Eine ganz kurze Apologie der Fokolarbewegung

5. Mai 2013


Zugleich ein Lehrstück über „Wikipedia“

Wie bereits angekündigt, möchte ich hier Auszüge aus einem Papier zugänglich machen, das ich im Frühjahr 2008 zur Verteidigung der Fokolarbewegung gegen Angriffe von außen aufgrund des Wikipedia-Artikels Fokolarbewegung verfasst habe. Es ist ein im Zorn verfasstes Pamphlet aus der Anfangszeit von Jobo72’s Weblog, das ich hier aus Dokumentationsgründen leicht redigiert veröffentliche.

I.

Zunächst zwei Vorbemerkungen, die mir wichtig erscheinen. Zum einen: Das Internet ist mächtig. Und Online-Enzyklopädien wie „Wikipedia“ haben mächtig Einfluss. Insbesondere, weil sie von Schülern und Studenten genutzt werden, die häufig sehr unkritisch mit den angebotenen Daten umgehen. Zum anderen: Ich bin ein kritischer Freund der Fokolarbewegung. Seit Jahren, seit ich die Bewegung durch meine Frau kennen gelernt habe, suche ich nach Fehlern im System und finde durchaus einiges, das mir nicht nur merk-, sondern auch kritikwürdig vorkommt. Auf diese Suche begebe ich mich aber nur, um letztlich auf meine Weise dazu beizutragen, dass aus dem Guten etwas Besseres wird, denn dass es sich bei der Fokolarbewegung um eine großartige Gemeinschaft handelt, die weit über die Kirche hinaus ihre Wirkung entfaltet, ist wohl kaum zu leugnen. Also: Ein Kritiker begutachtet die Kritik an der Fokolarbewegung, wie sie der wirkmächtigen „Wikipedia“ zu entnehmen ist. Das sei vorausgeschickt.

II.

Die Kritik eines Kritikers wird sich zunächst mit dem Dass der Kritik arrangieren und sich bei der Analyse auf das Was und insbesondere auf das Wie der Kritik beschränken. Lesen wir, was „Wikipedia“ schreibt (vgl. den Wikipedia-Artikel Fokolarbewegung [Stand: 15.03.2008]):

Gegenüber der Fokolar-Bewegung werden immer wieder Bedenken laut, dass durch die starke Bindung der Mitglieder an die Gruppe und eine einseitige Interpretation des Einheits-Gedankens die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Einzelnen eingeschränkt werde. Auch die Art und Weise, wie Gründerin Chiara Lubich von etlichen Mitgliedern (vor allem in Südeuropa) verehrt wird, ist eine häufig angeführte Kritik. Die Mitglieder der Bewegung werden in Gruppen organisiert, die streng nach Geschlechtern getrennt sind. Dadurch und durch die manchmal extrem starke Gruppenorientierung, so wurde wiederholt kritisiert, fördere die Bewegung die Auflösung der natürlichen Familienbande und die Herauslösung der Mitglieder aus bisherigen Freundschaften und Beziehungen. Von einigen Kritikern (vgl. Urquhart, 1998) wird bemerkt, dass derartige Strukturen und Methoden durchaus ,sektenartig’ anmuten.

Die Geschlechtertrennung trägt dabei zu einem Hauptziel der katholischen Kirche, der Jungfräulichkeit vor der Ehe, bei. Dabei wird Jungfräulichkeit von den Mitgliedern erwartet und ein Vergehen ist mit dem sofortigen Verlust des ,GEN’ Status verbunden. Man ist nach dem vorehelichen Akt nur noch geduldet, aber keineswegs mehr Teil der Gemeinschaft. Der dadurch aufgebaute psychologische Druck mutet ebenfalls sektenartig an.

Eine andere häufig geäußerte Kritik ist die Papsttreue der Fokolarbewegung. Diese wird aber nur von den katholischen Mitgliedern der Fokolarbewegung erwartet.“

Was fällt daran auf? Eine ganze Menge!

