John Locke. Eine Einführung zu Leben und Werk

8. März 2013


LEBEN

John Locke wurde am 29.8.1632 in Wrington bei Bristol in der englischen Grafschaft Somerset geboren. Lockes Vater war Rechtsanwalt und verfügte über einen kleinen ererbten Grundbesitz. Die gutsituierten Verhältnisse ermöglichten dem jungen Locke den Besuch der Westminster School in London. Anschließend studierte er am Christ Church College in Oxford.

Unzufrieden mit Methodik und Inhalt der scholastischen Philosophie, deren Dispute er für haarspalterisch und – was schwerer wiegt – für wahrheitshemmend hält , wendet er sich den Schriften Descartes zu. Neben der Philosophie studiert Locke hauptsächlich Medizin und Chemie und erwirbt die akademischen Grade Bachelor und Master of Arts (1658).

Locke wirkt im Anschluss an sein Studium auf verschiedenen Posten der Universität Oxford, ist für kurze Zeit Sekretär der englischen Botschaft beim Kurfürsten von Brandenburg in Kleve, kehrt erneut nach Oxford zu medizinische Studien zurück und tritt 1667 in die Dienste von Anthony Ashley Cooper, des späteren Lord Ashley und Earl of Shaftesbury; bis 1675 lebt Locke bei ihm als Erzieher und Leibarzt. In dieser Funktion befreit Locke seinen Arbeitgeber von einem lebensbedrohlichen Leberabszess und rettete ihm so das Leben. Danach entwickelte sich aus der Zufallsbekanntschaft ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis zwischen Shaftesbury und Locke.

1671 beginnt Locke mit der Ausarbeitung seines erkenntnistheoretischen Hauptwerkes An Essay Concerning Human Understanding („Versuch über den menschlichen Verstand“), das er erst 1690 veröffentlichte. Ab 1672 erhielt Locke von Shaftesbury, der zum Lordkanzler ernannt wurde, mehrere Sekretärspositionen in staatlichen Einrichtungen. Doch Lockes Talente und Aktivitäten bleiben nicht auf die Diplomatie, Medizin und Philosophie beschränkt, auch die Ökonomie weckt sein Interesse. So wird er nicht nur Sekretär im Board of Trade (1673), sondern darüber hinaus auch ein erfolgreicher Investor.

Doch schon bald wird die historische Situation im England des ausgehenden 17. Jahrhunderts für Lockes Leben prägend. Als der 1642 Bürgerkrieg tobte, war Locke noch ein Kind, als sich Oliver Cromwell 1654 zum Lord Protektor mit diktatorischer Vollmacht aufschwang, war er mit seinem Studium beschäftigt, als Cromwell im Jahr seines Studienabschlusses stirbt und England aufgrund des Machtvakuums, welches das geschwächte Parlament nicht zu füllen im Stande ist, im Chaos zu versinken droht, ist Locke verzweifelt über die Lage, zieht aber zunächst eine akademische Laufbahn der diplomatischen vor. Als er dann in den Dienst Shaftesburys tritt, ist klar, dass seine berufliche Karriere nun stark von der politischen Entwicklung abhängen würde. In seiner Biographie ist bezüglich der zweiten Lebenshälfte nichts mehr ohne Rücksicht auf die herrschenden Verhältnisse zu deuten.

1675 verschärfen sich die innenpolitischen Widrigkeiten. Shaftesbury muss für ein Jahr in den Tower. Locke zieht es – auch aus gesundheitlichen Gründen (asthmatische Anfälle hatten ihm sehr zu schaffen gemacht) – vor, eine längere Reise aufs europäische Festland zu unternehmen. In diesem Verhalten spiegeln sich zwei Charaktereigenschaften, die Locke in fast allen Biographien zugewiesen werden: das Vorsichtige und das Kränkliche. Im milderen Klima von Paris erfährt er Linderung. Bis 1679 lebte Locke in Frankreich und kehrte dann nach England zurück. Die Habeas-Corpus-Akte, die jedermanns persönliche Freiheit unter richterlichen Schutz stellte, war in Kraft getreten; sein Freund Shaftesbury – wieder im Amt – war maßgeblich an ihrem Zustandekommen beteiligt.

Um 1679/80 verfasste Locke den größten Teil seiner erst 1690 publizierten Two Treatises of Government („Zwei Abhandlungen über die Regierung“), die sich an einer philosophischen Begründung der politischen Ziele Shaftesburys versuchen. Die Auffassung, Locke habe seine Two Treatises nur zur Glorifizierung der ohnehin schon „glorreichen Revolution“ von 1688 geschrieben, gilt heute mit Recht als widerlegt, wenn auch einige Passagen, wie zum Beispiel das Vorwort, mit Blick auf deren Erfolg verfasst sein mögen.

Als die geplante Revolution scheitert und die Tories die politische Oberhand gewinnen, sind Shaftesbury und andere Whigs erneut Repressalien ausgesetzt. Shaftesbury wird 1681 verhaftet, kurz darauf von einem seinen Ideen nahestehenden Gericht freigesprochen. 1682 – nach Putschplänen gegen Karl II. – ergeht erneut Haftbefehl gegen Shaftesbury, der seiner Verhaftung und Hinrichtung nur durch Flucht nach Holland entgehen kann. Dort stirbt er wenig später, bevor Locke im 1683 folgt. Sechs Jahre lang lebte Locke – zeitweise gar unter falschem Namen (bekannt sind die Pseudonyme „Dr. van der Linden“ und „John Lynne“) – in verschiedenen holländischen Städten, u. a. in Amsterdam und Utrecht.

Im Exil entstehen Vorstudien wichtiger Spätwerke, etwa zu den „Toleranzbriefen“, ferner arbeitet er an seinem epistemologischen Essay Concerning Human Understanding. Des weiteren bleibt er – bei aller gebotenen Vorsicht – politisch aktiv und engagiert sich für die englische Exil-Opposition in Amsterdam, muss allerdings hilflos die Nachricht aus England zur Kenntnis nehmen, dass – wie Shaftesbury und die Whigs befürchtet und zu verhindern versucht hatten – der katholische Bruder Karls II. (dieser hatte Locke kurz vor seinem Abtreten noch den Platz am Christ Church College in Oxford entzogen) als Jakob II. den Thron bestieg (1685) und eine Rekatholisierungspolitik einleitete.

Es herrschte Furcht vor Gegenreformation und absolutistischer Herrschaft nach französischem Muster. In Frankreich regierte seit 1643 der selbstherrliche „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., getreu dem berühmten Leitspruch absoluter Fürstengewalt: L’état c’est moi. („Der Staat bin ich.“). So wie Ludwig XIV. ein Vorbild für andere absolute Monarchen war, so war er ein Schreckensbild für alle liberalen Verfechter des Verfassungsstaats. Der Schrecken einte Tories und Whigs schließlich in dem gemeinsamen Ziel, Jakob abzusetzen. Die Parlamentarier nahmen Kontakt zu Jakobs calvinistischem Schwager, Prinz Wilhelm III. von Oranien, Statthalter der Vereinigten Niederlande auf und baten ihn um Beistand. Bereitwillig landete Wilhelm 1688 in Südengland, schließlich konnte er damit England als weiteren Widerpart gegen das aggressive Frankreich gewinnen, das Teile der spanischen Niederlande besetzt (1668 – Frieden von Aachen) und 1672 auch die Vereinigten Niederlande angegriffen hatte. Zwar hatte Wilhelm den Siegeszug der Franzosen aufhalten können, doch der 1679 geschlossene Frieden von Nijmegen war brüchig, da Ludwig seine Expansionsbemühungen weiter südlich (Elsass, Pfalz) unvermindert fortsetzte.

