besprechung. Leider finde ich nicht immer die Zeit, diese mit der gebührenden Sorgfalt durchzuarbeiten, um sie fair rezensieren und so zu einem fundierten Urteil kommen zu können. Dennoch erscheinen mir einige der Bücher nach kurzer Durchsicht empfehlenswert, so dass ich sie hier in Jobo72’s Weblog nach und nach kurz vorstellen möchte. Dafür gibt es nun die Rubrik „Buch der Woche“.
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Das Buch, das ich heute vorstellen möchte, hat mich in seiner Intention und Anlage sehr an die These des Soziologen Zygmunt Baumans erinnert, die Shoa sei kein Rückfall in die Barbarei, sondern ein Ausdruck der Moderne. Markus von Hänsel-Hohenhausen fasst es ähnlich und behauptet einen Kausalkonnex von Aufklärung und Nationalsozialismus. Während Bauman meint, dass „[d]er Holocaust [..] inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt [wurde], in einer hochentwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen: er muß daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.“, so ist von Hänsel-Hohenhausen der Ansicht, dass es „möglich sein [sollte], den Nationalsozialismus auf seine Verbindung zur Aufklärung hin zu betrachten und vorbehaltlos alle Fragen zu stellen, auch wenn sie das moderne, szientistische, aufgeklärte Menschenbild verunsichern.“
Markus von Hänsel-Hohenhausen leistet mit diesem interessanten Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die Aufklärung, die er nicht „an sich“ kritisieren will, sondern bloß insoweit sie auf eine „Entspiritualisierung“ ausgerichtet gewesen ist und dabei ein „Mythenverbot“ verhängt habe. Zugleich habe die „aufklärerische Selbstermächtigung“ den (Rechts-)Positivismus hervorgebracht und das Naturrecht negiert. Darauf konnte Hitler seinen totalen Staat errichten, weil zuvor dem Menschen die Möglichkeit einer kritischen Distanz zu sich selbst genommen worden war, wie sie etwa in der Transzendenzorientierung der Religion angelegt ist, aber auch im Gewissen eine Rolle spielt, wenn der mit instrumenteller Vernunft identifizierte „Sachzwang“ einer materialistischen Weltanschauung auf dem Hintergrund einer höheren Wertsphäre nicht mehr „alternativlos“ erscheint.
Mit der kenntnisreichen Analyse des Zusammenhangs von Aufklärung und Nationalsozialismus widerspricht von Hänsel-Hohenhausen schließlich auch denen, die den zeitweiligen Erfolg des Nationalsozialismus‘ aus seiner angeblichen Religiosität erklären wollen, die damit aber nur den kläglichen Versuch der Regimes, sich selbst in quasireligiösem Duktus zu überhöhen, nachträglich adeln. Doch nicht nur begrifflich, sondern auch faktisch kritisiert von Hänsel-Hohenhausen ein auf die Nazis zurechtgebogenes Religionskonzept, denn Hitler herrschte nicht, so der Verfasser, mit den Mitteln der „politischen Religion“, sondern mit einer kühlen Rationalität, die als methodologisches Erbe der Aufklärung „im Nationalsozialismus in besonderer Reinheit und Menschenverachtung ausgeprägt“ war. Ich komme leider nicht umhin, dem Verfasser, der stilistisch anspruchsvoll und dennoch flüssig lesbar schreibt, über weite Strecken der Lektüre beizupflichten. Leider deshalb, weil aus der Quintessenz des Textes folgt, dass die Gefahr eines neuerlichen Totalitarismus‘ im Gewande der aufgeklärten Vernunft eingedenk der materialistischen Grundorientierung und einer zum ethischen Relativismus abgerutschten autonomen Selbstgesetzgebung heute weitaus größer ist als gemeinhin angenommen.
Bibliographische Daten:
Markus von Hänsel-Hohenhausen: Hitler und die Aufklärung. Der philosophische Ort des Dritten Reiches. Beitrag zur Theorie der modernen Despotien und zum Mythos der politischen Religion.
Frankfurt a.M.: Cornelia Goethe Akademie im Verlag der Brentano-Gesellschaft (2013).
124 Seiten, € 28,00.
ISBN 978-3933800398.
(Josef Bordat)