Elisabeth, die Europäerin

19. November 2017


Heute gedenkt die Kirche der Heiligen Elisabeth von Thüringen. Vor zehn Jahren, also 2007 – im 800. Geburtsjahr der Heiligen – war unter dem Titel Elisabeth von Thüringen – Eine europäische Heilige auf der Wartburg eine umfangreiche Ausstellung zu sehen, die wohl größte „Elisabeth-Schau“ des Festjahrs. Daran möchte ich heute mit diesem Beitrag erinnern.

Die europäische Dimension der Ausstellung ist nicht nur biographisch gerechtfertigt (Elisabeth stammt aus Ungarn, lebte am Hof in Thüringen und starb nach kurzem, aufopferungsvollem karitativen Wirken in Marburg), sondern auch durch die Herkunft der Exponate, die aus allen Teilen des Kontinents zusammengetragen wurden. Auch die Mitarbeiter der Ausstellung (Organisatoren, Autoren, Unterstützer) kommen aus ganz Europa und zeigen, dass es sich bei Elisabeth von Thüringen – Eine europäische Heilige wirklich um ein Mammutprojekt handelt.

Ein Mammutprojekt

Dazu gehört dann auch ein entsprechend voluminöser Katalog, der schon durch seine äußeren Daten besticht: Mit über 600 Seiten und über 600 Abbildungen liegt das im DIN A 4-Format gehaltene Werk schwer in der Hand. Dieser beachtliche Umfang ist der Akribie und der Ausführlichkeit geschuldet, mit der die Autorinnen und Autoren sich nicht nur dem Leben der Heiligen, sondern auch ihren Lebensumständen und ihrer Zeit widmen – bei einer Adligen bedeutet das eben auch profunde Darstellung der politischen Zusammenhänge – sowie sich intensiv ihrer Wirkung annehmen. Geleitet wurde das Publikationsprojekt von zwei Herausgebern, die akademische Sachkompetenz und persönliche Verbundenheit mit dem Thema für eine solch komplexe Aufgabe prädestiniert, die Jenaer Professoren Blume und Werner. Dieter Blume hat als Kunsthistoriker mit Schwerpunkt Malerei und Skulptur des Mittelalters und der Renaissance schon einige Erfahrung in der Konzeption großer Ausstellungen sammeln können, Matthias Werner, der u. a. in Marburg studierte und dort zu Promotion und Habilitation kam, ist als Historiker mit zeitlichem Schwerpunkt Mittelalter und regionalem Schwerpunkt Thüringen und Hessen bestens geeignet, zu Elisabeth und ihrer Zeit Stellung zu beziehen, was er auch seit den frühen 1980er Jahren regelmäßig im Rahmen von Forschungsaufsätzen tut.

Annäherung an die Heilige

In elf Abteilungen versuchen sich die Mitwirkenden der europäischen Heiligen anzunähern, biographisch (Kapitel I-III) und hinsichtlich ihres Nachwirkens (Kapitel IV-XI), wobei hier chronologisch vom Heiligsprechungsprozess bis zur Elisabeth-Verehrung in unseren Tage die breite Rezeptionsgeschichte aufgearbeitet wird. Dass ihr durch tiefe Einschnitte strukturiertes kurzes Leben chronologisch dargestellt wird, durfte man so erwarten. Doch dass auch jenes „Bonusmaterial“ zur reichhaltigen Elisabeth-Rezeption, das vier Fünftel des Gesamtumfangs ausmacht, ebenfalls im Zeitverlauf entfaltet wird (Heiligsprechung, Anfänge der Verehrung und Verbreitung des Kults im Spätmittelalter, Reformation, Frühe Neuzeit, Moderne), scheint als Zugangsweise nicht so zwingend und darf durchaus in Frage gestellt werden. Konkret bedeutet das: Es wäre vielleicht ein systematischer Zugang zweckdienlicher, der sich ansatzweise mit den unterschiedlichen Deutungsformen der Elisabeth (Frömmigkeit, Heiligkeit, Kirchenpolitik, Religionskritik) beschäftigt. Unter diesem Schema kann ja dann durchaus historisch vorgegangen werden, um auf diese Weise wesentliche Entwicklungslinien im Rahmen einer solchen Rezeptionstypologie nachzuzeichnen. Das wäre auch deswegen sinnvoll gewesen, da es verdeutlicht hätte, dass nicht etwa eine Art der Rezeption die andere abgelöst hat, wie es der historische Zugang suggeriert, sondern dass von Beginn an unterschiedliche Formen des Umgangs auftraten und auch heute Frömmigkeit und Elisabeth-Verehrung neben einer kritischen Interpretation der Heiligenbiographie steht, was ja im Unterkapitel XI.2 („Moderne Formen der Elisabeth-Frömmigkeit“) auch entsprechend beschrieben wird. Das „Heilige“ an sich wird jedoch nicht reflektiert, geschweige denn problematisiert. Die sich aufdrängenden Fragen nach der Heiligkeit heute, nach der Ambivalenz des Heiligen im Verhältnis von Heil und Leid, nach der Heiligkeit als kulturspezifische Erscheinung (wenn schon von Elisabeth als einer „europäischen Heiligen“ gesprochen wird) – sie werden nicht gestellt. Doch das kann man von einer Fest-Ausstellung respektive dem zugehörigen Katalog auch nicht erwarten. Für eine solche Auseinandersetzung ist eine Ausstellung bzw. ein Katalog nicht der geeignete Ort. Es muss statt dessen primär um die sach- und fachgerechte Präsentation der Ausstellungstücke gehen, und diese Funktion erfüllt der Katalog in einer Weise, die als durchaus überzeugend bezeichnet werden kann.