Jakob überließ das Land kampflos den Invasoren und floh nach Frankreich. Die Glory Revolution war ohne Blutvergießen abgelaufen und die Zeit war gekommen für einen politischen Umgestaltungsprozess: Wilhelm und Maria II. bekamen ihre Herrscherrechte nicht auf der Basis der Erbfolge, sondern eines Vertrags mit der gesetzgebenden Körperschaft zugesprochen. Verbunden mit der Absage an ein Königtum „von Gottes Gnaden“ wurde die Gesetzesbindung des Exekutivhandelns installiert.

1689 kehrte Locke nach England zurück und übernahm eine Position im Handelsministerium. Von Holland aus hatte er die Ereignisse in seiner Heimat gespannt mitverfolgt und beklagt, es ginge zu langsam voran, v. a. mit der Erstellung einer Verfassung. Ende 1689 garantiert Wilhelm dem Parlament die Bill of Rights, die zu eben jenem Grundgesetz Englands wurde. Es enthielt die Rechtsbindung des Königs und die Legislaturhoheit des Parlaments, darüber hinaus die Hoheit des Parlaments in Steuerfragen und in Fragen des Militärs sowie die Indemnität der Abgeordneten. Hinzu kamen gesetzliche Regelungen zur Unabsetzbarkeit der Richter und zur Bekenntnisfreiheit für Protestanten; 1696 erhielt England als erster Staat eine gesetzlich verankerte Pressefreiheit.

Ab 1691 lebte Locke bis zu seinem Tode größtenteils auf dem Lande, in Oates (Essex) im Hause der Mashams. In dieser Zeit veröffentlichte er zahlreiche Schriften, darunter A Letter Concerning Toleration („Ein Brief über Toleranz“, 1689-92), Some Thoughts Concerning Education („Einige Gedanken über Erziehung“, 1693) und The Reasonableness of Christianity as Delivered in the Scriptures („Die Vernünftigkeit des biblischen Christentums“, 1695). Seine beiden längst abgefassten Hauptwerke, das erkenntnistheoretische An Essay Concerning Human Understanding und das staatsphilosophische Two Treatises of Government, veröffentlichte er vor seinem Umzug nach Oates.

John Locke, dessen körperliche Schwäche in den letzten Jahren sehr zunahm, starb am 28.10.1704.

WERK

Theoretische Philosophie

Die Philosophie Lockes ist zunächst erkenntnistheoretisch orientiert und seine philosophiegeschichtliche Bedeutung – er hatte großen Einfluss auf Hume, Leibniz und Kant – stiftet sicherlich zuerst sein Essay Concerning Human Understanding.

Locke setzt sich mit den Anschauungen Descartes von den angeborenen Ideen auseinander und gelangt zu einem Sensualismus, bei dem der Begriff der Idee oder Vorstellung (idea) zentral ist. Das einzige, was direkt Gegenstand unserer Erkenntnis sein kann, sind die Ideen. Diese sind das Material der Erkenntnis und repräsentieren das, wovon sie Ideen oder Vorstellungen sind. Sie können als Zeichen (signa) verstanden werden, die die Wirklichkeit abbilden. Die Ideen werden in dieser Weise als Verbindungsglieder zwischen dem erkennenden Bewusstsein und der erkannten Wirklichkeit gedacht. Locke vertritt damit eine Repräsentationstheorie des Wissens.

Für Locke besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gültigkeit und Genese der Erkenntnis. Nach seiner Meinung nehmen die Rationalisten (z. B. Descartes) zu Unrecht an, dass bestimmte Ideen und Prinzipien, wie logische Prinzipien und allgemeingültige moralische Normen, angeboren sind. Wir werden nicht mit Ideen geboren, sondern mit einer Fähigkeit, solche Ideen zu bilden. Diese Fähigkeit ist das Erkenntnisvermögen.

Der Verstand des Menschen ist bei seiner Geburt eine tabula rasa. Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist. Alle Kenntnisse und Ideen gründen sich auf Erfahrung bzw. sinnliche Wahrnehmung. Locke unterscheidet zwei Quellen der Erfahrung. Die Sensation, die von den äußeren materiellen Dingen ausgeht und die Reflexion, die sich auf die inneren Operationen unseres Geistes bezieht. Diese Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis bei Locke begründen den Empirismus. Er kritisiert aber skeptische Ansichten hinsichtlich der Existenz einer Außenwelt, wie sie sein Landsmann Berkeley vertritt.

Als einer der Begründer des Deismus versucht Locke Glauben und Vernunft zu versöhnen. Er lehnt die Glaubenslehren im traditionellen Sinne ab und befürwortet eine rational begründete, natürliche Religion. Er verteidigt die überragende Stellung der Vernunft im Verhältnis zu Positionen des Glaubens, hält aber nichtsdestotrotz die Vernunfterkenntnis für beschränkt, so dass er den Glauben als Ergänzung der defizitären menschlichen Vernunft betrachtet. Locke zeigt sich in religiösen Fragen zudem als Verfechter einer weitreichenden Toleranz.

Praktische Philosophie

1. Ethik

Lockes Ethik ist eudämonistisch, er verwirft mit der epistemologischen Ablehnung der Vorstellung von den angeborenen Ideen gleichsam die Vorstellung, der Mensch könne moralische Prinzipien erkennen und danach handeln. Nach Locke ist dem Menschen ein Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse im Naturzustand nicht gegeben.

In seiner Arbeiten zur Pädagogik fordert Locke, dass die moralische Erziehung des Kindes sich mehr auf das gute Beispiel der Eltern stützen soll, als auf Regeln und Vorschriften. Er entwickelt die Ideen von der freundschaftlichen Beziehung zwischen Eltern und Kindern und von der Förderung ihrer natürlichen Anlagen.

2. Politische Philosophie

Lockes Hauptwerk zur politischen Philosophie sind die Two Treatises of Government (zitierter Quellentext: Two Treatises of Government. Hrsg. v. Laslett, P. E. Cambridge 1963 [dt.: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Hrsg. v. Euchner, W. Frankfurt a. M. 21977]. Zitiert wird aus der dt. Ausgabe mit „Seitenzahl [Teil, Paragraph]“).

Er macht keinen Hehl daraus, in welche Richtung seine Abhandlung gehen soll, steht doch bereits im Untertitel, dass er sich gegen die „False Principles“ des „Sir Robert Filmer and his Followers“ wenden wird; der vollständige Titel lautet: „Two Treatises of Government. In the Former, the False Principles and Foundation of Sir Robert Filmer, and his Followers, are Detected and Overthrown. The Latter is an Essay Concerning The True Original, Extent, and End of Civil Government“. Diese falschen Prinzipien Robert Filmers basieren ihrerseits auf der Theorie einer auf Gottes Gnade beruhenden Alleinherrschaft, die Locke in der ersten Abhandlung vehement angreift. In der zweiten Abhandlung stellt Locke dann sein Gegenmodell vor. Der Text wurde zu einem Klassiker liberalistischen Denkens in Politik und Wirtschaft.

