Dystopismus auf katholisch
30. Mai 2017
Claudia Sperlich – Literatin, Übersetzerin, Bloggerin – hat mit „Die Befreier“ einen Erzählband vorgelegt. Die bislang eher durch Poetisches ausgewiesene Autorin zeigt, dass sie auch Epik „kann“, wie es auf neudeutsch heißt. Dabei bestechen ihre Texte vor allem auch sprachlich – Wörter wie „glomm“ (Imperfektform von „glimmen“) findet man heute nicht mehr oft. Altdeutsch, vielleicht. Aber schön, dass es das noch gibt.
Der Band enthält dreizehn souverän erzählte Geschichten, launig-humorige Episoden aus dem Alltag wechseln sich mit düsteren Zukunftsvisionen ab, deren Grauen unverkennbar durch die Texte hindurchschimmert: die nicht vorherzusehenden, letztlich unkontrollierbaren Folgen der Gentechnik werden ebenso angesprochen wie die Tatsache, dass eine Strafrechtsordnung mit Todesstrafe Henker (m/w) braucht – ein ganz normaler Job, vermittelbar über die Arbeitsagentur.
Diese und andere Behörden nimmt die Verfasserin gekonnt und – so darf man annehmen – vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen satirisch ins Visier. Das ist nicht neu – im Gegenteil: Humoristen von Kishon bis Loriot nehmen die ebenso behäbige wie selbstherrliche Verwaltung allzu gern auf die Schippe. Immer wieder gut, wenn Literaten über das Ventil einer gelungenen Satire stellvertretend Luft ablassen.
Claudia Sperlich ist ein kritischer Geist. Sie thematisiert, was schief liegt in unserer Gesellschaft, führt es logisch konsistent ad absurdum. Ihr Blick in eine (möglicherweise nicht allzu ferne) Zukunft der Genoptimierung öffnet dem Leser die Augen. Besonders schaurig macht es die Erzählungen, wenn die Horrorvisionen aus der Sicht ihrer Protagonisten projiziert werden. Das macht sie erschreckend plausibel.
Man sei heute so weit, lässt Claudia Sperlich einen Wissenschaftler zu Wort kommen, Föten mit Hilfe der „Gentherapie“ zu behandeln: „Die DNA wird aufgeschlüsselt, fehlerhafte Gene durch intakte, aus anderen Föten gewonnene, ersetzt. Zwar gelingt es dadurch nicht immer, alle Defekte zu vermeiden. Auch gibt es im jetzigen Stadium der Forschung noch einen Fehlerquotienten von fast zwanzig Prozent – in diesen Fällen werden aus bisher unbekannten Gründen die implantierten intakten Gene abgestoßen, so daß im Ergebnis nicht ein Gen fehlerhaft ist, sondern ein Gen fehlt. Solche Föten sind oft nicht lebensfähig oder schwer behindert und werden entsorgt. Ich bin jedoch zuversichtlich, daß hier innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Weg gefunden wird. Bis dahin müssen wir mit dem Ausfall leben“.
In der Titelerzählung „Die Befreier“ persifliert die Autorin das radikalökologische Denken einiger Tierrechtler, das in Diskussionen schon mal in der grotesken Forderung gipfelt, Tiere und Menschen gleich zu behandeln, also jenen wie diesen Freiheit zu gewähren. Welche Folgen ein solches „Zurück zur Natur!“ hätte, das im Diskurs längst von dem weniger revolutionär klingenden „Raus aus dem Anthropozentrismus!“ ersetzt wurde, zeigt Sperlich. Eine Welt, in der nicht der Mensch im Mittelpunkt steht und seine Umwelt gestaltet, sondern diese umgekehrt den Menschen und die Gesellschaft, ist eine grausame – für die Menschen, und für die allermeisten Tiere auch.
Um das schlanke Bändchen nicht zu schwer werden zu lassen, streut die Autorin immer wieder nette Happen aus dem Alltag ein, wie die Anekdote über den dichtenden Onkel („Da reimt sich dann Herz auf Schmerz, Liebe auf Triebe und – zu Ostern – Hase auf Nase“) oder die Einladung zu einer Lesung, veranstaltet von einer ziemlich obskuren Gesellschaft. Doch schon bald geht es wieder um Jobangebote vom Teufel („Amt für Weiteres“), um die Sehnsucht nach einem Kind oder um die allzu vertraute Hetze gegen Flüchtlinge und all jene, die nicht mithetzen mögen.
Am ehesten noch lässt sich Claudia Sperlichs Erzählband zwischen Gesellschaftssatire und Politischem Utopismus einordnen, mit einer christlichen Grundierung, die ihrerseits katholisch geprägt ist. Und während man bei einigen Vertretern utopischer Literatur nicht sicher ist, ob sie ihre Entwürfe affirmativ formulierten, auch dann nicht, wenn sie erschreckend sind und daher als anti-utopische oder dystopische Entwürfe erscheinen (etwa bei Skinner, der in „Waldon Two“ seinen Behaviorismus konsequent anwenden lässt – mit irren Folgen), so weiß man bei Claudia Sperlich, dass sie die skizzierten Modelle des Künftigen aus tiefstem Herzen ablehnt.
Mit „Die Befreier“ hält man ein Stück unterhaltsam geschriebener Gegenwartsanalyse in Händen, die klar Position bezieht. Dadurch, dass entscheidende Themen angerissen werden, vor allem aber dadurch, dass ruhig und gelassen erzählt wird, wie es morgen werden könnte, wenn fortgesetzt wird, was heute mehrheitsfähig ist – oder auf direktem Weg dazu. Claudia Sperlich scheut nicht die unzeitgemäße Warnung vor den unguten Tendenzen unserer Tage: Biozentrismus, Transhumanismus, Sozialfaschismus. Ein wichtiges Buch.
Bibliographische Angaben:
Claudia Sperlich: Die Befreier. 13 Geschichten von Verwandten, Nachbarn und anderen Dämonen.
Hamburg: Tredition 2017. 108 Seiten.
Ausgaben und Preise:
Hardcover: € 15,99 (ISBN 978-3-7439-0867-3).
Paperback: € 7,99 (ISBN 978-3-7439-0866-6).
E-Book: € 2,99 (ISBN 978-3-7439-0868-0).