Religion und…

28. Juni 2013


Der Bertelsmann-Religionsmonitor 2013 liefert Daten, um zu verstehen, was verbindet.

Es gibt eine umfangreiche Studie zum Thema Religion, den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung vom April 2013, für den 14.000 Menschen in 13 ausgewählten Ländern zu ihren religiösen Einstellungen befragt wurden, um ein größeres Verständnis im Hinblick auf die Gretchenfrage zu erlangen, denn, so lesen wir im Vorwort der Studie: „Religion ist und bleibt eine bedeutsame soziale Wirkkraft. Wenn wir auch zukünftig in Vielfalt und Freiheit miteinander leben wollen, dann müssen wir die Religion und ihre Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklung besser verstehen.“ (S. 7).

Erste Reaktionen der Katholischen Kirche betonen die nach vor prägende Rolle der Religion („Auch in Deutschland und Europa ist die Mehrheit der Menschen religiös.“), während die Evangelische Kirche auf die Offenheit der Deutschen verweist. Von Migrantenorganisationen wird dagegen die Angst vor dem Islam thematisiert, die sich im Zuge der Erhebung als weit verbreitet herausgestellt hat – nicht nur in Deutschland. Ich will nachfolgend einige Aspekte der Studie hervorheben, die mir interessant erscheinen.

Religion und Politik

Über Religions- und Weltanschauungsgrenzen hinweg wird die Demokratie in den 13 Staaten, die allesamt Demokratien sind, als Staatsform begrüßt. Interessant ist nun für Deutschland, dass in der Zustimmung zur Demokratie ein signifikanter Unterschied zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen besteht: 59 Prozent der Religiösen befürworten die Demokratie ohne Abstriche (Beste Staatsform? – „Ich stimme voll und ganz zu!“), jedoch nur 49 Prozent der Nicht-Religiösen. Oft wird ja gerade gläubigen Menschen ein Demokratiedefizit unterstellt. Dies angesichts der vorliegenden Daten weiterhin zu tun, wäre einigermaßen kühn.

Religion und Erziehung

Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen religiöser Erziehung und tatsächlicher Religiosität. Zu erwarten wäre (sowohl im positiven Modus gelungener Glaubensvermittlung als auch im negativen Modus einer unterstellten „Indoktrinationsfunktion“ der Religionspädagogik), dass umfangreiche und daher erinnerte religiöse Erziehung zu tatsächlich höherer Religiosität führen. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Auffällig hier: Israel und Spanien. Während in Spanien über 80 Prozent der Menschen religiös sozialisiert sind, nimmt die Religiosität über die Generationen stark ab: Die älteren Spanier sind eben noch zu jenen 80 Prozent religiös, bei den jungen Spaniern fällt der Wert jedoch auf unter 60 Prozent. In Israel ein ganz anderes Bild: Obwohl sie kaum religiös erzogen werden (nur ein Drittel bejaht die Frage nach religiöser Unterweisung), sind die jungen Israelis religiöser als ihre Eltern – sind es in der Elterngeneration nur etwas über 70 Prozent, so sind es beim Nachwuchs fast 80 Prozent, die sich als hoch- oder mittelreligiös einschätzen. Auch in Deutschland hat die in den letzten Jahrzehnten stark zurückgehende religiöse Sozialisation kaum einen Einfluss, der Rückgang der Religiosität von der älteren auf die jüngere Generation von 78 auf 75 Prozent ist jedenfalls nicht signifikant, zumal der Anteil der „Hochreligiösen“ bei den jungen Menschen wieder leicht ansteigt. Christlicher Religionsunterricht mag also unbestritten bedeutsam sein, um ein kulturhistorisches Wissen zu vermitteln, aber ein Mittel zur Neuevangelisation ist er scheinbar nur bedingt.

