Oh, Dinge!

6. Dezember 2014


Es gibt immer wieder Dinge, die mich von meiner überheblichen Position Abstand nehmen lassen, ich hätte schon alles erlebt (oder zumindest gelesen), was an Unsinn dem Menschen auch nur zu erwägen möglich ist. Stimmt nicht. Überhaupt nicht.

Zum Beispiel ist da die „Glaubensgemeinschaft Oding Deutschland“, abgekürzt GOD (Ich hab‘ mir das nicht ausgedacht, Leute, ehrlich jetzt!), auf die mich ein Hinweis im Facebook gebracht hat. Nach ihrer Selbsteinschätzung steht die neuheidnische Glaubensgemeinschaft auf dem Boden „beweisbarer Wahrheit, Klarheit, Sachlichkeit, Redlichkeit, Unbestechlichkeit“ und rechnet sich zudem „Frohsinn“ sowie „bemessene Romantik“ zu. Ja, gut. Passt. Ich weiß zwar nicht genau, was „bemessene Romantik“ sein soll, aber Wahrheit, Sachlichkeit und Frohsinn finde ich vom Grundsatz her förderungswürdig. Also, dann. Mal sehen, was Neuheiden dazu beitragen.

In der Rubrik „Wissenschaft“ finde ich sogleich einen Text, der schon vom Titel her eimerweise Wahrheit, Klarheit, Sachlichkeit und bemessene Romantik erwarten lässt: „Hass-Prediger Jesus“. Dieser wartet zunächst mit einer kreativen Übersetzung von 1. Kor 12, 3 auf. Wo Hobby-Germanist Luther in christlicher Verblendung noch schrieb: „Darum tue ich euch kund, dass niemand Jesus verflucht, der durch den Geist Gottes redet“, setzen die Odinger aus Deutschland: „Verflucht sei Jesus“. Ja, so kann man Pauli Botschaft an die Gemeinde in Korinth sicher kurz zusammenfassen.

Frohsinn sollte bei der Lektüre des Textes also garantiert sein. In der Tat: Der Text hält, was GOD verspricht. Meine Gattin wurde schon skeptisch, weil ich vor dem Bildschirm für rund zwanzig Minuten (der Text ist recht lang) immer wieder laut lachen musste. „Na, neue Witze-Seite? Mach lieber den Abwasch!“ Ja, mache ich. Und: Ja, Witze-Seite. Obwohl er eher zum Heulen ist, der Text, weil man schließlich davon ausgehen muss, dass es Menschen gibt, die das, was der Text aussagt, für wahr und sachlich halten, schließlich ist er unter „Wissenschaft“ gespeichert. Und die werden dann am Ende glauben, dass Jesus ein „Psychopath“ war, „voller Hass“ auf alles und jeden, dennoch „mit einer Freundin umherzuziehen pflegte“, dass er, wenn er sich „in eine einsame Gegend“ zurückzog (Mt 14, 13), in Wahrheit „untertauchte“, samt seiner „hysterischen Hass- und Rachegedanken“, und dass die Jünger, die in der Nachfolge Christi standen, treffender als „Mitläufer“ zu charakterisieren sind. Das blendet freilich aus, dass sie nach dem Ende der unmittelbaren Gefolgschaft nicht etwa, wie für Mitläufer üblich, das Laufen einstellten, sondern in alle Welt gingen, um die Botschaft Jesu zu verkünden, aber wer wird hier allzu kleinlich sein wollen.

Jesu Erzfeind war Johannes der Täufer, der ihn nicht „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1, 29), sondern „Sa­tan“, „Lügenmes­sias“ und „Höllenfürst“ nannte. Sagt der Verfasser von „Hass-Prediger Jesus“. Stünde so in der „Oxforder Samm­lung“ von Texten der „johanneisch-mandäischen Liturgie“. Sagt der Verfasser. Die Suche nach Oxforder Samm­lung johanneisch-mandäische Liturgie ergibt genau 27 Treffer, einige davon verweisen auf den Text, den ich gerade lese. So sieht Wissenschaft aus, die ohne Umwege in Frohsinn und (reichlich) bemessene Romantik einmündet. Nur noch gesteigert durch die selektive Bezugnahme auf angebliche Neutestamentler der 1920er Jahre.

Auch alle anderen überraschenden, gleichwohl „wissenschaftlich“ „beweisbaren“ „Wahrheiten“, hat der Verfasser aus Schriften, die dem Durchschnittsinternetnutzer nicht ohne weiteres zugänglich sind. Was sich hingegen prüfen lässt, sind die Interpretationen der zitierten Bibelstellen. Und da ist „eigentümlich“ dann noch die höflichste Art der Beschreibung dessen, was an Deutungsleistung erkennbar ist. Um den angeblichen Grundkonflikt des Neuen Testaments (Jesus vs. Johannes) zu belegen, werden alle Stellen, in denen sich Menschen gegen Jesus wenden, weil sie anderer Ansicht sind oder ihn einfach nicht verstehen, als Ausdruck der Opposition jener Johannes-Schüler betrachtet, die Jesus seinem Konkurrenten so gerne hätte abwerben wollen. „Johannes“ und diejenigen, um die es wirklich an den betreffenden Stellen geht, „är­ger­ten sich an ihm“ (Mt 13, 57; es geht um Nachbarn und Bekannte) oder „wurden voll Zorn, als sie ihn reden hörten“ (Lk 4, 28; es geht um Synagogenbesucher). Aber so kann der Verfasser natürlich beweisen, dass die „scharfe Konkurrenz“ zwischen Jesus und Johannes ein Grundmotiv der Bibel ist. Wissenschaftlich beweisen. Und nur darum geht es: um Wahrheit und Sachlichkeit. Gut, um Frohsinn auch.

Am Ende des Textes, dessen Kraftausdrucksdichte selbst handelsüblichen Gangsta-Hip-Hop verblassen lässt, wird dann noch „Ach­tung vor anderer Art und Denkweise“ verlangt. Wie gesagt: Es gibt immer wieder Dinge. Und manchmal sogar Odinge.

Technischer Hinweis: Wer den Link haben will, kann sich vertrauensvoll an mich wenden (s. Impressum). Setzen möchte ich diesen hier nicht. Irgendwo ist auch mal Schluss.

(Josef Bordat)

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