Locke wurde bei der Erstellung des Textes aber nicht nur durch seine Negativvorlage, die 1680 erschiene Patriarcha Filmers und durch die politischen Gegebenheiten, die „exclusion crisis“ (1679/80), beeinflusst, sondern auch vom Gedankengut einer frühen „Menschenrechtsbewegung“, der Leveller, die ihre religiöse Ideologie des radikalen Puritanismus mit einem politischen Programm des herrschaftsfreien Innenraums für alle Bürger und der Gleichheit der Menschen hinsichtlich des Wahlrechts und innerhalb von Gerichtsverfahren verknüpfte. Die Leveller, zu denen John Lilburne, Richard Overton und William Walwyn gehörten, waren nach Ende des Bürgerkriegs (1647) als Sprachrohr der Independents-Bewegung entstanden. Die Forderung nach „Unabhängigkeit“ bezog sich auf die Trennung von Kirche und Staat, d. h. die gemeindliche Eigenständigkeit, richtete sich also gegen das Ideal der Staatskirche, das von den Presbyterianern vertreten wurde. Die Leveller übertrugen diesen Konflikt dann auf die Rolle des Parlaments und gerieten mit ihrer Forderung nach „herrschaftsfreien Räumen“ wieder in Opposition zu den Presbyterianern, die eine Präponderanz des Parlaments anstrebten. Ihnen wurde schnell vorgeworfen, einen radikalen Egalitarismus zu proklamieren, nach dem alle Menschen gleichen Besitz und gleiches Einkommen erhalten sollten. Vergeblich wehrten sich die Leveller gegen diese Polemik (schon der Name „Leveller“ ist polemisch, bedeutet er doch „Gleichmacher“), doch ließ Cromwell, selbst Puritaner und den Independents nahestehend, sie als „Radikale“ verfolgen; ihm ging v. a. die Vorstellung eines allgemeinen Wahlrechts zu weit. Zu Vorläufern Lockes macht die Leveller ihre Idee, die erhobenen Forderungen in einer Verfassung niederzulegen, welche – dem Gesetz übergeordnet – die legislativen und exekutiven Aufgaben von Parlament und Regierung festlegt und diese von den Individualrechten der Bürger abgrenzt. Ihr Ansatz einer konstitutionellen Bindung der Staatsgewalt und einer Garantie unantastbarer Bürgerrechte wird von Locke aufgenommen, der seinerseits den religiösen Hintergrund, vor dem die Leveller ihre Theorie entwickelten, ausblendet. Lockes Auseinandersetzung mit der Rolle des Staates im Verhältnis zum Individuum führt dazu, dass er – ähnlich wie die Leveller – auch das Verhältnis der Religion zum Staat überdenkt, doch liegt die Betonung auf den staatstheoretischen Bedingungen.

Seine Staatslehre entwickelt Locke, anknüpfend an Hobbes, auf der Grundlage einer Naturrechtstheorie. Während bei Hobbes der Naturzustand ein rechtloser Zustand, ein „Krieg aller gegen alle“ ist, sichert bei Locke bereits das Naturrecht dem Menschen Leben und Freiheit. Mit „Leben“ ist bei Locke etwa das gemeint, was wir mit dem Rechtsbegriff der „Unversehrtheit“ bezeichnen, also das Recht darauf, keinerlei Schädigung am eigenen Körper und der eigenen Seele zu erfahren. An anderer Stelle spricht Locke explizit von „Gesundheit“ (S. 203 [II, 6]). Freiheit wiederum äußert sich bei Locke vornehmlich darin, rechtmäßig über das Resultat seiner Arbeit zu verfügen. So gelangt er zu seinem Eigentumsbegriff, der weiter unten näher betrachten wird.

Der Naturzustand ist bei Locke nicht nur ein Zustand „vollkommener Freiheit“ aus den natürlichen Prinzipien Selbstbestimmung und Selbsterhaltung, sondern „darüber hinaus ein Zustand der Gleichheit“ (S. 201 [II, 4]), in dem alle gleichermaßen dieser Rechte habhaft werden und niemand einem anderen daran „Schaden zufügen“ darf, denn Freiheit bedeute nicht „Zügellosigkeit“ (S. 203 [II, 6]). Die Gleichheit begründet Locke im Rekurs auf Richard Hooker (1554-1600), den bedeutendsten anglikanischen Theologen der elisabethanischen Zeit, der daraus die „großen Maximen der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ableitet“ (S. 202 [II, 5]).

Die elementaren Naturrechte des Menschen (Leben, Freiheit, Besitz) werden – für die damalige Betrachtung nicht ungewöhnlich – zusammenfassend als Eigentum betrachtet (S. 253 [II, 87]). Die Begriffe „Eigentum“ und „Besitz“ werden bei Locke manchmal synonym gebraucht (etwa im Fall des Grundeigentums/Grundbesitzes, vgl. S. 219 [II, 32]), manchmal – wie in [II, 87] – erscheint das Eigentum als umfassende Bezeichnung für „Leben“, „Freiheit“ und (materiellen) „Besitz“, der an anderer Stelle auch Vermögen genannt wird (vgl. S. 278 [II, 123]). Wie im römischen Privatrecht eine scharfe Trennung zwischen Verfügungsgewalt de iure (Eigentum) und de facto (Besitz) vorzunehmen, scheint Locke unnötig, da in seinem Naturrechtsverständnis eine möglicherweise unrechtmäßige Verfügung i. S. d. römischrechtlichen „Besitzes“ nur dann vorliegt, wenn sich der Einzelne mehr nimmt, als er „genießen“ kann (S. 219 [II, 31]); dann spricht Locke jedoch nicht von „unrechtmäßiger Besitznahme“ o. ä., sondern konstruiert als Beschreibung des Phänomens den Ausdruck „unvernünftige Anhäufung über die Nutzungsgrenze“ (S. 219 [II, 31]) – ein interessanter Gedanke, der impliziert, Habgier sei nicht nur eine Form von Amoral, sondern auch von Unvernunft.

In Two Treatises of Government sagt Locke sehr wenig darüber, wie er sich das Verhältnis von Gott und Mensch, Naturgesetzgeber und Befehlsempfänger vorstellt und was genau dieses „vernünftige Naturgesetz“ bindend macht, außer, dass es „in der Seele der Menschen zu finden ist“ (S. 286 [II, 136]) und was es außer Selbstbestimmung und Selbsterhaltung beinhaltet. Das natürliche Gesetz als göttliche Regel der Vernunft befiehlt dem Menschen jedenfalls, sein Eigentum gegen Übergriffe zu verteidigen, etwaige Übergriffe so zu bestrafen, dass Täter Reue zeigen und potentielle Täter abgeschreckt werden sowie Wiedergutmachung zu verlangen, ohne dabei in Willkür zu verfallen (vgl. S. 204 [II, 8]).Bei Locke ist „die Vollstreckung des natürlichen Gesetzes in jedermanns Hände gelegt“ und „jeder [ist] berechtigt, die Übertreter dieses Gesetzes in einem Maße zu bestrafen, wie es notwendig ist, um eine erneute Verletzung zu verhindern.“ (S. 203 [II, 7]).