Religion und Opfer

Interessant ist ferner, dass der Anteil der religiösen Menschen, die bereit sind, ihre Religion unter persönlichen Opfern zu verbreiten, in den eher säkularisierten Regionen (zum Beispiel Großbritannien oder Frankreich) nicht überproportional hoch ist, was der oft unterstellten „Radikalisierung“ als Diasporaphänomen widerspricht. Während sich in den USA, Brasilien, Indien und der Türkei über 90 Prozent als religiös verstehen, in Großbritannien und Frankreich knapp über 60 Prozent, so liegt der Anteil der „Opferbereiten“ gerade in den religiös geprägten Bevölkerungen der USA und der Türkei mit jeweils fast 70 Prozent verhältnismäßig höher als in Großbritannien und Frankreich, wo ihr Anteil knapp über 30 Prozent beträgt. Das heißt: Sind in den USA und der Türkei 8 von 10 religiösen Menschen „radikal“, so sind es in Großbritannien und Frankreich nur 5 von 10.

Religion und Angst

Alle drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) werden von Teilen der Bevölkerung in den 13 Staaten als Bedrohung angesehen. Hier gilt es besonders stark zu differenzieren. Dass etwa drei von vier Israelis „den Islam“ als Bedrohung wahrnehmen, hat mit der islamischen Religion nur bedingt etwas zu tun. Doch die Wahrnehmung des Islam als Bedrohung ist auch in Europa vorherrschend: In Spanien und Deutschland fühlen sich beispielsweise mehr als die Hälfte der Menschen vom Islam bedroht. Die Hälfte der Europäer meint zudem, der Islam gehöre nicht zum Westen, in Ost-Deutschland ist der Zuspruch zu dieser These mit am höchsten. Auch das Judentum erreicht als vermeintliche Gefahr / Bedrohung in Europa Werte zwischen 20 und 30 Prozent, in der Türkei sogar darüber. In den USA, Indien und Brasilien liegen die Werte für den Islam und das Judentum deutlich darunter. Das Christentum kommt – mal abgesehen von der Türkei, Israel und Spanien – relativ glimpflich davon: Nur etwa jeder Zehnte Europäer fürchtet sich vor dem Kreuz, auch in den USA, Indien und Brasilien ist dies die Schreckensquote für Kirche & Co. Das heißt: Dort, wo sich Staaten nicht dezidiert religiös definieren (Israel, de facto auch: Türkei), ist die Angst vor dem Anderen größerer, und dort, wo die Bevölkerung religiös ist, wo unterschiedliche Religionen existieren und daher der Religiosität des Anderer auch eine Bedeutung beigemessen wird (USA, Indien), ist die Angst vor dem Anderen geringer, denn es „scheint eine höhere Häufigkeit von Kontakten zu Mitgliedern anderer Religionen eine Verringerung der Bedrohungswahrnehmungen zu befördern“ (S. 30).

Religion und Werte

Religionen haben grundsätzlich kein Monopol auf Wertevermittlung mehr. Hochinteressant ist nun, wohin das führt. Die Studie legt die These nahe, dass dies keinen Werteverlust für die Gesellschaft nach sich zieht, sondern einen Wertewandel. So wurde untersucht, welche Werte eher von Religiösen und welche Werte eher von Nicht-Religiösen gelehrt und gelebt werden. Religiosität fördert Werte wie Tradition, Korrektheit, Sicherheit und Sorge um Mensch und Natur; Religiosität hemmt hingegen „Werte“ wie Risikobereitschaft, Besitzstreben und „Spaß haben“. Wundert es da, dass das Vertrauen in Menschen ohne Religionszugehörigkeit (fast) überall signifikant niedriger ist als das Vertrauen in Menschen allgemein – auch dort, wo die Säkularisierung weit fortgeschritten ist, etwa in Schweden (Unterschied: rund 20 Prozent)?

Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung klärt nicht alle Fragen, geht jedoch auf ganz wesentliche Punkte ein. Im Ergebnis steht: 1. Religion kann Bereicherung und Bedrohung sein, kann Menschen zusammenführen oder auch trennen. 2. Trotz Säkularisierung hat Religion für die Gesellschaft einen hohen Stellenwert, denn die Bereitschaft zum sozialen Engagement und zwischenmenschlichen Vertrauen ist unter religiös gebundenen Personen höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. 3. Vor allem das Christentum trägt zu diesem Umstand bei. Das wussten wir auch vorher, doch dafür ab und an eine empirische Bestätigung zu erhalten, ist sicher nicht das Schlechteste.

(Josef Bordat)

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