Die Hure Babylon, bei Lichte betrachtet

17. Dezember 2016


Am 8. Dezember erschien im Lepanto Verlag (Rückersdorf) der Sammelband „Große Hure Babylon“. Untertitel: Zehn kirchengeschichtliche Klischees kritisch hinterfragt. Sieben Historikerinnen prüfen sattsam bekannte Stereotype – Klassiker der Kirchenkritik wie den Zölibat, die Inquisition und die angebliche Unterdrückung von Frauen, Wissenschaft und Sexualität – auf den Wahrheitsgehalt der üblichen Anklagen. Faktencheck nennt man so etwas auf gut neudeutsch.

Mit dem vorgelegten Band reiht sich der Lepanto Verlag in die Phalanx wissenschaftlicher Arbeiten zur Kirchengeschichte ein, die alle das Ziel verfolgen, konstruktiv und sachlich der diskursiven Schieflage, die durch tendenziöse Abhandlungen wie Deschners Kriminalgeschichte des Christentums entstanden ist bzw. verschärft wurde, zu begegnen und weiterhin dem engagierten Kirchenmitglied Argumente zur Verfügung zu stellen, die es braucht, um an den realen und den virtuellen Stammtischen nicht von halbwahren bis ganzfalschen Phrasen überrollt zu werden.

Eine Besonderheit des Bandes: Es sind ausschließlich Frauen beteiligt. Sämtliche Originalbeiträge wurden von italienischen Autorinnen verfasst und auch die Herausgeberschaft sowie die Übersetzung der Texte liegen in weiblicher Hand. Die Autorinnen haben alle einen geschichtswissenschaftlichen Hintergrund und sind an wissenschaftlicher Aufklärung über Klischees interessiert, ohne apologetische Absichten (nicht alle der Beiträgerinnen sind katholisch).

Die Aufklärungsarbeit gelingt. Sie ist nicht einfach nachzuvollziehen, sondern erfordert auch vom Leser Sorgfalt. Diese aufzubringen lohnt sich jedoch, denn der Kritiker wird überrascht sein, dass sich die Klischees in Luft auflösen, und der Katholik, der an seiner Kirche zu zweifeln begann, vermag erleichtert durchzuatmen. Dabei wird nichts beschönigt oder bewusst übersehen, es werden „nur“ Belege geliefert, die zusammen mit der historisch korrekten Kontextualisierung der Sachverhalte eine überzeugende Argumentation für die „kritik-kritische“ Sicht auf die Kirchengeschichte fundieren.

Die weibliche Perspektive bringt Überraschendes zum Vorschein und wirkt sich gerade im Kapitel zur Rolle der Frau (Giulia Galeotti) positiv auf die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Darlegung aus. Ebenso ist spannend, dass mit Anna Foa eine Jüdin das Kapitel zum Antisemitismus übernahm. Auch, dass hier kein „alter Mann“ über Sexualität in der Geschichte der Kirche bzw. ihrer Morallehre spricht, sondern mit Margherita Pelaja eine im Fachgebiet arrivierte Historikerin (von ihr und der Herausgeberin Lucetta Scaraffia stammt die 2014 erschienene Monographie Due in una carne. Chiesa e sessualità nella storia), kann die sonst übliche reflexartige Zurückweisung entlastender Argumente mit Verweis auf ihre inadäquate Herkunft („Was weiß ein Priester schon vom Sex?!“) a priori entkräften. Für alles weitere müssen die Beiträge gelesen werden. Und das sollten sie auch.

Bibliographische Angaben:

Lucetta Scaraffia (Hrsg.): „Große Hure Babylon“. Zehn kirchengeschichtliche Klischees kritisch hinterfragt. Aus dem Italienischen übertragen von Claudia Reimüller.
Rückersdorf: Lepanto Verlag 2016.
284 Seiten, € 16,80.
ISBN 978-3-942605-14-4.

(Josef Bordat)

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