Beim Übergang vom Naturzustand zum bürgerlichen Zustand sei es nun nicht, wie Filmer mit Hobbes argumentiert, die absolute Monarchie als gottgegebene Herrschaftsform, welche die nötige Ordnung schaffe, die Gefahr von Krieg banne und das natürliche Gesetz in das Garantiesystem eines „politischen Körpers“ überführe, sondern ein von mündigen Bürgern freiwillig geschlossener Vertrag. Im Gegensatz zu Locke ist bei Filmer niemand im Naturzustand frei; alle Menschen sind – von Adam stammend – Kinder Gottes und als solche der „väterlichen Gewalt“ untergeordnet. Locke weist den Gedanken zurück, die absolute Herrschaft basiere auf „göttlichem Recht“ (zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Absolutismus aus biblisch-theologischer Sicht vgl. S. 266 ff. [II, 106-112]). Er wirft Filmer die unzulässige Vermengung von elterlicher und bürgerlicher Gewalt vor, die aber für ihn nichts miteinander zu tun haben (zur Unterscheidung bei Locke: S. 200 f. [II, 1-3]), bleibt doch die elterliche – Locke spricht auch nur von „väterlicher“ Gewalt – als bestimmendes Regelungssystem in der Familie auch im Staat erhalten (S. 231 ff. [II, 52-76]). Die Norm der bürgerlichen Gewalt ist dabei das Gemeinwohl, die der elterlichen Gewalt das Kindeswohl.

Lockes Gesellschaftsvertrag ist zunächst eine kollektive Verzichtserklärung der Einzelnen, die ihre natürlichen Rechte abtreten, in der Erwartung, ihre immateriellen und materiellen Besitztümer in der Gemeinschaft besser gegen Angriffe von innen und außen sichern zu können: „Die einzige Möglichkeit, mit der jemand diese natürliche Freiheit aufgibt und die Fesseln bürgerlicher Gesellschaft anlegt, liegt in der Übereinkunft mit anderen, sich zusammenzuschließen und in eine Gemeinschaft zu vereinigen, mit dem Ziel eines behaglichen, sicheren und friedlichen Miteinanderlebens, in dem sicheren Genuß ihres Eigentums und in größerer Sicherheit gegenüber allen, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehören.“ (S. 260 ([II, 95]). Es stellt sich für das Locke das Problem, dass es kaum historische Zeugnisse vergangener Vertragsschlüsse gibt, weil die Geschichtsschreibung zumeist erst nach der Gründung der Gemeinschaft einsetzt. Dennoch findet er in den „Anfänge[n] von Rom und Venedig“ prominente Beispiel, die seine Theorie empirisch stützen (S. 263 [II, 102]). Ferner führt Locke an dieser Stelle das Beispiel „Perú“ an und zitiert den Geschichtsschreiber José de Acosta, der berichtet, einige amerikanische Nationen hätten „keine festen Könige“ und wählten sich „ihre Anführer“ aus freien Stücken, „wie es die Gelegenheit jeweils erfordert“ (S. 263 [II, 102]).

Die ersten Grundsätze des Vertragsschlusses liegen damit in der Freiwilligkeit, dem freien Entschluss zur Herrschaftsübertragung, in der Wahl des Herrschers und der Entscheidungsfindung nach dem Mehrheitsprinzip, das Locke gleich an den Anfang seiner Darstellung zur „Entstehung von politischen Gesellschaften“ setzt und umfassend begründet S. 260 [II, 95-99]). Locke verweist in diesem Zusammenhang auf die Geschichte Alt-Israels und die Wahl der Könige Saul und David (S. 268 f. [II, 109]), weniger um die Notwendigkeit einer Bestätigung des von Gott eingesetzten Königs nachzuweisen, sondern vielmehr um die Rolle des Regenten als Kriegsherr zu betonen, ist doch die Furcht vor Krieg – und damit der mögliche Verlust des Eigentums – einer der wichtigsten Gründe für die Bildung der bürgerlichen Gesellschaft.

Folge dieser Herrschaftsübertragung ist die Schaffung einer legislativen und einer exekutiven Gewalt, die Gesetze zum Zweck des Schutzes der bürgerlichen Besitzstände verabschiedet (Legislative) und vollzieht (Exekutive) (S. 254 [II, 88]). Mit der Beteiligung der Bürger an Legislative und Exekutive entsteht bei Locke eine bürgerliche Freiheit, die in Analogie zur natürlichen Freiheit konzipiert ist: So wie im Naturzustand nur das Naturgesetz einschränkt, sind es in der bürgerlichen Gesellschaft die Gesetze, an deren Entstehung die Menschen mitgewirkt haben. Es sind also ihre Gesetze, die erlassen und vollstreckt werden. Damit wird nicht nur Sicherheit gewährt – das ist auch in einer absoluten Monarchie, sogar in der Diktatur, möglich –, sondern Freiheit wird gesichert. Tatsächlich ist es ferner so, dass unter einer absoluten Herrschaft nicht nur keine Freiheit möglich ist, sondern auch die Sicherheit unter dem Damoklesschwert der Willkür leidet, denn „welche Sicherheit gibt es in einem solchen Staat gegen die Gewalttätigkeit und Unterdrückung dieses absoluten Herrschers“.

Der geniale Gedanke einer Freiheitssicherung durch scheinbaren Freiheitsverzicht, aber tatsächlicher Freiheitsinstitutionalisierung, bildet den revolutionären Kern der Staatskonzeption Lockes. Es entsteht dabei nicht etwa eine Gewalt „aus dem Nichts“, welche die Garantenstellung zur Sicherung der Freiheit einnimmt, sondern die Staatsgewalt ist „nichts als die vereinigte Gewalt aller Glieder der Gesellschaft, die jener Person oder Versammlung übertragen wurde, die der Gesetzgeber ist“ (S. 284 [II, 135]), also bloß ein für die politische Arbeit handlich konfiguriertes Aggregat der im Naturzustand bereits vorhandenen, gleichwohl gegeneinander gerichteten Partikulargewalten. Dies verhindert schon konstitutiv jede Übertragung naturrechtswidriger Befugnisse, die Locke auch explizit als Gegenstand von Mehrheitsbeschlüssen ausschließt: Eben jene naturrechtlichen Besitzstände life, liberty und property. Gerade dieser Gedanke prägte Art. 1 der Virginia Bill of Rights von 1776.

Rechtstechnisch geht damit einher die Positivierung des naturrechtlichen Freiheitsbegriffs, die vertragliche Festschreibung dessen, was bislang nur „ins Herz“ und „in die Seele“ der Menschen geschrieben war. Hinzu treten wertvolle Beigaben: Das Verfassungsgebot der Gewaltenteilung einschließlich politischer Regeln für die aus Gesetzgebung und Vollstreckung bestehende Regierung (government), das Recht auf Widerstand und Revolution, falls diese Regeln verletzt werden und schließlich der Gedanke bedingter Toleranz, der das Prinzip des wehrhaften demokratischen Staates erahnen lässt. Lockes Begriff der Regierung (Legislative und Exekutive) unterscheidet sich von dem heute demokratietheoretisch üblichen, der die Regierung als Teil der Exekutive begreift und die Legislative als Kontrollinstanz der Regierung gegenüberstellt. Legislative und Exekutive zu trennen, ist für Locke eine Zweckmäßigkeit, keine Notwendigkeit. Er empfiehlt die Gewaltenteilung, weil er sich davon eine Minderung der Machtmissbrauchsgefahr verspricht, denn „bei der Schwäche der menschlichen Natur, die stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, würde es [..] eine zu große Versuchung sein, wenn dieselben Personen, die die Macht haben, Gesetze zu geben, auch noch die Macht bekämen, diese Gesetze zu vollstrecken“ (S. 291 [II, 143]). Die Legislative ist die oberste Gewalt (supream power) im Staat (S. 293 f. [II, 149]), „nämlich die Gesetzgebung“ (S. 295 [II, 151]). Locke weist an verschiedenen Stellen darauf hin, dass die Legislative der Exekutive übergeordnet ist – offensichtlich ist ihm dies wichtig. Fraglich ist, wie dann noch die angestrebte Gewaltenteilung im strengen Sinne möglich sei soll.

