Olympia. Die Waffen schweigen

6. Februar 2014


Am Freitag Abend werden im russischen Schwarzmeerkurort Sotschi die XXII. Olympischen Winterspiele eröffnet. Teil 2: Der Olympische Friede

Olympische Spiele wurden in der Antike seit 776 v. Chr. als Abschluss einer Olympiade (ein Zeitraum von mehreren Jahren) zu Ehren der Götter gefeiert. Voraussetzung für ein unbeschwertes Fest und nicht zuletzt, um den Athleten überhaupt die sichere An- und Abreise zu den Wettkampfstätten in Olympia zu ermöglichen, war die olympische Waffenruhe (óλυμπιακή έκεχειρία), die als ausdrücklicher Gottesfriede in einem Abkommen griechischer Stämme 884 v. Chr. verstetigt wurde und eine proto-völkerrechtliche Dimension hatte.

In der Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit war es dann nicht mehr so, dass eine Waffenruhe eingehalten wurde, um die Spiele zu ermöglichen, sondern umgekehrt. Der Krieg verhinderte drei mal die Austragung des Sportfestes: 1916 (wegen des Ersten Weltkriegs; geplant war die Austragung in Berlin) und – wegen des Zweiten Weltkriegs – in den Jahren 1940 und 1944. Um den Gedanken des Olympischen Friedens zu erneuern, hat das Internationale Olympische Komitee im Jahre 2000 die Stiftung für den Olympischen Frieden ins Leben gerufen.

Doch: Kann Olympia Frieden schaffen? Sportphilosoph Gunter Gebauer ist mit Blick auf die jüngste Geschichte Sarajevos, Austragungsort der Olympischen Winterspiele von 1984, eher skeptisch: „Kein Zweifel, in Sarajevo hatte ein friedliches und gemeinschaftsstiftendes olympisches Fest stattgefunden.“ Doch: „Was ist von ihm geblieben? […] Von den Olympischen Spielen in Sarajevo ist nicht der Frieden, nicht die Einheit und nicht die Zukunft geblieben.“ Sondern die Erinnerung an Krieg und Zerstörung. Die heutige Hauptstadt der Föderation Bosnien und Herzegowina wurde nur acht Jahre nach den Winterspielen von bosnischen Serben belagert und war vier Jahre lang Schauplatz ethnischer Säuberungen. 10.000 Menschen starben, 50.000 wurden verletzt.

„Was also können Olympische Spiele bewirken, wenn sie nicht Frieden schaffen?“, fragt Gebauer. „Unzweifelhaft erzeugen sie in der Zeit, in der sie abgehalten werden, spürbare Effekte. Coubertin hatte mit der Aufführung eines Kultes eine Art magischer Formel gefunden. Das Interessante daran ist, daß niemand an die Wirksamkeit der rituellen Akte, Beschwörungen, Zauberworte dieses Kults glaubt, daß ihn kaum jemand richtig zur Kenntnis nimmt, ja, daß er in Einzelheiten manchmal lächerlich, manchmal peinlich wirkt. Es kommt auf den Inhalt kaum an. Er besitzt keine Botschaft, sondern er ist selbst die Botschaft. Wichtig an ihm ist allein, daß er vollzogen und übermittelt wird, daß die Zuschauer direkt von ihm angesprochen und an ihm beteiligt werden, daß sie sich dabei mit allen anderen Beteiligten verbunden fühlen. Die Olympischen Spiele sind auf Stimmungserzeugung ausgerichtet – Coubertin war ein großer Anhänger und gelehriger Schüler Richard Wagners.“

Eine quasireligiöse Inszenierung, die den modernen Menschen mit an sich lächerlicher Magie für den Moment erhebt. Gebauer: „Die Stimmung bei den Spielen hat einen mobilisierenden Charakter: es ist die Stimmung eines Versprechens, das feierliche Versprechen von Wettkampf und Frieden zugleich. Es wird einer Gemeinschaft gegeben, die sich im Stadion und vor den Fernsehapparaten versammelt hat, wie ein direktes Versprechen zwischen zwei Menschen. Stimmungen sind keine Garantie für dessen Einhaltung. Über den Rahmen des olympischen Festes hinaus dringt wenig nach außen und in die Zukunft. Später gibt es bei den Beteiligten die Erinnerung, vielleicht auch die Sehnsucht nach den magischen Momenten des Versprechens. Aber dieses ist nicht greifbar und nicht einklagbar. Das einzige, was von ihm überdauert, ist die rituelle Formel vom ,Olympischen Frieden’. Wer über sie verfügt, besitzt die symbolische Macht, das Friedensversprechen in der Erinnerung wieder präsent zu machen. Aber mit den Akten der Vergegenwärtigung wird kein Frieden gestiftet, sondern nur an die im kollektiven Gedächtnis aufbewahrte Friedensstimmung appelliert.

Wenn morgen die XXII. Olympischen Winterspiele eröffnet werden, dann ist das solch ein Appell. Und wie peinlich das alles auch sei, wie wenig nachhaltig es auch immer wirken mag, so steht doch zu hoffen, dass zumindest ein klein wenig von dem zu spüren ist, was Gebauer „Stimmung eines Versprechens mit mobilisierendem Charakter“ nennt. Und dass diese Stimmung uns, wenn auch nur für einen ganz kurzen Moment, erahnen lässt: Völker-, kultur- und religionsübergreifendes Miteinander kann gelingen.

Anmerkung:

Die Zitate stammen aus: Gunter Gebauer: Krieg und Spiele. Was bewirkte der olympische Frieden? In: Olympische Spiele – die andere Utopie der Moderne. Olympia zwischen Kult und Droge, hg. von Gunter Gebauer. Frankfurt a.M. 1996, 279 ff.

(Josef Bordat)

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