1. Anstatt, wie für einen Lexikonartikel üblich und angemessen, die Behauptungen eindeutig zu belegen, herrschen kryptische Formulierungen vor, die den Behauptungen das nötige Gewicht verleihen sollen: So „werden immer wieder Bedenken laut“, Kritik wird „häufig angeführt“, es „wurde wiederholt kritisiert“. Aha! Es fragt sich, gesetzt den Fall, dass „wiederholt kritisiert“ wurde, nur eines: Wann? Von wem? In welchem Zusammenhang? Warum? Und wenn etwas „immer wieder“ geschieht: Was bedeutet das? Bedeutet das: „Immer wieder“ im Sinne von „Der nektarsaugende Kolibri schlägt immer wieder mit den Flügeln.“ oder eher im Sinne von „Es finden immer wieder Olympische Winterspiele statt.“? Und „häufig“ ist nach meinem Verständnis auch keine wissenschaftliche Größe.

2. Es wird überhaupt nur ein einziger Beleg angeboten, der sich bei genauerer Betrachtung jedoch als nicht fokolarspezifisch und daher im Rahmen einer dezidierten Kritik der Fokolarbewegung als wenig zielführend erweist, das Buch Im Namen des Papstes. Wie ultrakonservative Organisationen die Macht in der Kirche übernehmen von Gordon Urquhart aus dem Jahre 1998. Eine Bewegung, die zwar katholisch verwurzelt ist, sich aber darüber hinaus vor allem die Ökumene, den interreligiösen Dialog und ein friedliches Miteinander von Menschen mit und ohne Glauben für eine neue Gesellschaft jenseits von Fragmentierung und lebensfeindlichen Konflikten auf die Fahnen geschrieben hat, die für Einheit und Gemeinsinn einsteht und dazu auf die Essenz urchristlicher Lebensform zurückgreift, die geschwisterliche Liebe, die als einendes Band die Menschheit durchwebt, eine solche Bewegung mag alles sein: kitschig, weltfremd, naiv, utopisch. Meinetwegen. Aber „ultrakonservative Papsttreue“ (so, wie sie hier gemeint ist) sieht anders aus, ganz anders. Und von „Machtübernahme“ kann schon gar nicht die Rede sein, da es der jüngst verstorbenen Gründerin Chiara Lubich stets daran gelegen war, sich mit ihrem wichtigen, aber dennoch stets bescheiden auftretenden Werk in die Kirchenstruktur einzubetten. Wer Machtstreben bei den Fokolaren sucht, der wird, entgegen der einschlägigen Bibelstelle, nichts finden.

3. Gleich zweimal wird gesagt, die Fokolarbewegung „mutet sektenartig an“ – sektenartig mal mit, mal ohne Anführungszeichen, offenbar handelt es sich beim ersten „sektenartig um ein Zitat aus Urquhart 1998 (ohne Seitenangabe freilich, wie sonst!) und beim zweiten sektenartig um die Meinung „Wikipedias“. Aus „mutet sektenartig an“ wird im Diskurs sehr schnell „ist eine Sekte“, was durchaus im Bereich der Absicht „Wikipedias“ zu liegen scheint. Was hier nämlich geschickt vorbereitet wird, ist die Erklärung der wesentlichen Sektenhaftigkeit der Fokolarbewegung aus der akzidentiellen Sektenartigkeit nach dem deduktiv-nomologischen Modell: Aus einer anerkannten Gesetzmäßigkeit (1), die vorausgesetzt wird, und einem beobachtetem Sachverhalt (2) wird ein logischer Schluss (3) hinsichtlich des Verhältnisses des Sachverhalts zu dem Gesetz gezogen. Bekanntes Beispiel: (1) Alle Menschen sind sterblich. (2) Sokrates ist ein Mensch. Also folgt daraus: (3) Sokrates ist sterblich.

Würde man dieses Hempel-Oppenheim-Schema korrekt auf unseren Fall anwenden, so stünde da: (1) Alle Sekten muten sektenartig an. (2) Die Fokolarbewegung ist eine Sekte. Also folgt… Halt, halt: Genau das gilt es ja zu zeigen! Um es zu zeigen, wird das Prädikat so gesetzt, dass die Differenz alltagssprachlich aufhebbar erscheint; zwischen „sektenartig“ und „sektenhaft“ besteht kaum ein Unterschied. Und wodurch zeichnet sich schließlich eine Sekte sonst aus, als „sektenartig“ zu sein und sie kann es ja im objektivierten Sinne nur sein, wenn die Sektenartigkeit sichtbar der Fall ist, wenn sie „sektenartig anmutet“! Also lässt sich das „Gesetz“ umdrehen. Der „Dreisatz“ lautet dann: (1) Alles, das sektenartig anmutet, ist eine Sekte. (2) Die Fokolarbewegung mutet sektenartig an. (3) Die Fokolarbewegung ist eine Sekte. Voilà!