Die Legislative legt durch Mehrheitsentscheidung die politische Konstitution des Staateswesens (commenwealth) fest, denn ob der Staat als Demokratie, Oligarchie, Monarchie oder in einer Mischform organisiert sein soll, ist eine Frage, die von der „Anlage der gesetzgebenden Gewalt“ bestimmt wird (S. 281 [II, 132]). Was die beste Staatsform ist, lässt Locke offen, denn das ist nicht sein Thema. Die Exekutive erscheint so schwach, dass es auf ihre genaue Gestalt gar nicht ankommt; sie schrumpft zu einem Gremium operativ tätiger „Vollstreckungsbeamter“. Der entscheidende Punkt ist nur, dass die Exekutive von der Legislative eingesetzt wird; stellt sich die Exekutive gegen die Legislative – wie im Bürgerkrieg geschehen – hat das Volk das natürliche Recht, eine solche Exekutive zu beseitigen (vgl. S. 293 ff. [II, 149-153]).

Die herausragende Stellung der Legislative wird jedoch sogleich eingeschränkt: Sie hat keine „willkürliche Gewalt über Leben und Schicksal des Volkes“ (S. 284 f. [II, 135]), ist selbst an Gesetze gebunden, die „öffentlich verkündet“ und „stehend“ sein müssen (S. 285 f. [II, 136]), kann nur über die Gerichte für „Gerechtigkeit [..] sorgen“ (S. 286 [II, 136]) – nachdem bereits geklärt ist, wer die Vollstreckung der Gesetze für die Legislative vornimmt, nämlich „Beamte ihrer eigenen Wahl“ (S. 282 [II, 132]).Die Legislative darf „keinem Menschen einen Teil seines Eigentums ohne seine eigene Zustimmung wegnehmen“ (S. 288 [II, 138]) und schließlich ist es ihr untersagt, die ihr vom Volke verliehene Macht „den Händen anderer“ zu übertragen, denn sie kann „Gesetze [..] geben, nicht aber Gesetzgeber [..] schaffen“ (S. 290 [II, 141]). Zur Judikative sagt Locke sonst wenig. Ihm schwebt eine Regierung aus Legislative und Exekutive vor, die nach den Prinzipien der „Einsetzung der Gesetzgebung“ und der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ funktioniert; eine richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Organhandelns ist nicht vorgesehen.

Die der Gesetzgebung untergeordnete Exekutive hatte neben dem „Vollzug der Gesetze“ und einer „gesetzmäßigen Verwaltung“ das Recht, die Legislative bei Bedarf einzuberufen, denn „es ist nicht notwendig und nicht einmal angebracht, daß die Legislative dauernd im Amte bleibt“ (S. 296 [II, 153]). Die Exekutive ihrerseits musste jedoch stets „im Amte sein“, da es zwar nicht notwendig sei, ständig neue Gesetze zu erlassen, sehr wohl aber, „die bereits erlassenen [..]“ zu vollziehen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Exekutive mit dieser Einberufungsbefugnis die Legislative nicht de facto außer Kraft setzten kann, indem sie „verhindert, daß die Legislative zusammentritt und handelt“. Hier greift Lockes Verfassungsgrundsatz des Vertrauens (trust) ein: Das Volk setzt sein Vertrauen in die Regierung; wird dieses missbraucht, darf es Widerstand leisten und die tatsächlich beabsichtigten Verhältnisse – nämlich die Errichtung einer für die Sicherheit und Erhaltung des Volkes zeit- und sachgerecht funktionierenden Gesetzgebung – gewaltsam herstellen. Weigert sich die Exekutive also, ohne dazu vom Volk bevollmächtigt zu sein, die Legislative einzuberufen, „so bedeutet das dem Volk gegenüber die Erklärung des Kriegszustands, und das Volk hat ein Recht darauf, seine Legislative wieder in die Ausübung ihrer Gewalt einzusetzen“ (S. 297 f. [II, 155]). Näheres zu den Sitzungsperioden bestimmt bei Locke die Verfassung oder das Parlament durch einen „eigene[n] Tagungsbeschluß“ (S. 296 [II, 153]).

Der Exekutive obliegt ferner die Föderative und die Prärogative als zusätzliche „Gewalten“. Die Föderative hat „für die Sicherheit und die Interessen des Volkes nach außen“ (S. 292 [II, 147]) zu sorgen und umfasst mit der „Gewalt über Krieg und Frieden, über Bündnisse und all die Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staates“ (S. 292 [II, 146]) das völkerrechtlich relevante Regierungshandeln; die Prärogative ermöglicht es der Exekutive, ohne Gesetzesgrundlage zu handeln oder sogar gegen positives Recht – nicht aber gegen Naturrecht – zu verstoßen, wenn dies „für das öffentliche Wohl“ notwendig ist, etwa in Notstandssituationen (S. 301 f. [II, 159-161], S. 304 [II, 164] u. S. 306 [II, 166]). Die Abgrenzung zur absoluten Willkürherrschaft ist eine materielle und liegt im Begriff des Gemeinwohls verborgen, der „weise Fürst“ gebraucht die Prärogative zum Wohl, der absolute Monarch zum Schaden des Volkes, wobei eine letztgültige Entscheidung über die rechtmäßige Ausübung der Prärogative nicht „auf Erden“ erfolgen kann, sondern in Bezug auf göttliches Recht, denn „wo das Volk keinen Richter auf Erden hat, bleibt ihm kein anderes Heilmittel, als den Himmel anzurufen“ (S. 306 [II, 168]).

Allerdings bleibt dem Volk in der Verknüpfung von Recht und Risiko nicht allein der Gebetsappell in der Hoffnung auf ein Gottesurteil. Locke entwickelt – ausgehend von den Verfassungsgrundsätzen der „Einsetzung der Gesetzgebung“, der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ und der Gemeinwohlorientierung des Regierungshandelns insgesamt – eine Rechtfertigung des Widerstands, d. h. der Revolution. Ein gewaltsamer Widerstand ist legitim bei Übergriffen der Legislative auf das Eigentum im weitesten Sinne und bei einem Vertrauensbruch durch die Exekutive, etwa indem diese versucht, die Legislative durch Weigerung der Einberufung, Änderung des Wahlmodus, unbegründete Gesetzesänderungen und / oder -verstöße sowie unangemessene Eigenmächtigkeit zu umgehen. Ein solches aktives Widerstandsrecht war in der englischen politischen Theorie neu, obwohl es während des Bürgerkriegs de facto zu einem Widerstandskrieg des Parlaments gegen König Karl I. gekommen war. Zur Sicherheit im Staat tritt also die Sicherheit vor dem Staat, wenn dieser gegen die Interessen des Volkes agiert. Es herrscht also auch nach der vertrauensvollen Übergabe der Gewalt grundsätzlich eine Skepsis den Machthabern gegenüber. Dieses Misstrauen wird zum Ursprung des liberalen Rechtsstaates.

Der „liberale Rechtsstaat“ entsteht bei Locke aus dem Geist bedingter Toleranz, die sich dabei nicht nur in der Rechtsstaatlichkeit als solcher zeigt, also darin, dass Gesetzgeber und Regent den Volkswillen „tolerieren“ und entsprechend bei Gestaltung und Vollzug des Rechts umsetzen, sondern auch in den Grenzen der Übertragbarkeit von Rechten. Der verfassungsgemäß eingerichtete Staat hat nämlich durch den Sozialvertrag nicht das Recht, für die seelischen Belange seiner Bürger zu sorgen; ein „Gottesstaat“, der qua lege zu einem bestimmten Glauben zwingt, wird damit unmöglich; schon Cromwell hatte 1647 im Agreement for the People den Satz formuliert: „Religionssachen und die Weise, Gott zu verehren, werden von uns durchaus keiner menschlichen Gewalt anvertraut.“ (IV, 1). Bedingt ist die Toleranz deshalb, weil sie sich nicht auf den Atheismus erstreckt und keine staatsgefährdenden Lehren geduldet werden.

