Takashi Nagai und das Christentum in Japan

9. März 2017


Paul Glynns Biographie des Wissenschaftlers, Konvertiten und Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Nagasaki gibt einen Einblick in die japanische Kirchengeschichte – und vermittelt eine Ahnung von der Kraft des katholischen Glaubens.

Takashi Nagai – die Eckdaten seines Leben lassen sich kurz umreißen: 1908 geboren, begann Nagai 1928 mit dem Studium der Medizin und wandte sich der Radiologie zu. Als junger Arzt nimmt er von 1937 bis 1940 am Japanisch-Chinesischen Krieg teil und erwirbt durch seine aufopferungsvolle Arbeit hohes Ansehen. 1944 erfolgt die Promotion. Am 9. August 1945 ändert sich dann alles: Nagai lebt in der seit Jahrhunderten vom Christentum geprägten Großstadt Nagasaki, auf die eine zweite Atombombe abgeworfen wird (nach dem ersten Nuklearschlag auf Hiroshima am 6. August 1945). 1951 stirbt er an den Folgen des Atombombenabwurfs.

Takashi Nagai – die Wirkung seines Lebens und seine Bedeutung sowohl für Japan als auch die Katholische Kirche lässt sich hingegen nicht so knapp fassen. Dafür braucht es weitere Ausführungen, die Paul Glynn, S.M. in seiner beeindruckenden Nagai-Biographie Ein Lied für Nagasaki macht. Was man nämlich wissen muss: Bei dem Angriff am 9. August 1945 stirbt seine Frau. Selbst schwer verletzt, hilft Nagai anderen Opfern – als Radiologe und als Christ. Bis zu seinem Tod setzt der inzwischen bettlägrige Nagai sich für die Menschen in Nagasaki ein: im fürbittenden Gebet um Heilung der äußeren und inneren Wunden. Als er 1951 stirbt, wird er von vielen seiner Zeitgenossen als Heiliger verehrt.

Für Nagai hatte sich aber nicht erst 1945 alles geändert, sondern bereits 1934. In diesem Jahr lässt er sich taufen und schließt mit der Katholikin Midori den sakramentalen Ehebund. Seine Frau hatte ihm einige Jahre zuvor einen Katechismus geschenkt, durch den Nagai zum Glauben fand – und durch die Schriften Blaise Pascals, die er als Naturwissenschaftler begeistert studierte. Mit der Taufe wurde aus Takashi Paul – in ehrender Erinnerung an den Märtyrer und Heiligen Paul Miki aus dem 16. Jahrhundert. Und damit änderte sich am 9. August 1945 doch nicht alles: Paul Takashi Nagai bleibt geborgen in Gott – und ist sich dessen ganz gewiss. Er deutet den verhehrenden Angriff auf seine Stadt sogar als Opfer.

Die Wirkung seiner Interpretation sowie das Gebet um Aussöhnung haben, so Glynn, in Nagasaki zu einer anderen Erinnerungskultur geführt als in Hiroshima. Auch, wenn sich der Einfluss Nagais nicht bemessen lässt, liegt es nahe, einen solchen anzunehmen – zu deutlich sind die Differenzen zwischen Hiroshima und Nagasaki in der Bewältigung der Katastrophe: „Hiroshima ist bitter, laut, hochpolitisch, linksgerichtet und antiamerikanisch. Sein Symbol könnte eine zornig geballte Faust sein. Nagasaki ist traurig, still, nachdenklich, unpolitisch und betend. Es wirft den Vereinigten Staaten nichts vor, sondern beklagt stattdessen die Sündhaftigkeit des Krieges, insbesondere des Atomkrieges. Sein Symbol: die zum Gebet gefalteten Hände“.