Diese Absicht liegt nahe, zumal „Wikipedia“ den Begriff „sektenartig“ mit dem Stichwort „Sekte“ verlinkt, wo vor den zahlreichen (und sicherlich gut recherchierten!) Beispielen für Sekten und ihre Bedeutung bei Massenselbstmorden, sexuellen Missbräuchen und faschistoiden Phantastereien allerdings – soviel Selbstironie muss wohl sein – ganz oben zu lesen ist: „Die Neutralität dieses Artikels oder Absatzes ist umstritten.“ Das scheint ja generell zu gelten, auch dann, wenn der Warnhinweis fehlt! Viel wichtiger aber scheint mir die Bemerkung zum Gebrauch von „Sekte“ in der Wissenschaft, die dort zu lesen ist: „Im rechtlichen, soziologischen und religionswissenschaftlichen Kontext wird das Wort heute nur noch selten verwendet.“ (vgl. den Wikipedia-Artikel Sekte [Stand: 15.03.2008]). Um mit Loriot zu sprechen: „Ach, was ?!“

4. „Die Mitglieder der Bewegung werden in Gruppen organisiert, die streng nach Geschlechtern getrennt sind.“ Nun, erstens stimmt das nicht, da es auch gemischte Gruppen gibt, die streng nach Themen und Interessen getrennt sind, und zweitens ist das wohl kaum eine Kritik, die sich gegen die Fokolarbewegung allein richtet, denn schließlich ist das mit der Geschlechtertrennung in Fußballvereinen ab einem bestimmten Alter auch so. Die Kritik ginge im übrigen auch gegen die geschlechtsgetrennten Spiel- und Freizeitgruppen staatlicher Fürsorgeeinrichtungen, in denen Migrantenjungs Kickboxen und Migrantenmädels Jeans besticken. Oder gegen diejenigen Pädagogen, die die Koedukation für grundsätzlich gescheitert halten und Jungen und Mädchen im naturwissenschaftlichen Unterricht, in Mathematik, aber auch in den Fremdsprachen gerne „streng trennen“ würden, zum Wohle aller. Oder gegen die Freizeitgesellschaft insgesamt, die sich erdreistet, geschlechtsspezifisch Fitnesskurse und kulturelle Veranstaltungen „nur für Frauen“ anzubieten. Aber bei der Fokolarbewegung bekommt das Ganze plötzlich einen fast gewaltsam Hintergrund, der die „Mitglieder aus bisherigen Freundschaften und Beziehungen“ herauszerrt. So, als würde der Kontakt mit Freundinnen und Freunden schon dadurch unverhältnismäßig limitiert, dass man sich einmal wöchentlich für ein paar Stunden von diesen trennt, um bei den Fokolaren ebenfalls Freundinnen bzw. Freunde zu treffen (die anderen sind übrigens immer herzlich eingeladen!). Im übrigen: Die Jugendlichen organisieren größere Veranstaltungen immer ohne Ansehung des Geschlechts gemeinsam, fahren zusammen weg, feiern zusammen usw. Und für Erwachsene gibt es in Berlin monatlich offene Abende, die unverbindlich Einblicke „hinter die Kulissen“ gewähren – auf einer gemeinsamen Veranstaltung für beiderlei Geschlecht.

5. Nicht nur das soziale Leben ist gefährdet, auch die „natürliche Familienbande“ wird durch die Eingriffe der Fokolarbewegung in das Beziehungsgeflecht ihrer Mitglieder aufgelöst. Das ist nicht nur Unsinn, sondern sogar so falsch, dass das glatte Gegenteil wahr ist: Es gibt eigens eine Familiengruppe innerhalb der Fokolarbewegung, die regelmäßig Veranstaltungen für Eltern und Kinder organisiert. Auch für Nicht-Mitglieder der Fokolarbewegung aus der Familie bieten sich bei diesen und vielen anderen Gelegenheiten vielfältige Formen der Mitwirkung, nicht zuletzt als sachlicher Kritiker!

