Nachdenken über die Hölle
28. März 2014
Zum Tode des katholischen Religionsphilosophen Eugen Biser
In der Nacht vom 24. auf den 25. März verstarb der bedeutende Theologe und Religionsphilosoph Eugen Biser in seinem 97. Lebensjahr. In einem Nachruf für die Badische Zeitung erinnert Gerhard Kiefer an das lange, bewegte Leben und das umfangreiche Werk des Gelehrten, der mehr als 150 Bücher und mehr als 1000 Aufsätze schrieb. Sein theologisches Programm lässt sich zu der Formel verdichten: Frohbotschaft statt Drohbotschaft. Dass es wirklich eine Lebensaufgabe sein kann, den Menschen die Angst vor Gott zu nehmen, ist heute kaum noch nachvollziehbar, heute, in einer Zeit der Selbstüberhebung des Menschen und der allgemeinen Respektlosigkeit dem gegenüber, was (anderen Menschen) heilig ist. Dennoch: Wer 1938 Theologie studierte und 1946 zum Priester geweiht wurde, kennt noch den pädagogischen Einsatz der Hölle, kennt noch den strafenden Gott, der in der Pastoral wie ein himmlischer Tyrann behandelt wird.
Klar ist unterdessen: Es muss die Hölle geben. Wenn es die absolute Gottesnähe gibt, die Vollendung in Gott, von der das Christentum wesentlich handelt, dann muss es auch das Gegenteil geben, die absolute Gottferne. Und genau das ist die Hölle. Dabei verhält es sich aber so, dass Tyrannei und Hölle sich ausschließen, dass die Hölle gerade auf die Liebe Gottes zurückzuführen ist. Gott zwingt keinen Menschen in Seine Nähe. Er steht fest an einer Stelle und überlässt die Entscheidung über die Größe der Distanz dem Menschen. Denn es soll Gott selbst nach Seiner Liebe nicht möglich sein, einem Menschen, der freiwillig von Ihm Abstand nimmt und freiwillig auf das Heil verzichtet, dieses Heil zu verschaffen, weil das dem Menschen die Freiheit nähme. Wir mögen uns Gott traurig vorstellen angesichts dieses Umstands, doch diese Trauer durch eine Macht zu überwinden, die auch nur für einen Augenblick die Liebe ausblendet, kommt für Gott nicht in Frage, ist nicht Gottes Wille. Gott will das Heil für jeden Menschen, will jeden Menschen eng bei sich. Aber nicht um jeden Preis. Die Hölle als absolute Gottferne ist also notwendig, weil Gott Liebe ist. Gott liebt den Menschen so sehr, dass Er ihm sogar zugesteht, seine Freiheit derart zu missbrauchen, dass er sich damit selbst richtet und der Vernichtung preis gibt. Die metaphysische Notwendigkeit der Hölle ergibt sich unmittelbar aus dem Sein Gottes als Liebe. Nur, wenn wir uns Gott als Tyrannen vorstellten, der alle Menschen zum Heil verpflichtete, wäre die Hölle obsolet. Die ewige Verdammnis ist eine freie Entscheidung des Menschen, die erst durch Gottes unendliche Liebe möglich wird, eine Selbstverdammung unter dem weinenden Auge Gottes.
Die Versöhnung, die Gott uns in Jesus Christus anbietet und die von der Kirche in der Beichte sakramental gestaltet wird, gibt es nur in Rücksicht auf das, was sie nötig macht. Das heißt: Man muss die moralischen Fehler (die Kirche nennt sie „Sünden“) bereuen und sich bessern, klar, doch zunächst muss man sie überhaupt als solche erkennen. „Ich bin ein Sünder!“ Diese Einsicht ist der Beginn der Umkehr. Eine allzu große moralische Selbstsicherheit steht ihr im Wege. Wird diese so groß, dass sie das Böse schon als bloße Möglichkeit des Handelns ausschließt, dann wird das Gute, das Gott uns anbietet, ebenso zu einem „Ding der Unmöglichkeit“. Papst Johannes Paul II. hat es einmal so ausgedrückt: „Der größte Erfolg des Teufels besteht darin, den Einruck zu erwecken, dass es ihn nicht gibt.“ Das ist doch der „Witz“ der Frohbotschaft: Versöhnung gibt es zum Nulltarif, doch selbst ein Geschenk muss man annehmen wollen. Wer sein Verhalten immer nur schönfärberisch erklärt, wird ja gar keine Notwendigkeit erkennen für Versöhnung. Und das ist die eigentliche Gefahr: Dass wir vorbeilaufen an der Gnade Gottes, am Angebot für einen Neuanfang. Auf diese Gefahr muss die Kirche hinweisen.
Heute findet die Rede von der Hölle aber kaum noch Platz in der Verkündigung. Sie richtet sich – wie jüngst in der Ansprache Papst Fanziskus‘ im Rahmen einer Vigil mit Angehörigen von Mafia-Opfern – auf bestimmte Zielgruppen, wie eben jene der Mafiosi: „Ich bitte euch, ändert euer Leben, bekehrt euch, hört auf, das Böse zu tun. Und wir beten für euch: bekehrt euch. Darum bitte ich euch auf Knien. Es ist für euer eigenes Wohl. Das Leben, das ihr jetzt lebt, gefällt uns nicht und wird keine Freude bringen, euch wird es nicht glücklich machen. Die Macht und das Geld, die ihr jetzt habt, aus vielen schmutzigen Geschäften und Mafia-Verbrechen, sind blutiges Geld und mit Blut befleckte Macht, und wird euch nicht ins andere Leben bringen. Bekehrt euch: jetzt ist noch Zeit, um nicht in der Hölle zu enden. Und die erwartet euch, wenn ihr auf dieser Straße weitergeht.“ Dabei besteht die Gefahr, „in der Hölle zu enden“, für uns alle. „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“ kann zu einer gefährlichen Selbstgerechtigkeit führen, die sich eschatologisch zur Heilsgewissheit emporschwingt. Angesichts der Höllengefahr muss es heißen: „Frohbotschaft als Drohbotschaft“. Denn zum einen ist die Frohbotschaft ist in der Drohbotschaft der Kirche enthalten: „Es ist gut, dass Du die Wahl hast, Dich für oder gegen die Hölle zu entscheiden.“ Zum anderen soll uns die Kirche bei der Wahlentscheidung helfen. Dies kann sie aber nur, wenn sie verdeutlicht, dass die Drohbotschaft die Frohbotschaft umgreift: „Pass auf, dass Du die Liebe Gottes nicht verschmähst!“ Frohbotschaft und Drohbotschaft gehören untrennbar zusammen. Die Existenz des Christentums, die auch Eugen Biser wichtig war, hängt davon ab, dass wir uns dessen bewusst sind und dass die Kirche dies in der Pastoral berücksichtigt, nicht um Menschen zu gängeln, sondern um die Liebe Gottes – und damit Gott selbst – ernst zu nehmen.
(Josef Bordat)