In die politische Theorie John Lockes ist also die Wurzel der Rechtsstaatlichkeit mit ihren unverzichtbaren den Komponenten Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit ebenso zu entdecken wie Ansätze einer wehrhaften Demokratie mit Wahlrecht und Mehrheitsentscheidungen sowie eines Parlamentarismus’, der die Kontrolle der Verwaltung durch Gewaltenteilung ermöglicht. Aber auch die Abwehr von Übergriffen des Staates auf den Bürger wird in Lockes politischer Theorie verhandelt und manifestiert sich in einem liberalen Widerstandsrecht. Aus dem Sozialvertrag erwachsen mithin Gedanken, die etwa ein Jahrhundert später im Verfassungs- und Menschenrechtsdiskurs in den USA zur politischen Reife gelangen und Aufnahme in die Virginia Bill of Rights und die Declaration of Independence (beide 1776) sowie die Verfassung der USA von 1787 fanden.

3. Wirtschaftsphilosophie

Um Lockes Verständnis von Eigentum zu erfassen, ist es wichtig, zwei Ebenen der Entwicklung im Blick zu halten: Erstens die Entwicklung vom Eigentumsbegriff im umfassenden Sinn zum materiellen Eigentum, zweitens die Entwicklung vom materiellen Gemeineigentum zum materiellen Privateigentum. Beide Entwicklungen finden dabei zeitlich aufeinander folgend statt, das materielle Eigentum folgt dem ursprünglichen Eigentum an Leib und Leben ebenso wie das Privateigentum dem Gemeineigentum.

Locke geht davon aus, dass die Welt den Menschen ursprünglich als Gemeinschaftsbesitz gegeben war. Dass die Menschen überhaupt einen Anspruch auf materielles Eigentum an ihrer Lebensumgebung erwerben konnten, erhellt sich für ihn daraus, dass sie, sobald geboren, ein Recht auf Selbsterhaltung haben, „auf Speise und Trank und alle anderen Dinge, die die Natur für ihren Unterhalt hervorbringt“ (S. 215 [II, 25]). Von Natur aus besaßen sich die Menschen selbst (self-ownership), d. h. ihr Leben und ihre Freiheit, ohne staatliche Rechtseinsetzung, allein durch göttliche Verleihung. Als Beleg verweist er auf die biblische „Verleihung Gottes“ an „Adam, Noah und seinen Söhnen“ („Der Himmel ist der Himmel des Herrn, die Erde aber gab er den Menschen.“; Ps 115, 16). Aus dem Eigentum am eigenen Leben folgt notwendig das Eigentum an lebenserhaltenden Sachen (possession).

Der Übergang zum Privateigentum (property) geschieht einerseits als Naturrechtsbestimmung einer individuellen Rechtsgütersphäre aus unveräußerlichen immateriellen Eigentumsrechten (Leben, Gesundheit, Freiheit) und andererseits als materielle Besitznahme über die Instanz der „Aneignung durch Arbeit“. Die Arbeit bildet die Schnittmenge zwischen den freien Gütern der Außenwelt und dem eigenen personalen Körper, der ja als Besitz des Selbst bereits qua natura als Privateigentum anerkannt ist, denn jeder Mensch hat „ein Eigentum an seiner eigenen Person“ (S. 216 [II, 27]), das ihm nicht abgesprochen werden kann. Alles, was nun der Körper hervorbringt, etwa durch das Werk der Hände, gehört daher ebenfalls dem Menschen als Privatperson. Aus dem Recht, das jeder Mensch an seinem Körper hat, folgt das Recht auf die Früchte, den „Ertrag seines Körpers“ durch Arbeit, denn schließlich ist auch die Arbeit als spezielle Ausdrucksform seiner Körperlichkeit und seines Person-Seins Bestandteil des ursprünglichen immateriellen Eigentums an seiner Person und somit das, was sie – die Arbeit – hervorbringt, entsprechend ebenfalls sein persönlicher Besitz, besser: sein materielles Privateigentum.

Die Aneignung durch Arbeit geschieht über ihre Veredelungs- und Individualisierungsfunktion. Durch Eingriff in die Natur wird dieser „etwas eigenes hinzugefügt“, das im Zustand der Unberührtheit nicht vorhanden war, wodurch der Arbeitende den auf diese Weise veredelten Teil der Natur „zu seinem Eigentum gemacht [hat]“, was zugleich bedeutet, dass es dem Zugriff anderer Arbeitender entzogen ist; „niemand außer ihm“, dem ersten, der sich durch Arbeit einen Teil der Natur angeeignet hat, kann ein Recht auf diesen fraglichen Teil haben (S. 216 f. [II, 27]). Das Sammeln von Eicheln etwa verschafft das Eigentum an diesen gesammelten als Teil von allen verfügbaren, ein Eigentum, dass dem Sammler die ausschließliche Verfügungsgewalt über diese Eicheln verleiht, verbunden mit dem Recht, sie ganz allein zu nutzen, also zu essen, ohne dass andere ihm dazu eine Erlaubnis hätten geben müssen. Für den Fall der Knappheit natürlicher Ressourcen macht Locke die entscheidende Einschränkung: „Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt.“ (S. 217 [II, 27]). Hier liegt die Krux des Aneignungskonzepts: die Güterallokation unter Knappheitsbedingungen. Teilweise wird das Problem durch den Appell, nicht mehr „anzuhäufen“ als man braucht (vgl. S. 218 [II, 31]) zu lösen versucht, doch spätestens mit Einführung des Geldes und der Tauschwirtschaft entstehen Begehrlichkeiten, die über das Maß des Eigenverbrauchs hinausgehen. Letztlich endet der Naturzustand bei Locke im Krieg und es bedarf des Staates, die Verteilungsverhältnisse zu schützen. Betrachtet man Ressourcen- und Landkonflikte unserer Zeit, oder auch die grundsätzliche ökonomische Problematik des Nord-Süd-Konflikts, dann gilt stets: einer Seite verbleibt „nicht genug“ und keinesfalls „ebenso gutes“ als Rest vom Ganzen, nachdem sich die andere Seite ihren Teil angeeignet hat. Und das liegt eben nicht daran, dass es nicht genug gäbe, sondern dass sich diese „andere Seite“ zuviel genommen hat, d. h. mehr als sie „zu irgendeinem Vorteil […] gebrauchen kann, bevor es verdirbt“ (S. 219 [II, 31]), was bei Locke einen Straftatbestand erfüllt: „Wer […] so viele wilde Früchte sammelte, so viele Tiere tötete, fing oder zähmte, wie er dazu in der Lage war, und so seine Mühen auf die wildwachsenden Produkte der Natur verwandte, um sie durch seine Arbeit ihrem natürlichen Zustand irgendwie zu entziehen, erwarb sich dadurch an ihnen ein Eigentum. Wenn sie jedoch in seinem Besitz zugrunde gingen, ohne richtig genutzt zu werden, wenn die Früchte verfaulten oder das Wild verweste, bevor er sie verbrauchen konnte, so verletzte er das gemeinsame Gesetz der Natur und machte sich strafbar. Er beeinträchtigte den Anteil seines Nachbarn, denn sein Recht an diesen Dingen ging nicht weiter, als es seine Nutzung an ihnen erforderte oder als sie ihm zur Annehmlichkeit des Lebens dienen konnten.“ (S. 223 [II, 37]).

