Ein Beitrag zum Leibniz-Jahr 2016.

Mit Leib und Seele. Mensch

Für die Philosophie ist die Frage, wie sich das Verhältnis von Geist und Materie denken lässt, eine ganz zentrale, denn der Mensch erfährt sich selbst als einerseits körperlich, andererseits aber auch geistig. Wie geht beides zusammen? Unter dem Stichwort Leib-Seele-Problem wurden und werden monistische und dualistische Lösungen verhandelt.

Ein großer Philosoph, der intensiv über dieses Thema nachgedacht hat, ist Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), dessen 300. Todesjahr mir die Gelegenheit gibt, in einer kleinen Serie sein Leben und Wirken vorzustellen. Leibnizens Substanzmetaphysik, die er in einem seiner Hauptwerke, der Monadologie, entfaltet, beschäftigt sich mit der ontologischen Kernfrage nach dem Sein Gottes und der Frage, in welchem Verhältnis das Seiende zu diesem Sein steht, kurz: mit der Schöpfung.

Leibniz entwickelt die Idee einer völligen Durchdringung der Materie mit dem Geist Gottes, der damit eine Beziehung alles Geschaffenen zum Schöpfer einerseits und anderseits des Schöpfers zu allem Geschaffenen garantiert. Die Natur ist somit „voll der Gnade“, sie ist von Gott eingerichtet und auf Gott hin ausgerichtet, insoweit als die innerweltlichen Kausalitäten den Finalitäten des Transzendenzbezugs unterliegen.

Zwei Reiche

Der Rationalist Leibniz geht dabei methodisch wieder auf die aristotelische Deduktion zurück (er formuliert seine Thesen vor allem gegen Bacon, den Ahnherrn des induktiven Empirismus), gewissermaßen mit einem platonischen Hintergedanken, denn auch die Metaphysik Leibnizens sieht – trotz der Einwirkung von Geist auf Materie – eine Trennung von materialer Welt (er nennt diese das „Reich der Natur“) und geistiger Welt (bei ihm das „Reich der Zwecke“ bzw. „Gnade“) vor. Leibniz unterscheidet in seiner Erkenntnistheorie die Kontingenz material-phänomenologischer Kausalität im „Reich der Natur“, das experimentell zugänglich ist, von der Notwendigkeit der Finalität im „Reich der Zwecke“ bzw. „Gnade“, das experimentell nicht zugänglich ist.

Das heißt: Wir können naturwissenschaftlich erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht erfahren, warum sie ist, wie sie ist. Die Art der Schöpfung (das Wie) ist Gegenstand der Erkenntnis aus der Natur (Biologie, Chemie, Physik), der Grund der Schöpfung (das Warum) Gegenstand der Erkenntnis aus Gnade (Religion, Spiritualität, Gebet). In seiner Monadologie betont Leibniz die Harmonie der Sphären (§ 79), die ermögliche, dass die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen (§ 88).

Die Monade

Der Baustein der Welt ist die unteilbare, unerzeugbare und unzerstörbare Monade, die als „beseeltes Atom“ allen Dingen zugrunde liegt (§ 1-3). So wird die Materie in der Substanzmetaphysik Leibnizens vergeistigt – Körper und Seele erscheinen gleichermaßen als monadische Entitäten –, und zugleich gibt die eine Grundsubstanz dem Gedanken der Einheit und der Harmonie Ausdruck (das griechische Wort μονας kann „eins“ und „Einheit“ bedeuten). Mit der Monadologie schlägt Leibniz eine Brücke zwischen mechanistischer und spiritualistischer Weltsicht. Alle Monaden sind von Gott, der Urmonade, geschaffen (§ 47). Sie sind durch die repraesentatio mundi miteinander verbunden, die in der inneren Vorstellung (Perzeption) und in der Veränderung von einer Perzeption zur anderen besteht.

Die Perzeption ist dabei unterschiedlich deutlich; allein darin unterscheiden sich die Monaden qualitativ, wobei die Differenzen nicht diskret gestuft sind, sondern kontinuierlich ineinander übergehen. Es gibt für Leibniz eine unendliche Anzahl von graduellen Unterschieden zwischen klar bewusster und gänzlich unbewusster Perzeption. Der Mensch und ein Stein unterscheiden sich also nicht grundsätzlich, sondern nur hinsichtlich des Grads an Bewusstsein.

Jede Monade repräsentiert – abhängig von dem ihr eigenen Perzeptionsvermögen – das Universum auf eine je eigene Art und Weise (§ 57-60). Die Vorstellung des Universums durch die Monade ist jedoch kein passiver Vorgang, sondern ein aktives Wirken, denn jede Monade ist ein lebendiger Spiegel der Welt. Die tiefste Bedeutung der repraesentatio mundi besteht darin, dass die Seele das Universum vor Gott vertritt, indem es Gott das Bild der Welt vorstellt.

Die lex continuitatis

Kern der Monadologie ist die Überwindung des kartesianischen Dualismus’ von Leib (res extensa) und Seele (res cogitans). Bei Leibniz stehen Materie und Geist nicht unverbunden nebeneinander, sondern sie werden auf eine gleichartige Substanz zurückgeführt: die Monade. Damit stellt sich Leibniz nicht nur gegen Descartes, sondern gegen die gesamte aristotelisch-scholastische Tradition. Aristoteles und die Scholastiker arbeiten mit Gegensätzen, im Bereich der Physik (Bewegung / Ruhe) ebenso wie im Bereich der Metaphysik (Substanz / Akzidenz).

