Nudge, Nudge!

10. April 2015


nudge (engl.) – der Rippenstoß, der Stups

Nudging – der Stups in die gewünschte Richtung – bezeichnet Maßnahmen, einen Menschen zu einer bestimmten Handlung anzuregen, ohne ihn dazu normativ zu verpflichten. Das verhaltenspsychologische Konzept wird vor allem im Marketing eingesetzt, wo man etwa bestimmte Produkte, deren Absatz man fördern will, gezielt aufstellt und besonders angenehm präsentiert, oder auch Produkte, deren Absatz sinken soll, mit Warnhinweisen versieht oder in der Auslage ungünstig platziert.

Nun hat die deutsche Politik Nudging für sich entdeckt. In der Politik scheint Nudging mir ein neuer Ansatz des alten politischen Utopismus (oder Dystopismus) zu sein, ein Ansatz also, der mit der Tradition des modernen demokratischen Staates bricht. Denn dieser ist aus dem Gedanken eines Gesellschaftsvertrags zur Sicherung der Freiheit erwachsen. Es ist Konsens, dass es diesem Staat darum gehen muss, das Recht seiner Bürger zu achten und zu schützen – und nicht darum gehen darf, das Glück seiner Bürger zu befördern. Das tun – vorgeblich – nur Despoten, die sich für alle Lebensbereiche zuständig fühlen, und ebenso vor- wie fürsorglich totale Regime errichten, die alles kontrollieren. Zum Wohl des Bürgers, versteht sich.

Doch: Die Politik will die Bürger zu ihrem Glück lenken (nicht zwingen). Nicht durch Verbote oder Auflagen, sondern durch Nudging. Natürlich geht die Stups-Utopie nicht so weit wie der maximalistische Paternalismus‘ Platons oder der auf Verhaltensforschung gründende Entwurf einer Gesellschaft jenseits von Freiheit und Würde, wie sie dem Behavioristen Skinner vorschwebte. Deutschland soll keine Skinner-Box werden, durch die uns die Mächtigen wie Ratten hindurchjagen – von einer positiven Verstärkung zur nächsten. Nein, nein – soweit geht es nicht.

Es geht freilich um Anreize, die gesetzt werden, und durchaus die Funktion der Belohnung im System einer operanten Konditionierung erfüllen. Das aber passiert täglich, wenn es Prämien gibt oder man eine Festanstellung in Aussicht gestellt bekommt. Dann fließt der Speichel und wir laufen. Soweit alles in Ordnung. Wer das nicht will, muss unser System insgesamt in Frage stellen. Und das Menschenbild des homo oeconomicus gleich mit. Wenn wir unter die zu maximierende Belohnung auch nicht-materielle Dinge wie Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuwendung subsumieren, wird das schwierig.

Einen Eingriff in die Freiheit kann man aber zumindest der Intention nach schon feststellen, denn es gehört ja wohl zu den unveräußerlichen Rechten des Menschen, auch gegen seine Interessen zu handeln. Und das will man ja gerade verhindern. Das sollte aber nur verhindert werden, wenn damit Interessen Dritter berührt sind. Und hier wird es bei den Themen, um die es vornehmlich geht (Energie sparen, Rauchen aufgeben, Ernährung umstellen, Organe spenden) interessant. Ist nicht immer auch ein Dritter potentiell leidtragend, wenn ich zu viel fettes Fleisch esse? Rauche? Heize, was das Zeug hält – bei offenem Fenster? Meine Organe nicht spenden will?

Klar, ich habe das, was ich ver(sch)wende, bezahlt. Und es ist mein Körper, in dem der Cholesterinspiegel steigt. Doch die Kosten des Gesundheitssystems, die Vermeidungs- und Anpassungskosten aufgrund des Klimawandels tragen (auch) andere Menschen. Die direkte Zuschreibung ist zwar nicht möglich, insoweit es keine unmittelbare Kausalität zwischen Verhalten und Folge gibt, die ebenso unmittelbar zur Übernahme von Verantwortung nötigte, aber gelegentlich an die komplexeren Zusammenhänge erinnert zu werden, wäre gar nicht so schlecht.

Da die Zusammenhänge wirklich sehr komplex sind, könnte der kleine Stups ein legitimes Mittel sein. Vorausgesetzt, es bleibt dabei und irrationales Verhalten (oder solches, das die Gesellschaft dafür hält) wird nur erschwert, nicht verboten. Ferner sollte das Nudging nicht zur permanente Gängelei oder übertrieben weit ausgedehnt werden. Zum einen nutzt es sich dann schnell ab (und hat am Ende den gegenteiligen Effekt, den man von alters her „Trotzreaktion“ nennt), zum anderen sollte klar sein und klar erkennbar bleiben, dass unser Staat ein Rechtsstaat und kein Glücksstaat sein will. Letzteres überlassen wir mal schön Nordkorea.

(Josef Bordat)

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