6. Aber in Wahrheit lauert ja auch ein ganz anderes Argument hinter der zersetzenden Geschlechtertrennung, denn diese „trägt zu einem Hauptziel der katholischen Kirche, der Jungfräulichkeit vor der Ehe, bei“. Nicht nur, dass das Hauptziel der katholischen Kirche als der einen, wahren, allgemeinen Kirche Jesu Christi wohl eher darin besteht, die Offenbarung zu bewahren und den Gläubigen heilige und heilsame Sakramente zu spenden (aber immerhin ist die Ehe ja auch ein Sakrament!), es wäre zudem die Vorstellung schon einigermaßen naiv, mit einer räumlichen Trennung von zwei Stunden wöchentlich den Hormonhaushalt von Jugendlichen kontrollieren und damit zur angestrebten „Jungfräulichkeit vor der Ehe“ beitragen zu können. So ist allein die Vorstellung „Wikipedias“ naiv, die Fokolarbewegung dächte mit ihrer Geschlechtertrennung vor allem (oder gar ausschließlich) daran. Oder ist das, was „Wikipedia“ als enzyklopädisch-neutrale Kritik anbietet, am Ende nichts weiter als die „bösartige“ Unterstellung, es fände in den Nachwuchsgruppen der Fokolarbewegung so etwas wie eine Gehirnwäsche zur Reinhaltung der Jugend statt?

7. Das liegt leider nahe, denn es kommt noch „besser“: Da es mit der Jungfräulichkeit durch Geschlechtertrennung nicht immer klappt, werde ein diesbezüglich einschlägiges „Vergehen“ unter Strafe gestellt, d. h. „mit dem sofortigen Verlust des GEN-Status“ geahndet, was einen „psychologischen Druck“ erzeuge, der – siehe oben – „sektenartig anmutet“. Klar, einmal beim Geschlechtsverkehr erwischt (eine Sekte kriegt so was raus!), schon ist der wertvolle Gen-Status futsch: „Man ist nach dem vorehelichen Akt nur noch geduldet, aber keineswegs mehr Teil der Gemeinschaft.“ Genau. Man sitzt still in der Ecke, wird nur noch mit „Sie Schuft!“ angeredet und kriegt beim Tischtennis immer den Schläger mit dem kaputten Griff.

Mal im Ernst: Das mit der „ex communione“ bei fortgesetzter Sünde ohne Reue (das sind drei Bedingungen auf einmal: Sündhaftigkeit, Fortsetzungswille, Reuelosigkeit!) ist erstens offizielle Kirchenpolitik und wird zweitens in der Praxis des Gemeindelebens, wie sie insbesondere in der Fokolarbewegung zum Tragen kommt, nicht zu einer Ausgrenzung der Person, sondern nach dem Vorbild des guten Hirten zu einer besonders liebevollen Fürsorge, wobei dann die Fokolarbewegung aus der „kritischen“ Außenperspektive wahrscheinlich erst recht wegen einer Struktur „unberechtigter Einmischung“ und „zwanghafter Bindungsabsicht“, und damit – klar! – als „Sekte“ verurteilt werden wird.

Wie dem auch sei: Es ist im Ergebnis kompletter Unsinn, der Fokolarbewegung vorzuwerfen, sie übe „psychologischen Druck“ aus, indem sie die katholische Sexualmoral, die eingebettet ist in die christliche Ethik und Anthropologie, unter ihren (jungen und alten!) Mitgliedern fördere. Weil sie ein Teil der Kirche ist, gibt sie als ein solcher deren Regeln weiter, die ja nicht schon allein ihrer Genese wegen notwendigerweise falsch sind. Wer im Gegenteil meint, dass nur dadurch tiefe Freundschaft und Bindungsfähigkeit unter (jungen) Menschen erreicht werden kann, dass sie möglichst früh und möglichst oft Körperkontakt haben, sollte dazu einschlägige sexualwissenschaftliche Literatur (etwa Volkmar Siguschs erhellende Analysen zu „Neosexualitäten“) zu Rate ziehen und vielleicht auch einmal über den „psychologischen Druck“ nachdenken, den der mediale Mainstream einer bis zur Empfindungslosigkeit sexualisierten Gesellschaft (nicht nur) auf Jugendliche ausübt, gerade weil im Alltag die Sexualität systematisch ihres Geheimnisses und ihrer Intimität beraubt und zum mechanischen Akt degradiert wird, bei dem nicht die tiefe, innige Freude der Liebe, sondern die triebhafte ad hoc-Befriedigung der eigenen Lust als Spaßfaktor einer rastlosen Lebensgier zur handlungsleitenden Maxime in der Beziehung zwischen den Geschlechtern wird.

