Fortschritt durch Forschung?

1. Dezember 2017


Zur Kulturgeschichte des wissenschaftlichen Optimismus‘. Ein Zwischenruf anlässlich von zehn Jahren Spe Salvi.

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika Spe Salvi vom 30. November 2007 den Anspruch der modernen Wissenschaft, dem Menschen „Erlösung“ zu bringen, scharf kritisiert. Im Fokus der Auseinandersetzung steht Francis Bacon als Begründer der naturwissenschaftlichen Methodik, der Empirie, die sich als Paradigma für die Wissenschaft insgesamt herausgebildet hat.

Wenn es eine Hoffnung gibt, die der postmetaphysische Mensch der Moderne hegt, dann die auf den Fortschritt der Wissenschaft. Wissenschaftliche Forschung ist die neue Religion, das Experiment der Gottesdienst, das Labor die Kathedrale, das Gutachten der Ablassbrief. Biotechnologische Ansätze treiben den Gedanken an, die Ewigkeitssehnsucht des Menschen in seiner Selbsterlösung durch hybride Systeme zu erfüllen – die Rede vom Transhumanismus macht die Runde.

Die Kulturgeschichte dieses Fortschrittsoptimismus‘ beginnt im engeren Sinne mit Francis Bacon. Zum einen stellt Bacon mit der Entwicklung der Induktionsmethode einen neuen erkenntnistheoretischen Zugang zur Natur und damit ein neues Paradigma der Wissensproduktion vor. Zum andern entwickelt er einen hochaktuellen anthropogenen Schöpfungsmythos, indem er die Forschung von der ehrfürchtigen aristotelisch-scholastischen Deduktion aus gott- oder naturgegebenen Regeln emanzipiert und die epistemologische Transzendenz in die Immanenz des zum unmittelbaren Erkennen befähigten Einzelnen überführt. Insoweit soll das Selbstverständnis der modernen Wissenschaft vor der These, dass der „Gott-Mensch“ Bacons heute zwischen den Extrema Schöpfung und Zerstörung steht, kritisch reflektiert werden. Bacons optimistischer Fortschrittsglaube ist zu hinterfragen und zu prüfen, ob die Wissenschaftlichkeit der Neuzeit zu echtem Erkenntnisfortschritt geführt hat oder ob im sokratischen Sinne angenommen werden muss, dass wir umso weniger wissen, je mehr wir herausgefunden haben, weil sich aus neuer Erkenntnis neue Fragen ergeben.

Seine induktiv-experimentelle Methode beschreibt Bacon zunächst in seinem Werk Novum Organum. Der Titel ist eine Anspielung auf Aristoteles Organon, das durch Bacons neuen Entwurf als wissenschaftstheoretische Folie abgelöst werden soll. Im Novum Organum werden die Prinzipien einer Wissenschaftsorganisation modelliert, bei der es um Naturerkenntnis und dadurch um Naturbeherrschung geht. Schließlich erwächst daraus – und hier zeigt sich dann der Staatsmann Bacon – eine Erhöhung der eigenen Macht, also der Macht des Menschen einerseits, aber auch ganz konkret der Macht Englands andererseits. England war ja zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf dem besten Weg die Renaissancemächte Spanien und Portugal zu verdrängen, die sich 1580 zusammengeschlossen, aber bereits acht Jahre später eine schwere Niederlage erlitten hatten. Der Sieg der englischen Flotte im Ärmelkanal über die spanische Armada ist der Sieg einer aufstrebenden kapitalistischen gegen eine absteigende feudale Macht. Bacon erlebt dies als Abgeordneter und ihm geht es eben darum, diese Macht durch eine effiziente, moderne Wissenschaftsorganisation zu untermauern und auszubauen.

Die gesellschaftstheoretische Umsetzung des Programms von Novum Organum geschieht dann in der Utopie Nova Atlantis, in der er beschreibt, wie 1. die Prinzipien institutionell und personell implementiert werden und wie 2. aus der Forschungsarbeit nicht bloß rein epistemische, sondern auch ethische Fortschritte erzielt werden, die erstmals in der Geschichte die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen ermöglichen, da ökonomisches Konfliktpotential wissenschaftlich überwunden wird und menschliche Bedürfnisse infolgedessen künftig kollisionsfrei befriedigt werden können. Hier tritt neben den Machtanspruch der Gedanke einer aus der wissenschaftlichen Perfektibilität erreichbaren Optimalwelt, die an paradiesischen Umstände erinnert. Dies macht gerade das utopische Moment der naturwissenschaftlich-technischen Utopie „Nova Atlantis“ aus, denn es trifft sich der reale Anspruch einer machtstabilisierenden Wissenschaftsorganisation mit dem Mythos des Goldenen Zeitalters. Ohne zuviel vorweg zu nehmen, kann man jetzt schon sagen, dass der erste Gedanke – „Wissen ist Macht“ – seine Berechtigung hat, v. a. für Europa, die Schlussfolgerung – „Wissen schafft Frieden“ – allerdings weniger.

