Christen und die AfD

29. Juni 2016


Wer ein Facebook-Konto unterhält und sich ab und an im Rahmen dieses sozialen Netzwerks austauscht, schwerpunktmäßig mit Schwestern und Brüdern im christlichen Glauben, der könnte in politischen Diskussionen den Eindruck bekommen, dass der Anteil der AfD-Anhänger unter den Christen verhältnismäßig hoch ist – und damit (Christen machen ja immer noch 60 Prozent der Bevölkerung aus) der Anteil der Christen unter den AfD-Anhängern.

Der Schein trügt. Das zeigt uns Andreas Püttmann in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung für die (Erz-)Bistümer Hamburg, Hildesheim, Osnabrück, Aachen, Mainz, Limburg, Fulda, Berlin, Dresden, Görlitz, Magdeburg. Er tut dies anhand einer Allensbach-Umfrage zum Wahlverhalten. Demnach würden derzeit zwölf Prozent der Deutschen ihre Stimme der AfD geben.

Interessant wird es nun, wenn man sich anschaut, welchen Einfluss die Konfession auf die Wahlentscheidung pro AfD hat. Bei den Christen beider Konfessionen steht die AfD nicht so hoch im Kurs wie im Durchschnitt der Bevölkerung, zumindest nicht höher. Unter den kirchennahen Protestanten lassen sich neun Prozent AfD-Anhänger finden, unter den kirchenfernen Protestanten vier Prozent. Bei den Katholiken sind es acht Prozent (kirchennah) bzw. zwölf Prozent (kirchenfern). Unter den Konfessionslosen gibt es 18 Prozent AfD-Anhänger.

Im Ergebnis stehen also zwei unbequeme Wahrheiten: 1. Der derzeitige Erfolg der AfD basiert vor allem auf dem Wahlverhalten konfessionsloser Bürgerinnen und Bürger. 2. Kirchennähe schützt nur bei katholischen Christen vor einer Nähe zur AfD; bei den evangelischen Christen verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit einer AfD-Wahl mit der Nähe zur Kirche.

Den Befund, dass zwar christlich sozialisierte, aber nicht mehr praktizierende Protestanten und Katholiken sich gegenüber der AfD so unterschiedlich verhalten (vier Prozent gegenüber zwölf Prozent; bei den Kirchgängern ist die konfessionelle Differenz hingegen marginal: neun bzw. acht Prozent), erklärt Andreas Püttmann damit, dass eine der Glaubensinhalte beraubte konfessionelle Prägung das jeweilige soziokulturelle Deutungsmuster für innerweltliche Phänomene stärker zum Vorschein kommen lasse: bei Katholiken die eher AfD-affine Grundhaltung eines autoritativen Ordnungsdenkens, beim Protestanten die eher AfD-aversive Grundhaltung des liberalen Individualismus.

Das klingt plausibel. Andreas Püttmanns Analyse ist jedenfalls ein Grund, mal wieder die gute, alte Kirchenzeitung zur Hand zu nehmen. Denn seine Darlegung macht Mut, die oft hart geführten weltanschaulich-politischen Auseinandersetzungen in den sozialen Netzwerken richtig einzuordnen und damit besser zu ertragen. Es könnte schließlich sein, dass die so deutliche Präsenz von offenkundigen AfD-Anhängern im katholischen Teil des Facebook mehr über die Krise der Kirche aussagt als über die der Gesellschaft.

(Josef Bordat)

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