Philosophische Klima-Ethik

10. Juli 2011


James Garvey legt eine Einführung in die moraltheoretischen Grundlagen einer Einstellungs- und Verhaltensänderung im Zuge des Klimawandels vor, die nur teilweise überzeugt.

Der Klimawandel verlangt von uns technologische und ökonomische Antworten, die in politischen Aushandlungsprozessen formuliert werden müssen. Das ist eine kollektive Anstrengung, die von Regierungen und internationalen Organisationen geleistet werden muss, wobei die Resultate letztlich von allen Menschen mitgetragen werden müssen. Daher verlangt der Klimawandel von uns, also von jedem einzelnen Menschen, unsere individuelle moralische Haltung zu Natur und Umwelt zu überprüfen und um die Dimension unserer Verantwortung (schließlich handelt es sich um einen anthropogenen Klimawandel) zu ergänzen. Der Klimawandel impliziert damit einen Einstellungswandel.

Vor einigen Wochen hatte ich dazu den Klimawandel als moraltheoretisches Problem aus der Sicht eines katholischen Theologen (Andreas Lienkamp) vorgestellt, nun möchte ich die Position eines Philosophen präsentieren: James Garvey vom Royal Institute of Philosophy (London) skizziert in seinem Buch „Geistiger Klimawandel: Wie uns die Erderwärmung zum Umdenken zwingt“ (aus dem Englischen übersetzt von Julia Meyer-Staufenbiel, 2010 im Verlag Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt erschienen) Grundzüge einer Klimaethik.

Das angesprochene „Umdenken“ ist jedoch bei Lichte betrachtet weniger ein „Zwang“ (dann hätte Garvey das Buch, das hier besprochen wird, gar nicht zu schreiben brauchen), sondern vielmehr eine Wahl aus ethischen Gründen, die er in seinem Buch zusammenstellt, mit dem er „eine Einführung in die Ethik des Klimawandels bieten [will], in die Fragen also, wo in Zukunft moralische Anforderungen im Hinblick auf unseren sich verändernden Planeten liegen und wie diese Anforderungen in Handeln umzusetzen sind.“ Der moraltheoretische Anspruch und die normative Ausrichtung seiner Argumente kommt in der englischen Fassung noch deutlicher heraus (Originaltitel: „The Ethics of Climate Change: Right and Wrong in a Warming World“).

Zunächst spricht Garvey allgemein von den beiden Forschungsrichtungen, die für die Klima-Ethik relevant sind: Klimaforschung und Moralphilosophie. Jenes naturwissenschaftliche Gebiet ist im Gegensatz zu dieser geisteswissenschaftlichen Disziplin noch recht jung, doch bereits genauso umstritten. Die Szenarien zu Temperaturanstieg und deren regional differierende Folgen sind sehr unterschiedlich. Gute Kenntnisse verschiedener Klimamodelle sind unterdessen für den Einstellungswandel bedeutsam, schon deshalb, weil sie ausnahmslos dessen Notwendigkeit unterstreichen. Denn ein Befund ist übergreifend festzustellen: die entscheidende Rolle des Menschen. Und erst damit wird Klimawandel zu einem Gegenstand der Ethik. Für die ethischen Argumente liefern die Modelle damit eine sachbezogene Unterfütterung. Doch zudem ist es wichtig, sich in moraltheoretischen Begründungsmodellen auszukennen, um die nötigen normativen Schlüsse aus dem Befund zu ziehen. Garvey führt alsdann in einige moralphilosophische Denkfiguren ein, um daran anschließend auf den Schlüsselbegriff des Diskurses zu kommen: Verantwortung.

Das Konzept Verantwortung wird als das vorgestellt, das es im Rahmen des Klimawandelns ist: unverzichtbar, zugleich aber schwer umzusetzen. Das beginnt mit den konzeptionellen Unklarheiten („Der Begriff Verantwortung ist so etwas wie eine bunte Mischung und wir wenden ihn ganz verschieden an.“) und endet bei handlungstheoretischen Schwierigkeiten (Wer soll anfangen, Verantwortung zu übernehmen? Und warum? – Garvey erläutert die vertrackte Lage nicht ganz unpassend anhand des spieltheoretischen Gefangenendilemmas.). Dass aber gehandelt werden muss, dass „Nicht Handeln“ also keine ernsthafte Alternative darstellt, unterstreicht Garvey ebenso wie er dann die zu unternehmenden Schritte sehr praxisnah erläutert. Zum einen spricht er davon, was „ganze Personengruppen, nämlich Regierungen, Staaten oder große Körperschaften“ leisten müssen, zum anderen aber auch davon, was „im Hinblick auf den Einzelnen“ geboten ist. Dabei geht es ihm nicht nur um Nachhaltigkeit der Maßnahmen, sondern auch um deren Angemessenheit und Zumutbarkeit.

Damit aber wirklich was passiert, müssen „psychologische Hemmnisse“ beseitigt werden, die von der Leugnung des Phänomens („Ich glaube nicht an den Klimawandel.“) über persönliche Exkulpation („Das ist nicht mein Problem.“) bis hin zu autosuggestiven Beruhigungsformeln reicht („Wir machen bereits große Fortschritte in Bezug auf den Klimawandel.“). Wenn die eigene Verantwortung jedoch erst mal eingesehen wird, dann könne sowohl die deontologische Gesinnungs- bzw. Prinzipienethik Kants, die von der Maxime des Handelns ausgeht und ihre Verallgemeinerungsfähigkeit prüft, als auch der utilitaristische Konsequentialismus, der die Handlungsfolgen in den Blick nimmt, helfen, moralisches Verhalten zu motivieren.

Moraltheoretisch gibt es stringentere Einführungen als die von James Garvey vorgelegte, die oft oberflächlich ist und begrifflich sehr schwammig bleibt. Das spürbare Bemühen um Praxisbezug wiegt diesen Mangel nur bedingt auf. Formal gefällt die Struktur, die das Geschriebene gut nachvollziehbar macht, die lockere Diktion, die es auch dem Laien ermöglichen sollte, rasch in den Text hineinzukommen und das Sach- und Personenregister, das hilft, sich zu orientieren; ärgerlich hingegen, dass vereinzelt zitierte Literatur aus den Endnoten im Literaturverzeichnis nicht aufgefunden werden kann. Insgesamt ist wohl von einer durchwachsenen Einführung in die Ethik des Klimawandels zu sprechen, die aber durchaus das ein oder andere Ausrufezeichen setzt, gerade auch in der Diskussion des Übergangs von der Moral- zur Handlungstheorie.

(Josef Bordat)

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