Wodurch tatsächlich „psychologischer Druck“ ausgeübt wird, kann einigen Jugendstudien unserer Tage entnommen werden: Modelabels und Massenmedien üben demnach in der Tat mehr negativen, bedrückenden Einfluss auf die Seelen junger Menschen als die Kirche dies könnte, selbst wenn sie denn wollte. Und ob die hochgestylte Reizflut aus Werbung und Fernsehserie mit ihrer Entbindung des Sex’ von Liebe, Respekt, Verantwortung, Reife und Treue nicht viel eher der Vorstellungswelt nostalgischer Alt-68er in den Agenturen und Produktionsfirmen entspringt als den wahren Wünschen junger Menschen anno 2008, darf angesichts der von zahlreichen Untersuchungen belegten wertkonservativen Grundhaltung vieler Jugendlicher vermutet werden. Fakt ist hingegen, dass pro Jahr in Deutschland knapp 13.000 minderjährige Mädchen schwanger werden. In Berlin ist diese Zahl in den vergangenen sieben Jahren um fast 30 Prozent gestiegen, die der Abtreibungen sogar um knapp 60 Prozent – die hässliche Rückseite der Glitzerfassade falsch verstandener Freiheit, die in diesem Zusammenhang ganz gerne verschwiegen wird.

8. Die Fokolarbewegung als Teil der Kirche oder – um ein Bild Chiara Lubichs zu verwenden – das Blume im farbenfrohen Garten des Herrn. Damit sind wir beim Lieblingsthema jeder Kirchenkritik: beim Papst. Es steht bei „Wikipedia“ geschrieben: „Eine andere häufig geäußerte Kritik ist die Papsttreue der Fokolarbewegung. Diese wird aber nur von den katholischen Mitgliedern der Fokolarbewegung erwartet.“ Das ist einfach wunderschön! Nicht nur, dass hier wieder die üblichen Kritikpunkte greifen (keinerlei Belege für die „häufig geäußerte Kritik“), sondern vor allem der Begriff „Papsttreue“, ein Phänomen, das nicht weiter erläutert wird, aber man kann es sich vorstellen, wie so was im Alltag aussieht! Der Clou folgt jedoch sogleich: „Diese wird aber nur von den katholischen Mitgliedern der Fokolarbewegung erwartet.“ Aha. Und da es auch nicht-katholische Mitglieder der Fokolarbewegung gibt (eine ganze Menge sogar und jeden Tag werden es mehr; nicht nur Protestanten, sondern auch Moslems, Buddhisten und Konfessionslose), kann sich die Kritik der Papsttreue ja wohl kaum auf die Fokolarbewegung insgesamt richten. Mit derselben Logik könnte eine Kritik an Deutschland wie folgt aussehen: „Eine andere häufig geäußerte Kritik ist die Kanzlerinnentreue Deutschlands. Diese wird aber nur von den CDU-Mitgliedern in Deutschland erwartet.“ Noch einmal: Wunderschön!

Viel ehrlicher wäre es doch im übrigen, gleich zu sagen: „Eine andere häufig geäußerte Kritik bezieht sich darauf, dass Katholiken in der Fokolarbewegung mitmachen.“ Oder – noch ehrlicher –, „dass es überhaupt so etwas gibt: Katholiken“.

Daraus folgt im übrigen, positiv gewendet, eine ungewöhnliche Offenheit der Fokolarbewegung: Wer mitmachen will, braucht sich nicht einmal an alle Statuten zu halten, solange sie ihn nicht betreffen. Ein Mitglied braucht sich nicht an die Regeln der Fokolarbewegung für ihre katholischen Mitglieder zu halten, solange es nicht gleichzeitig auch katholisch ist. Eigentlich logisch, doch wo gibt es das sonst? In jedem Schwimmbad zahlt man Eintritt, auch wenn man nicht ins Wasser geht!