Es scheint, dass die Menschen in Nagasaki etwas hatten, was den Menschen in Hiroshima fehlte: die Kraft zur Versöhnung mit dem Feind und mit sich selbst, eine Kraft, die nicht zuletzt aus dem christlichen Glauben gewonnen werden kann, wie ihn von Miki bis Nagai viele Christen nach Nagasaki gebracht hatten. Paul Glynn erzählt ihre Geschichte – detailreich, doch ohne dabei die große Linie zu verlieren: die spirituelle Dimension der Leiderfahrung und die daraus gewonnene versöhnliche Form der Bewältigung, die Nagais Vorbild den Japanern ermöglicht.

Man erfährt eine Menge über Japan und die schwere Geschichte der Kirche im Reich der aufgehenden Sonne. Jesus Christus, die „Sonne der Gerechtigkeit“, zu schauen und anzubeten, war den Japanern lange verwehrt. Blutige Verfolgungszeiten galt es zu überstehen, fast drei Jahrhunderte lang währte die Christenverfolgung in Japan. Als Takashi Nagai geboren wird, gibt es erst seit einigen Jahrzehnten vom Staat geduldete Kirchen im Land – bis in die 1860er Jahre blieben die Christen „verborgen“, wie Glynn schreibt.

Das Buch ist also weit mehr als eine Biographie, die chronologisch Lebensstationen aneinanderreiht. Es geht ebenso um die kirchengeschichtlichen Hintergründe eines sich wandelnden Verhältnisses von Staat und Kirche – obgleich das Christentum bis heute den meisten Japanern fremd ist -, insbesondere aber geht es um den geistig-geistlichen Wandel Nagais, der vor dieser kulturellen Kulisse stattfindet. Er ist Shintoist aus familiärer Tradition, Atheist aus beruflicher Neigung und einem gewissen Stolz auf die eigene wissenschaftliche Vernunft („Sein Verstand war davon überzeugt“), dann ein zweifelnder Agnostiker mit erwachendem Interesse an Religion („doch sein Herz spürte, dass etwas fehlte“), schließlich Christ katholischer Prägung.

Glynn versteht es immer wieder, die Entwicklungen in plastischen Bildern zusammenzufassen. Nagais Konversion, die sich über Jahre hinzog, beschreibt er als Entscheidung zwischen den beiden Nagasakis: „Das eine war das Nagasaki der Sinnlichkeit, das man in den Vororten wie Maruyama, Hama no Machi, Ohato und Minato Machi antreffen kann, Orte der Nacht, den leichten Mädchen, dem Sake und dem Spaß vorbehalten. Ganz in der Nähe dieses sinnlichen Teils von Nagasaki liegt die andere Stadt, das Nagasaki der Jungfrau Maria, ebenfalls ein Ort der Liebe, doch einer Liebe, die durch Gebet, Opfer und Dienen aufrechterhalten wird“.

Das Gebet, das Opfer und der Dienst am Nächsten – all das wird auch Paul Takashi Nagais Leben nach der Taufe prägen, als Arzt im Kriegseinsatz und nach dem Atombombenabwurf, als Ehemann und Vater von insgesamt vier Kindern, als stiller Beter und Mahner zu Umkehr und Versöhnung. Dies alles wird von Paul Glynn nachvollziehbar und unterhaltsam dargelegt und kompetent eingebettet in die Geschichte der äußeren und inneren Erneuerung des Christentums im modernen Japan, in dem Nagais Bücher heute Bestseller sind. Ob Glynns Biographie Ein Lied für Nagasaki ein solcher werden wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es dem lesenswerten Buch.

Bibliographische Angaben:

Paul Glynn: Ein Lied für Nagasaki. Über das Leben von Takashi Nagai – Wissenschaftler, Konvertit und Überlebender des Atombombenabwurfs. Mit einem Vorwort von Shusaku Endo. Aus dem Englischen übersetzt von Petra Trischler.
Illertissen: Media Maria 2016.
320 Seiten, € 18,95.
ISBN 978-3-9454012-9-3.

(Josef Bordat)

Kommentare sind geschlossen.