Was heißt hier gleich?

27. Juli 2014


Jetzt haben wir den Salat! Das oder Ähnliches wird sich vielleicht der eine oder die andere gedacht haben, als der unterschenkelamputierte Leichtathlet Markus Rehm gestern Nachmittag bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm den Weitsprung der Männer gewann. Solange behinderte Athleten im Rahmenprogramm auftraten oder wie der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius spätestens im Zwischenlauf die Segel strichen, war alles in Ordnung: der Spitzensport zeigt seine menschliche Seite, bleibt aber am Ende das, was er ist, eine Angelegenheit perfekt austrainierter Körper ohne Makel. Und jetzt das: Der behinderte Athlet nicht mehr nur als nette Begleiterscheinung, die Niemandem weh tut, sondern als strahlender Sieger. Damit hatte man nicht gerechnet.

Damit konnte man auch nicht unbedingt rechnen, denn Rehm verbesserte seine Bestleistung (zugleich Weltrekord für seine Klasse) um 29 Zentimeter – im Weitsprung eine Welt. Auf 8,24 Meter setzte er seinen epochalen Sprung, von dem er sagte: „Es gibt einfach Sprünge, die trifft man perfekt – und so war das heute.“ Und es gibt Sprünge, mit denen katapultiert man sich in die Debatten. Auch das ist Markus Rehm gelungen. Die Frage, die der Deutsche Leichtathletik Verband nun klären lassen will, lautet: Ist die Beinprothese aus ermüdungsresistentem Carbon ein Vorteil? Das heißt: ein unzulässiger Vorteil, vergleichbar einem Dopingmittel? Chancengleichheit ist ja eines der wichtigsten Gebote der Fairness.

Doch jenseits der biomechanischen Analysen lautet die Frage: Was heißt eigentlich Chancengleichheit im Sport? Sind wir denn überhaupt gerechterweise vergleichbar? Als Menschen? Wenn man sich mal in der Fußgängerzone umschaut, stellt man fest, dass die Menschen nicht gleich sind und sich daher unterschiedlich gut für den Weitsprung eignen. Kampfsportarten versuchen das durch eine Klasseneinteilung zu nivellieren, aber in der Leichtathletik gibt es nur die Unterscheidung in Männer und Frauen. Für jedes Geschlecht gibt es dann aber nur einen Wettbewerb. Würde man etwa im Hochsprung – da ist die Sache mit der Auswirkung natürlicher Ungleichheit noch deutlicher erkennbar – die Körper- von der Sprunghöhe abziehen, sähen die Siegerlisten anders aus.

Markus Rehm sieht anders aus. Er hat einen Unterschenkel weniger als die Konkurrenten und eine Beinprothese mehr, mit einer Carbonfeder, die einen kräftigen Absprung ermöglicht. Dass das so ist, wusste man vorher. Wenn man ihn dennoch springen lässt, muss man ihn auch werten. Nur so nimmt man seine Teilnahme und damit ihn als Athleten und Menschen ernst. Und man tut gut daran, ihn springen zu lassen. Auch bei der EM in Zürich. Denn damit zeigte sich einem größeren Publikum eine weitere Facette der Ungleichheit, die uns als Menschen auszeichnet, ohne dabei die ohnehin mitspringende Chancenungleichheit ins Ungerechte anwachsen zu lassen. Denn Markus Rehm hat nicht betrogen, verheimlicht und getäuscht, sondern er tritt ganz offen so zum Wettkampf an, wie es ihm nur möglich ist. Dass es zugleich nur ihm möglich ist, kann kein Ausschlussgrund sein, denn kein Mensch kann aus seiner Haut. Ob er ein oder zwei Beine hat, ist da völlig gleich.


(Josef Bordat)

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