Damit gilt für Leibniz gegen die Tradition der Gegensätze, dass Begriffe der Naturwissenschaft in Kontinuität zueinander stehen und sich ohne Unstetigkeiten ineinander überführen lassen, denn: natura non facit saltus. Ihren Ursprung hat die lex continuitatis in der Geometrie, wo sie absolut notwendig ist. Da Gott die Natur gemäß geometrischen Ordnungsprinzipien eingerichtet habe, gelte sie auch dort. So betrachtet Leibniz Ruhe nicht als Gegenteil, sondern als Grenzfall von Bewegung.

Auch den Gegensatz von „belebter Natur“ und „toter Materie“ überwindet Leibniz in seiner Monadologie. Er entwickelt den Gedanken einer lediglich graduell differenzierten Einheit alles Beseelten. In diesem Sinne trennt er auch nicht zwischen „Geist-“ und „Körperwesen“. So besitzen Engel seiner Auffassung nach einen subtilen Leib und auch die unsterbliche Seelenmonade verfügt über einen solchen, der jedoch so winzig sei, dass er unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liege.

Prästabilierte Harmonie

Auch Leib und Seele sind keine strikt getrennten Bereiche im Menschen, sondern gehören für Leibniz zusammen. Damit kommt er dem Personalitätskonzept des Katholizismus sehr nahe: Die Kirche lehrt, die menschliche Person sei durch und durch beseelt, ja, der Mensch gerade als ein solcherart beseeltes Wesen Person. Auch wenn Leibniz Natur und Gnade, Funktion und Zweck, Kausalität und Finalität unterscheidet, kommen Materie und Geist im Menschen zusammen. Leib und Seele bilden eine Einheit.

Doch: wie? Die Frage ist ja, wie die Einstellung der Körper-Monaden und der Seelen-Monaden aufeinander geschieht, wenn sie untereinander keinen Kontakt haben und den können sie in Leibnizens Vorstellung nicht haben, da sie „fensterlos“ sind. An eine organische Lösung à la Decartes denkt Leibniz nicht. Er meint – und das ist ein ganz zentraler Gedanke seiner Philosophie –, ein geordnetes Zusammenspiel von Leib und Seele komme dadurch zustande, dass Gott die grundsätzlich getrennten Sphären in einer prästabilierten Harmonie aufeinander eingestellt habe – wie ein Uhrmacher, der zwei Uhren synchronisiert –, damit in allen Fällen (und nicht nur „von Fall zu Fall“ wie in Malebranches Okkasionalismus) a priori eine Verbindung von Materie und Geist gewährleistet ist.

Dies geschieht nicht deterministisch (in dem Sinne, dass Gott aktiv für Harmonie in der Welt sorgte und ihr damit die Freiheit nehme, sich auch chaotisch zu geben), sondern zustimmend (Gott schafft eine sich frei entwickelnde Welt, weil er sie in seiner Voraussicht als maximal harmonisch erkannt hat). Die Differenz von praedeterminatio und praevisio ist für Leibnizens zweites großes Werk wichtig: für die Theodizee. Dazu ein andermal mehr.

Was bringt uns das?

Vergeistigung der Materie und Beseeltheit des Menschen, Kontinuität allen Seins, Differenz von Natur und Gnade – das alles ist nicht nur ein Hirngespinst im Elfenbeinturm. Die psycho-physische Debatte hat weitreichende Folgen für unsere Moralität und damit für den alltäglichen Umgang mit Menschen. Leibnizens Antwort mahnt uns, einer Materialisierung des Menschen zu wehren. Denn: Mit seinem Kontinuitätprinzip und dem Verweis auf einen Finalitätsbezug allen weltimmanenten Geschehens in seiner Schöpfungsphilosophie depotenziert Leibniz nicht den Menschen, sondern hebt die nicht-humanen Anteile der Schöpfung in ihrer Bedeutung an.

Leibnizens Vorstellung von der Kontinuität allen Daseins, von bloß graduellen und nicht prinzipiellen Unterschieden zwischen dem Menschen und einem Stein, das klingt sehr vertraut, meint aber etwas völlig anderes als dies der Leugnung prinzipieller Unterscheidbarkeit von humaner und nicht-humaner Welt im Rücken liegt, wie sie heute der ontologische Naturalismus formuliert. „Der Mensch ist auch nur ein Tier“ – dieses naturalistische Credo hat Folgen, denen Leibniz scharf begegnet wäre. Denn sein Monismus ist keiner der Natur, sondern der Gnade, des Geistes, der Seele. „Alles ist Geist!“, meinte Leibniz auf die ontologische Grundfrage, auf die unsere Wissenschaft heute meist antwortet: „Alles ist Natur!“

Von Leibniz zu lernen, heißt, der menschlichen Offenheit zur Transzendenz gerecht zu werden, durch eine ernsthafte Berücksichtigung der Möglichkeit einer finalen Dimension des Naturgeschehens durch die Gnade Gottes. Derartige Denkansätze von vornherein abzulehnen oder gar zu diskreditieren, hieße, Leibnizens Begriff der Kontinuität und sein gesamten Wissenschaftsbild fehl zu deuten, denn wissenschaftliche Forschung war für Leibniz zunächst und vor allem eines: Gottesdienst.

(Josef Bordat)