Das Prinzip Aneignung durch Arbeit wird sowohl auf die direkte Aneignung von freien Gütern bezogen als auch auf die Aneignung eines bestimmten Grund und Bodens durch Bearbeitung und Bebauung, denn was für Eicheln galt, galt sinngemäß auch für Grund und Boden: Im Naturzustand liegt die Welt unkultiviert da, die Menschen nehmen rechtmäßig brachliegendes, ungenutztes Land in ihren Besitz und die Arbeit auf diesem Land begründet einen Rechtsanspruch auf Privateigentum an dem kultivierten Boden (S. 219 f. [II, 32-34]). Der Rechtsanspruch auf Landbesitz kann gar nicht anders entstehen, als dadurch, dass jemand das Land für sich nutzt (vgl. S. 222 [II, 36]). Hier liegt die Begrenzung der naturrechtmäßig maximal anzueignenden Fläche in der Bearbeitungs- bzw. Nutzungsfähigkeit: „Das Maß des Eigentums hat die Natur durch die Ausdehnung der menschlichen Arbeit und durch die Annehmlichkeiten des Lebens festgesetzt. Keines Menschen Arbeit konnte sich alles unterwerfen oder aneignen und sein Genuß konnte nicht mehr als nur einen kleinen Teil verbrauchen. […] Dieses Maß beschränkte den Besitz jedes Menschen auf einen sehr bescheidenen Anteil, nämlich auf das, was er sich aneignen konnte, ohne irgendjemandem einen Schaden zuzufügen.“ (S. 221 [II, 36]). Locke schafft dabei mit dem Schluss vom göttlichen Unterwerfungsgebot zur eigentumsrechtlichen Aneignungsvollmacht nicht nur das Privateigentum auf Grundbesitz als Rechtsfigur, sondern auch die Verbindung von „Kultivierung der Erde“ und „Ausübung von Herrschaft“ (S. 221 [II, 35]).

Mit einem so verstandenen Eigentumsbegriff kommt es nach Locke zu positiven Rückwirkungen für das Gemeinwohl. Denn die Bearbeitung und Nutzung des damit gleichsam in aller Bescheidenheit bemessenen eigenen Landstücks hält nicht nur die anderen Privatpersonen schadlos, sondern Locke ist gewiss, dass die Kultivierung dieses Grundeigentums der Gemeinschaft insgesamt nützt, denn was habe diese von einem brachliegenden Acker? Mit der Bebauung verbindet er den positiven Effekt der Wertsteigerung, die letztlich allen zugute kommt: „Ja, die Ausdehnung von Grund und Boden ist ohne die Bearbeitung von einem so geringen Wert, daß sogar, wie man versichert, in Spanien ein Mensch ungestört auf einem Stück Land pflügen, säen und ernten darf, auf das er keinen anderen Rechtsanspruch hat, als daß er es für sich nutzt. Im Gegenteil, die Einwohner fühlen sich demjenigen sogar zum Dank verpflichtet, weil er durch seinen Fleiß auf dem vernachlässigten und folglich brachliegenden Land den notwendigen Getreidevorrat vergrößert hat.“ (S. 222 [II, 36]).

Jeder, der Land bebaut, vermehrt die auf Erden befindlichen Güter beträchtlich. Der Mehrwert an Erträgen eines bebauten Stück Landes im Vergleich zum brachliegenden ist nach Locke immens: Wertsteigerungen um das Zehnfache, wenn nicht Hundertfache ergeben sich aus der Bearbeitung des Landes (S. 223 [II, 37]). Damit wird Arbeit zur eigentlichen Quelle des menschlichen Wohlstands. Fast alle Güter erhalten nach Locke den größten Teil ihres Wertes aus der Arbeit. So verdanken die Produkte des Gebrauchs „in den meisten Fällen neunundneunzig Hundertstel“ (S. 225 [II, 40]) der in sie hineingegebenen Arbeit, und nur noch ein Prozent Natur lässt sich in ihnen vorfinden. Locke erläutert diese überspitzt scheinende 99:1-Verteilung am Beispiel von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. Betrachte man etwa Brot, Wein und Kleidung, so erklärt er, dass es die investierte Arbeit sei, die ermögliche, dass wir nicht – zumindest nicht ausschließlich – Eicheln essen, Wasser trinken und Felle tragen müssten, Güter also, welche uns die Natur ohne weiteres zur Verfügung stellt, denn „was Brot mehr wert ist als Eicheln, Wein als Wasser und Tuch oder Seide als Blätter, Felle oder Moos, ist ganz und gar der Arbeit und dem Fleiß des Menschen zu danken.“ (S. 226 [II, 42]). Lockes Eigentumskonzept basiert also auf einer Arbeitswerttheorie, die ökonomische und politische Wirkung entfaltet.Wie eng bei Locke ökonomisches und politisches Denken zusammenhängen, zeigt sich daran, dass er aus der Annahme, der wahre Wert eines Dinges oder des Bodens werde vom Menschen dem qua natura fast wertlosen Ding oder Boden hinzugefügt, zentrale Maxime politischen Handelns ableitet: „Dies zeigt, wie sehr eine große Zahl der Bevölkerung der Größe des Herrschaftsgebietes vorzuziehen ist, und daß die Erschließung des Landes und seine richtige Nutzung die große Kunst der Regierung ist.“ (S. 226 [II, 42]).

Lockes Überlegungen zum „Gemeinnutzen ohne Gemeinwohlorientierung“ sind aber nur dann sinnvoll, wenn die Früchte des Ackers allen zur Verfügung gestellt werden, als Tauschgut. Denn was hätte eine Dorfgemeinschaft vom Anbau einer Frucht auf einem bisher brachliegenden Acker, wenn die Ernteerträge ihnen nicht in irgendeiner Form zuteil würden? Um diese Verteilung zu organisieren und um dabei nicht die verderbliche Frucht A gegen eine ebenso verderbliche Frucht B tauschen zu müssen (Locke nennt das Beispiel Pflaumen und Nüsse, wobei letztere immerhin eine wesentlich längere Haltbarkeit haben; die Tendenz geht also vom Tausch des unbeständigen zum beständigen Gut (vgl. S. 225 [II, 40]), ein Geschäft, das für alle große Verluste bedeutet hätte, haben die Menschen das Geld eingeführt, als „beständige Sache, welche die Menschen, ohne daß sie verdarb, aufheben und nach gegenseitiger Übereinkunft gegen die wirklich nützlichen, aber verderblichen Lebensmittel eintauschen konnten“ (S. 225 [II, 40]). Mit dem Geld erfolgt ein Paradigmenwechsel in der Arbeit und der Eigentumsgrenze der Menschen: Sie arbeiten nicht mehr unmittelbar für sich selbst, sondern für den Markt, auf dem sie die Produkte ihrer Arbeit verkaufen können. Der Schritt von der Selbstversorgung zur Marktorientierung ist ein entscheidender in der wirtschaftlichen Entwicklung. Ferner stellt Geld das konstituierende Moment liberalistischer Wachstumsphantasie dar, fällt doch die naturrechtliche Akkumulationsgrenze, die in der unmittelbaren Eigenverbrauchsbestimmung liegt, weg. Denn mit dem Geld kam eine neue Dimension in das ökonomische Spiel der Kräfte: Geld ist beständig, es verdirbt und verfault nicht; man kann es aufheben und in einem großen Maße anhäufen. Dies gab den Menschen die Gelegenheit, ihren Besitz beständiger zu machen und ihn quasi ohne begründetes Limit zu vergrößern, denn was könnte nunmehr eine Grenze darstellen?