Auf „Elisabeth-komm-raus!“

Eingangs der jeweiligen Kapitel gibt es längere Einleitungstexte, die den Zusammenhang zu Elisabeth herstellen. Die einzelnen Exponate werden dann jeweils mit einer Abbildung vorgestellt. In einem informativen Text, ergänzt um Literaturhinweise für weiterführende Lektüre, wird das Stück detailliert erläutert. So trifft sich veranschaulichende Aufbereitung mit wissenschaftlicher Präzision. Wer noch wissen möchte, woher das jeweilige Exponat stammt, kann dies im Verzeichnis der Leihgeber nachschlagen. Die Autorinnen und Autoren sind hochspezialisierte Wissenschaftler, die sich intensiv mit den einzelnen Bildern, Handschriften und Devotionalien auskennen. Man merkt, dass sie noch viel mehr zu sagen hätten und sich zügeln, den Text auf das Wesentliche zu beschränken. Dennoch scheint es manchmal etwas zu viel des versprühten Wissens: Beinahe Jedes Exponat wird in einer so ausführlichen Weise gewürdigt, dass die einzige Frage, die sich dann noch stellt, die ist, ob man soviel überhaupt wissen wollte, zumal einiges nur am Rande mit Elisabeth zu tun hat. Das spürbare Bemühen, die betreffenden Stücke trotzdem – auf „Elisabeth-komm-raus!“ – mit der Jubilarin in Beziehung zu bringen, wirkt manchmal etwas verkrampft. Nicht überall, wo Elisabeth drauf ist, ist auch Elisabeth drin – im Sinne von Relevanz für die Darstellung ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit und ihrer Bedeutung für die Nachwelt. Es drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass man bei dieser Gelegenheit einmal alles zusammenstellen wollte, was irgendwie Bezug zur heiligen Elisabeth hat. Selbstbeschränkung hätte hier an manchen Stellen gut getan, insbesondere was die Verarbeitung des Elisabeth-Topos in der bildenden Profan- und Sakral-Kunst betrifft.

Umfangreiche Materialsammlung von Luther bis Liszt

Aber die Fleißarbeit hat freilich auch eine positive Seite: Die Informationsfülle bietet wohl jedem etwas. Und da mit einer solchen Groß-Ausstellung der Geschmack vieler Besucher zumindest partiell getroffen werden muss, ist eine vielseitige, umfangreiche Schau wohl auch auf die Gefahr drohender Unübersichtlichkeit hin die geeignetste Strategie. Besonders interessant scheint mir, um aus dem bunten Strauß an (Arte-)Fakten einmal zwei Dinge herauszugreifen, der Abschnitt über Luther (IX.2) – der auf der Wartburg natürlich nicht fehlen darf! – und das Kapitel über die musikalischen Elisabeth-Bilder bei Wagner und Liszt (XI.4), aus dem sich erhellt, wie unterschiedlich die Person der berühmten Heiligen verarbeitet werden kann. Die Autoren Helmut G. Walther und Sascha Wegner stellen fest (S. 601 ff.): In Wagners romantischer Oper Tannhäuser dient eine ahistorische, weitgehend säkularisierte Aufarbeitung des Elisabeth-Topos der Propagierung einer Kunstreligion, die um der Minne willen den Bogen schlägt von antiker Götterwelt zum christlichen Mittelalter, in Liszts Oratorium Die Legende von der heiligen Elisabeth wird die Biographie der Heiligen in musikalischen Bildern genau nachgezeichnet, wobei die lisztsche Oratorienästhetik sich von der Oper durch die Fokussierung auf das Potential der begriffslosen musikalisch-instrumentalen Darstellungskraft deutlich abgrenzt. Auch in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Elisabeth setzt Liszt andere Schwerpunkte als Wagner: Es geht ihm um die musikalische Darstellung eines vom christlichen Glauben durchtränkten Ideals, was er klanglich durch höhere Tonlagen in den Elisabethpartien realisiert, die mit ihren langsam schreitenden Tempi das Jenseitige des Heiligen-Habitus spüren lässt. Und damit werden, etwas versteckt, schließlich doch Denkanstöße zur Deutung des Heiligkeitsbegriffs gegeben.

(Josef Bordat)