Der Umgang mit dem Vorwurf

3. Februar 2015


Was tun, wenn Priestern Missbrauch vorgeworfen wird?

Oft wird der Kirche vorgeworfen, nicht oder nicht schnell genug zu handeln, wenn Priester im Verdacht stehen, sich gegenüber Kindern oder Jugendlichen falsch verhalten zu haben. Nicht immer geht es dabei um sexuellen Missbrauch, oftmals ganz allgemein um unangemessenes Verhalten, das nicht justiziabel, aber auch nicht tolerabel ist. Es mag in der Vergangenheit Fälle gegeben haben, in denen – entsprechend der allgemeinen Haltung in der Gesellschaft – das Thema Missbrauch innerhalb der Kirche nicht hinreichend ernst genommen wurde – insbesondere in den Nachkriegsjahrzehnten. Dass es Versetzungen gab, wo es eher Freisetzungen hätte geben müssen. Dass an der falschen Stelle, im falschen Moment weggesehen wurde. Dass Täter geschützt und Opfer ignoriert wurden.

Andererseits wird der Kirche vorgeworfen, neuerdings zu voreilig zu handeln, wenn Priester im Verdacht stehen, sich gegenüber Kindern oder Jugendlichen falsch verhalten zu haben. Die Richtlinien von 2002, die 2010 noch einmal deutlich verschäft wurden, zeigen sicherlich ihre Wirksamkeit; das ist unbestritten positiv. Und es macht sich auch an den öffentlichen Debatten bemerkbar: Wenn über Missbrauchsfälle im Raum der Katholischen Kirche in Deutschland berichtet wird, dann handelt es sich v. a. um ältere Vorkommnisse, die jetzt bekannt werden, nicht um neue Vorfälle. So auch im Fall des Erftstädter Pfarrers Winfried Jansen, dem vor kurzem vorgeworfen wurde, in den 1970er Jahren „sexuelle Grenzverletzungen“ gegenüber einem neunjährigen Mädchen begangen zu haben. Pfarrer Jansen, mittlerweile 73 Jahre alt, wurde aufgrund der Vorwürfe umgehend von seiner Amtspflicht entbunden. Aufgrund der Vorwürfe. Nicht aufgrund der Ergebnisse eines Verfahrens (das läuft jetzt erst an, Ausgang offen). Das Erzbistum Köln kann aber gar nicht anders, als bereits jetzt ein Urteil zu fällen: Schuldig im Sinne der Richtlinien. Die sehen nämlich eine sofortige Amtsenthebung vor, sobald Vorwürfe erhoben werden, die glaubwürdig klingen. Ob diese auch wahr sind, ist unerheblich. Es geht um den Klang, nicht um das Sein. Hier: Um den Klang in den Ohren der zuständigen Mitarbeiter in der Hauptabteilung Seelsorge-Personal des Erzbistum Köln.

Abgesehen davon, dass Geistliche, die unter Missbrauchsverdacht durch die Medien gezerrt wurden, auch nach einem entlastenden Verfahren kaum Aussicht auf Wiederherstellung ihrer Reputation haben, stellt sich eine Frage: Gilt die Unschuldsvermutung im Raum der Kirche auch nach 2002 bzw. 2010? Eine andere schließt sich an: Gibt es eine Hysterie in der Kirche, d.h. schreit man dort – mit dem unbedingten Willen, bloß nichts mehr falsch zu machen – zu schnell „Missbrauch“, ohne überhaupt noch zu unterscheiden zwischen Zuwendung und Ausbeutung, ohne die Fälle sorgfältig zu prüfen bzw. prüfen zu lassen? Wenn ein Priester, der einen weinenden Jungen tröstet, sowie sein Vorgesetzter, suspendiert werden, der erste, weil die körperliche Zuwendung auch Missbrauch gewesen sein könnte, und der zweite, weil er dies nicht so gesehen und den Vorfall dementsprechend nicht gleich gemeldet hat, dann ist ein Maß an Hypersensibilität erreicht, dass jede Pastoral und jede Pädagogik auf einen steril-abstrakten Vorgang reduziert. Aufmerksamkeit ist sicher gut und richtig und wichtig, wenn aber nur noch mit der Präventionsbrille auf die Beziehungen zwischen Priestern und Ministranten, Lehrern und Schülern, Eltern und Kindern geschaut wird, dann werden diese Beziehungen zu mechanischen Missbrauchsvermeidungsangelegenheiten.

Ein befreundeter Lehrer an einer katholischen Schule hat mir kürzlich erzählt, dass „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ gegenüber einer Schülerin bereits den Tatbestand des Übergriffs erfüllen könnte. Und wenn ich als Küster und verantwortlicher Ministrant einem der mitministrierenden Jungs (wenn da mal jemand kommt) das Rochette am Rücken glatt streiche, stehe ich mit einem Bein im Knast. Dieser bleibt Ex-Pfarrer Jansen vorerst erspart – die Staatsanwaltschaft Köln hat noch kein Verfahren gegen ihn eröffnet, obgleich das Erzbistum Köln dies gerne hätte. Und was wird nun aus dem Beschuldigten? Das ist derzeit noch völlig offen und hängt vom Ausgang des kircheninternen Verfahrens ab, das bei der Glaubenskongregation in Rom anhängig ist. Das Ergebnis wird irgendwann dazu führen, dass die Vorwürfe als wahr und die Amtsenthebung als rechtmäßig gelten können. Oder auch nicht. Außer Winfried Jansen wird das dann ohnehin Niemanden mehr interessieren.

(Josef Bordat)

Kommentare sind geschlossen.