Haben Tiere eine Seele?

10. März 2011


Benno Kirsch vertritt nach einer Analyse von einschlägigen Bibelstellen, lehramtlichen Verlautbarungen, traditioneller thomistischer Metaphysik und zeitgenössischer Theologie sowohl katholischer als auch evangelischer Denomination die Ansicht: Ja, auch Tiere haben eine Seele. Als „Geschwister mit anderem Sprachkodex“ teilten sie mit dem Menschen die „Erlösungsbedürftigkeit“. Zusammen bildete die Schöpfung eine „Schicksalsgemeinschaft“.

Ein Gastbeitrag von Dr. Benno Kirsch

In einem Gleichnis treibt Jesus Dämonen aus einem jungen Mann aus, die sodann in eine Herde von 2.000 Schweinen fahren. Die Schweine rasen auf eine Klippe zu, stürzen in den See Gennesareth und ertrinken – das ist Massenmord und typisch für das Christentum, zürnt der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner. Tiere, meint er, waren bei den Kirchen schon immer schlecht aufgehoben. Er und andere Tierschützer haben deshalb gewisse Probleme mit den Kirchen und machen ihnen schwere Vorwürfe. „Dass die Tiere in unserer Gesellschaft millionenfach so unsagbar leiden müssen, ist nicht zuletzt auf die gefühllose Haltung der beiden großen Kirchen gegenüber den Tieren zurückzuführen. Jahrhundertelang und bis heute sprechen beide Kirchen den Tieren die Seele ab – und auch die Gefühle,“ heißt es auf einer entsprechenden Internetseite.

Doch für die Behauptung, dass Tiere eine Seele haben, spricht bereits die Erfahrung, sagen Tierschützer. Kann denn, wer je einem lieben Haustier in die Augen gesehen hat, davon ausgehen, sie könnten nicht Freude, Angst oder Schmerz empfinden? Verbittert nehmen sie zur Kenntnis, dass schon René Descartes ganz anderer Meinung war: „Tiere sind nichts als seelenlose Maschinen, Automaten; der Hauptgrund warum sich ihnen eine Seele absprechen lässt, liegt in dem Mangel an Sprache.“ Und damit begann, meinen die Tierfreunde, eine unheilvolle Entwicklung, die in die Ausbeutung der Natur, Tierquälerei und dergleichen Grausamkeiten mehr mündete. Und die Kirche habe durch ihre Lehre den Boden dafür bereitet.

Rechtfertigen die Kirchen Tierquälerei aus theologischen Gründen? Tatsächlich heißt es beispielsweise im Katechismus der katholischen Kirche: „Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig, weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten.“ Das Tier ist dem Menschen untergeordnet und darf zur Befriedigung seiner Bedürfnisse genutzt werden, sagt der Katechismus.

Dass sich Tierschützer wegen ihrer Vernachlässigung der Tiere von der Kirche abwenden, betrübt Holger Janke, der als evangelischer Pfarrer aktiv in der kirchlichen Tierschutzbewegung ist. Auch er beklagt die Ignoranz der beiden Amtskirchen für die Belange des Tierschutzes, die doch eigentlich wissen müssten, dass die Sündengeschichte nur die Menschen betreffe, aber nicht die Tiere, und dass überhaupt Tieren in der Bibel ein eigener Wert zugesprochen werde. Doch leider hätten die Theologen bis vor wenigen Jahren die Frage nach dem Tier verdrängt und sich darauf beschränkt, den Menschen als „Krone der Schöpfung“ darzustellen – obwohl davon in der Bibel doch gar nicht die Rede sei. Mit Albert Schweitzer beklagt Janke, dass die Kirchen dafür gesorgt hätten, „dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“

Glücklicherweise habe die Theologie in den letzten Jahren die Bedeutung der Tiere akzeptiert, und die Frage, ob Tiere eine Seele hätten, werde inzwischen einhellig mit „Ja“ beantwortet. Die Bibel enthalte zahlreiche entsprechende Anhaltspunkte. So seien die Tiere gemäß Schöpfungsbericht sogar noch vor den Menschen geschaffen worden, und der Bewahrungsauftrag an den Menschen im ersten Buch Mose (Kapitel 1, Vers 28) verbiete die Ausbeutung der Kreatur. Dem Menschen werde dort zunächst sogar die vegetarische Ernährung vorgeschrieben. Janke weist darauf hin, dass die moderne Wissenschaft darüber hinaus herausgefunden habe, dass Mensch und Tier, biologisch gesehen, nicht weit voneinander entfernt seien; Tiere seien unsere „Geschwister mit anderem Sprachkodex.“ Deshalb spreche die moderne Theologie den Tieren einen Eigenwert zu und habe sich von der Philosophie Thomas von Aquins und Descartes’ abgewendet.

Ist der Tierschutz von der Kirche vernachlässigt worden? Hat sie die Seele der Tiere neu „entdeckt“? Nein, ist sich Wolfgang Kessler, Emeritus an der Uni Frankfurt, sicher. Zwar würden manchmal sogar Kirchenvertreter die Auffassung vertreten, Tiere hätten keine Seele, doch würden sie mit dieser Behauptung von der offiziellen Lehre der katholischen Kirche abweichen, erklärt er. Denn spätestens seit Thomas von Aquin vertrete die Kirche sehr wohl die Auffassung, dass Tiere eine Seele hätten, und sei davon nicht abgerückt. Thomas habe drei Arten unterschieden: die „anima vegetativa“ der Pflanzen, die „anima sensitiva“ der Tiere und die „intellektive“ bzw. die Vernunftseele der Menschen. Für Thomas befänden sich die Tiere mit den Menschen in einer Schicksalsgemeinschaft, die erlösungsbedürftig sei.

Dass diese Lehre von der Kirche vernachlässigt worden ist, will Kessler nicht bestreiten. Aber, betont er, man dürfe die Verunklarung beispielsweise durch Kritiker nicht mit der echten Lehre verwechseln. Es sei gegenwärtig ein Trend zu beobachten, die Kirche zu diffamieren und ihr Positionen zu unterstellen, die sie gar nicht vertrete. So strotze beispielsweise die aktuelle Religionskritik eines Richard Dawkins („Der Gotteswahn“) von Klischees, so dass eine Auseinandersetzung mit ihr fast unmöglich werde – weil er keine echten Argumente vortrage. Dawkins und andere Biologen gehe es vor allem darum, die Differenz zwischen Mensch und Tier einzuebnen, und dazu nutzten sie den Vorwurf, die Kirche werte die Tiere ab.

Was der evangelischer Pfarrer und der katholische Wissenschaftler sagen, hat sich offensichtlich noch nicht überall herumgesprochen. Die Umfrage einer Internet-Zeitung unter 27 deutschen Bischöfen brachte ein deutliches Ergebnis. Auf die Frage „Wo hat Jesus denn gesagt: Tiere haben keine Seele?“ seien sich die Befragten weitgehend einig gewesen, dass die Seele allein den Menschen auszeichnet, weil nur der Mensch mit Gott kommunizieren könne. So antwortete beispielsweise der Bischof von Fulda, Heinz J. Algermissen: „In der Sprache der Theologie des Christlichen Glaubens wird in der Tat der Begriff ‚Seele’ einzig und allein dem Menschen zuerkannt.“ Kessler und Janke haben noch viel Aufklärungsarbeit vor sich.

Benno Kirsch

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