9. Geschlechtertrennung, Zersetzung sozialer Bande, Machtstreben. Was braucht eine Sekte noch? Richtig: Gruppenzwang! Da ist (irgendwo zwischen „Geschlechtertrennung“ und dem Ende weltlicher Beziehungen) von einer „manchmal extrem starken Gruppenorientierung“ die Rede. Abgenommen es würde stimmen und sie wäre tatsächlich „manchmal extrem stark“ – eine herrliche Formulierung! – diese „Gruppenorientierung“. Fragt sich erstens: Wie oft genau ist „manchmal“? Mittwochs? Wenn der Euro schwächelt? In Schaltjahren? Offenbar oft genug, um es zur Kritik an der gesamten Bewegung als „sektenartig“ auswachsen zu lassen. Das geht verhältnismäßig problemlos, obwohl es ja doch einige Zwischenschritte bräuchte. Man stelle sich vor, aufgrund einer „manchmal extrem stark nach Knoblauch riechenden Bundeskanzlerin“ würde das politische System in der Bundesrepublik Deutschland in Gänze als „zwiebelgewächsartig“ deklariert. Fragt sich zweitens: Was ist eigentlich schlimm an einer Gruppe, auf die man sich verlassen kann, auch dann, wenn es keine Schnittchen und kein Freibier gibt? Sehr ungewöhnlich in der heutigen Zeit? Ja, das ist wahr. Vielleicht zu ungewöhnlich, als dass man darin arglos nichts als Liebe erkennen will.

10. Um es bis hierher zusammenzufassen: Gruppenzwang und Geschlechtertrennung sichern der papistischen Fokolar-Sekte die Macht in der Kirche. Was noch übrig bleibt, das ist erstens die Kritik am Personenkult „vor allem in Südeuropa“, der nerven kann, das ist wahr, der aber – vor allem in Südeuropa! – nicht nur die Fokolarbewegung betrifft, wie die/der geneigte Leser/in an den zahllosen Beispielen einer Quasi-Vergötzung schon durchschnittlicher Berufsfußballer verifizieren möge. Zweitens: das in der Tat zu klärende Verhältnis von Kollektiv und Individuum. Doch auch dies trifft die Fokolarbewegung nicht allein, geht es doch um die Klärung einer grundsätzlichen Bedingung menschlichen Lebens: einerseits ist jeder Mensch eigentümlich und vereinzelt, andererseits gesellschafts- und gemeinschaftsbezogen, ganz egal ob diese Gemeinschaft Staat, Familie, Schulklasse oder Fokolarbewegung heißt. Auch in der betrieblichen Arbeitsgruppe stößt Eigenständigkeit auf Grenzen. Der Fokolarbewegung geht es schließlich genau darum, das Besondere des Einzelnen in die Gemeinschaft aufzunehmen und Eigeninitiative weitgehend zu fördern, solange sie eben der Gemeinschaft dient und damit auch anderen Menschen zugute kommt. Quasi im Verübergehen den Vorwurf anzuschließen, die Fokolarbewegung sorge damit für mangelnde Eigenverantwortung ihrer Mitglieder, ist maßlos überzogen und in den meisten Fällen grundfalsch: Die Mitglieder der Fokolarbewegung, die ich persönlich kenne, übernehmen gerade aus der Spiritualität gelebter Liebe eine sehr große, in jedem Fall aber eine überdurchschnittlich große gesellschaftliche Verantwortung in ihrem jeweiligen Lebenszusammenhang – für sich und andere.

III.

Eine Nachbemerkung. Die extrem fragwürdige Darstellung der Fokolarbewegung bei „Wikipedia“ wäre nur halb so schlimm (im Grunde gar nicht der Rede wert!), hätte nicht diese „Kritik“ Anlass gegeben, ein lange geplantes Anti-Gewalt-Projekt in Berlin zu Fall zu bringen, weil sich so genannte Kirchenkritiker der Falschdarstellungen und Halbwahrheiten über die Fokolarbewegung unhinterfragt (wozu auch: „Es stand in ,Wikipedia’!“) bedient haben, um gegen die gute Sache aus ideologischen Gründen Stimmung zu machen. Und bei dem Einfluss, den „Wikipedia“ offenbar auch in Kreisen ranghoher Entscheidungsträger und Multiplikatoren hat, lassen sich ähnliche Fälle in der Zukunft nicht ausschließen. Dieser Einfluss verpflichtet. Die damit untrennbar verbundene Verantwortung kann dem anonymen Autorenkollektiv niemand abnehmen. Schließlich ist „Wikipedia“ keine Sekte.

(Josef Bordat)

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