Ob Geld für Locke ein Wohl oder ein Übel ist, wird nicht ganz deutlich. Er sieht einerseits, dass damit die alte naturrechtliche Bescheidenheit verloren geht und neue Habgier Kriege auslöst, andererseits habe der Mensch freiwillig begonnen, eine monetäre Bemessung der Güter vorzunehmen, als Äquivalenzbildung zwischen einem verderblichen und einem nicht-verderblichen Gut. Damit hat der Mensch aus Freiheit dem Geld einen Eigenwert verliehen, obwohl es nur als Tauschmittel fungiert und damit seinen Wert nur aus der Erwartung des Nutzens dessen, was gegen Geld eingetauscht wird, gewinnen kann. Geld ermöglicht Besitzbildung, und Locke sieht unter den beschriebenen Gegebenheiten ein „Recht“ auf diesen Besitz. „Das aber wage ich kühn zu behaupten: dieselbe Regel für das Eigentum, nämlich daß jeder Mensch so viel haben sollte, wie er nutzen kann, würde auch noch heute, ohne jemanden in Verlegenheit zu bringen, auf der Welt gültig sein, denn es genug Land, das auch für die doppelte Anzahl von Bewohnern noch ausreicht, wenn nicht die Erfindung des Geldes und die stillschweigende Übereinkunft der Menschen, ihm einen Wert beizumessen (durch Zustimmung), die Bildung größerer Besitztümer und das Recht darauf mit sich gebracht hätte.“ (S. 222 [II, 36]).

Durch die Einführung des beständigen und damit sammelfähigen Geldes sowie des freien Marktes wird nach Locke der Unterschied zwischen armen und reichen Menschen erst möglich. Diesen Unterschied hält Locke mit Blick auf die Freiwilligkeit der Übereinkunft für legitim. Durch diese Übereinkunft, die von allen Menschen getragen wird, hätten sich auch alle mit den Folgen der Geldwirtschaft einverstanden erklärt: „Da aber Gold und Silber, die im Verhältnis zu Nahrung, Kleidung und Transportmöglichkeiten für das Leben des Menschen von geringem Nutzen sind, ihren Wert nur von der Übereinkunft der Menschen erhalten haben, […] ist es einleuchtend, daß die Menschen mit einem ungleichen und unproportionierten Bodenbesitz einverstanden gewesen sind. Denn sie haben durch stillschweigende und freiwillige Zustimmung einen Weg gefunden, wie ein Mensch auf redliche Weise mehr Land besitzen darf als er selbst nutzen kann, wenn er nämlich als Gegenwert für den Überschuß an Produkten Gold und Silber erhält […]. Diese Verteilung der Dinge zu einem ungleichen Privatbesitz haben die Menschen […] nur dadurch ermöglicht, daß sie Gold und Silber einen Wert beilegten und stillschweigend in den Gebrauch des Geldes einwilligten.“ (S. 230 f. [II, 50]).

Die Entstehung und gleichzeitig Rechtfertigung des Privateigentums erfolgt bei Locke also in drei Schritten: Zunächst war die Welt Gemeinschaftsbesitz. Aus diesem Gemeinschaftsbesitz eigneten sich die Menschen durch Arbeit die Teile an, die sie selbst nutzen konnten. Durch die Einführung des Geldes konnten die Menschen ihrem Besitz Dauer verleihen und über die Selbstnutzungsgrenze anhäufen, indem sie die Überschüsse auf dem freien Markt verkauften. Der Wert des Geldes wird durch Übereinkunft festgelegt, wobei sich die Menschen mit ihrer Zustimmung zur Einführung und Gültigkeit des Geldes gleichsam auch mit den ungerechten Folgen der Geldwirtschaft einverstanden erklärten. So sind bei Locke Besitzunterschiede gerechtfertigt.

Locke sieht in der Geldwirtschaft die Fortsetzung der naturrechtlichen Wirtschaftsweise mit anderen, in jedem Falle sinnvollen Mitteln und verkennt dabei, dass Geld Ungerechtigkeiten erzeugt, sondern. Was Marx und Engels später als Erkenntnis gewannen, und was auch in der Globalisierung gültig zu sein scheint, nämlich dass das freie Spiel der Marktkräfte die Anhäufung des Kapitals in den Händen weniger bewirkt, während eine große Masse verarmt, hat Locke auf seine Art schon vorweggenommen, ohne die soziale Frage aufzuwerfen. Das ist, meine ich, seine Schwäche: Er redet dem zu seiner Zeit aufstrebenden bürgerlichen Kapitalismus zu sehr nach dem Mund und verrät nicht zuletzt das Gleichheitsideal seiner ideologischen Vorgänger, der Leveller.

Weder die naturrechtliche Zustimmung der Gesellschaft, noch die positiv-rechtliche Zuweisungen von Staats wegen spielen in Lockes Eigentumskonzept eine Rolle. Eine Zustimmung aller Menschen zu dieser Besitzergreifung ist nach John Locke nicht nötig, um den Besitz endgültig zu legitimieren. Locke argumentiert an dieser Stelle auch pragmatisch, ist es doch unmöglich, die Zustimmung aller Menschen einzuholen, bevor man einen Apfel pflückt und isst oder ein Tier jagt: „War es ein Raub, sich etwas anzumaßen, was allen gemeinsam gehört? Wäre eine solche Zustimmung notwendig gewesen, so wären alle Menschen verhungert, ungeachtet des Überflusses, den Gott ihnen gegeben hat. […] Es hängt nicht von der ausdrücklichen Zustimmung aller Mitbesitzer ab, wenn wir diesen oder jenen Teil nehmen.“ (S. 217 [II, 28]). Eigentum ist im Naturzustand unter den gegebenen Voraussetzungen (Arbeit) und bei den gegebenen Einschränkungen (Nutzung) generiert worden, der Staat hat nun ausschließlich die Aufgabe, diesen vorgefundenen Zustand auch unter den Prämissen der geldgesteuerten Marktwirtschaft bedingungslos zu schützen. Hier verbirgt sich der entscheidende Aspekt marxistischer Kritik an Lockes Wirtschaftsliberalismus, bleibt doch dem Staat die steuernde, umverteilende, im Extremfall auch enteignende Machtfunktion versagt. Ihm bleibt lediglich übrig, die vorhandenen Besitzstände zu schützen, ohne Rücksicht auf ihre ökonomisch sinnvolle Allokation und ihre gerechte Verteilung. Qualitativ und quantitativ darf Lockes Staat keine verändernden Eingriffe tätigen.

Lockes Eigentumstheorie im umfassenden, personalen Verständnis des Begriffs, von ihm selbst das „Eigentum im eigentlichen Sinne“ (S. 216 [II, 27]) genannt, führt direkt in den Verfassungs- und Menschenrechtsdiskurs des politischen Liberalismus hinein; seine Rechtfertigung des Privateigentums ist Grundlage des Wirtschaftsliberalismus. In diesen praxisrelevanten Optionen politischer Gesellschaftsgestaltung bleibt John Lockes praktische Philosophie lebendig.

(Josef Bordat)

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