Bevor ich auf Nova Atlantis näher eingehe, zunächst noch einmal die Feststellung des methodologischen Aspekts und des daraus erwachsenen Gedankens, die Schöpfung in der Sphäre des Individuums zu verorten. Es geht in Bacons Wissenschaftsbild nicht um das ehrfürchtige Nachvollziehen eines natürlich-göttlichen Regelwerks, sondern um die schöpferische Entwicklung eigener Regeln aus der empirischen Forschungsarbeit. Bacon versucht damit, „die Enge des aristotelisch-scholastischen Dogmatismus zu sprengen“1, die er so verabscheut: „Diese Art degeneriertes Lernen herrscht hauptsächlich unter den Scholastikern […]. Ihre Gehirne sind in den Zellen einiger Autoren, hauptsächlich des Aristoteles, ihres Diktators, eingeschlossen so wie ihre Leiber in den Zellen der Klöster und Kollegien.“2 Bacon wendet sich gegen voreilige Thesenbildung ohne genaue Beobachtung der Sachverhalte und entwickelt als „neues Werkzeug“ (novum organum) die Induktion, als das Bündnis der „experimentellen […] und der rationalen“, der „beobachtenden und der denkenden Fähigkeit“3. Er beabsichtigt, „zu einer vollständigen Erneuerung der Wissenschaften und Künste, überhaupt der ganzen menschlichen Gelehrsamkeit, auf gesicherten Grundlagen kommen“4.

Damit, dass diese Erneuerungsarbeit von allen getragen werden soll, richtet sich Bacon aber nicht nur gegen Aristoteles’ Deduktionsbegriff, sondern auch gegen die platonische Vorstellung einer Ideenwelt, die nur von wenigen „geschaut“ und „gefunden“ werden kann. Die Organisation in Nova Atlantis ist weder elitär, noch richtet sie sich aus auf einen abgeschlossenen Kanon an Erkenntnissen. Alles wird mit Hilfe aller grundsätzlich und ergebnisoffen unter die Lupe genommen, so könnte man es salopp formulieren, oder wie Bacon es ausdrückte, „mit einem Verstand, der von Meinungen rein gewaschen ist“5. Übrigens zeigt sich auch hier im Titel wieder die Opposition zum antiken Entwurf, hier ist es Platons Atlantis, auf die Bezug genommen wird und die erneuert werden soll.

Also: Die Metaphysik der Antike wird von Bacon weggespült. Das Erfahrene ist weder Verkörperung des Allgemeinen im Einzelnen (aristotelische Deduktion) noch von der Elite geschauter Abschnitt einer Ideenwelt (platonisches Finden). Reinwald schreibt dazu: „Durch die vermeintliche Loslösung vom metaphysischen Allgemeinen in der Vorstellung einer Verkörperung des Allgemeinen im Einzelnen erfolgt die vollständige Verlagerung der Transzendenz in die Immanenz, in das Einzelne selbst“ und stellt fest: „Die bei Aristoteles bereits auf den unbewegten Beweger zusammengefallene Seinspyramide des Platon fällt damit durch eine nochmalige innerweltliche Transformation weiter in sich zusammen und wird auf das weltimmanente Individuum reduziert“6. Das hat zur Folge, dass dieses Individuum selbst zum „unbewegten Beweger“ wird, zum „Schöpfer“. Der Mensch schaut also nicht nur sehr genau hin und erkennt dadurch das wahre Wesen der Natur, er wird auch befähigt, aus dem Anschauungsobjekt etwas Neues zu formen und schöpferisch mit der betrachteten Natur umzugehen.

Bacon nutzt die typische literarische Form des Reiseberichts für seine Utopie, welche auf einer imaginären Insel namens „Bensalem“ spielt, auf der eine in Seenot geratene europäische Schiffsbesatzung strandet, die auf ihrem Weg von Peru nach China in der Südsee von einem Sturm überrascht wurde. Die Männer haben in der Tat Glück im Unglück, denn sie konnten nicht nur ihr Leben retten, sondern werden von hochrangigen Repräsentanten des Inselvolkes freundlich empfangen und mit den Besonderheiten des Gemeinwesens vertraut gemacht. Im Zentrum der Insel-Gesellschaft steht das Haus Salomons, eine Art wissenschaftliches Institut, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch induktiv-experimentelle Verfahren und eine starke Interdisziplinarität der Forschung das Erkennen der Ursachen und verborgenen Ideen der Natur sowie die Erweiterung des geistigen Horizonts der Menschen zu fördern, um wissenschaftlich-technischen Fortschritt und damit wirtschaftliche Prosperität zu realisieren. Das Haus Salomons wird als „Leuchte Bensalems“ und als „Auge des Reiches“ bezeichnet.

Institutionell stehen Labors, Forschungstürme, Werkstätten und Versuchsanlagen zur Verfügung, in denen Daten aufgenommen und geordnet werden. Die enzyklopädischen Informationen über die Natur werden jedoch nicht nur gesammelt und kategorisiert, sondern auch im Blick auf die schöpferische Interpretation ausgewertet. Dabei wird Materialforschung betrieben, um künstliche Stoffe zu entwickeln, Dünger etwa und Treibstoffe. Meteorologische und astronomische Erkundungen finden ebenso statt wie Züchtungsforschung an Pflanzen und Tieren. Man versucht darauf hinzuwirken, dass „Bäume und Pflanzen vor oder nach der Zeit blühen, daß sie schneller wachsen und mehr Früchte tragen, als es ihrer Natur entspricht“ und man entwickelt Methoden, „um verschiedene Tierarten zu kreuzen und zu paaren, die neue Arten erzeugen und nicht unfruchtbar sind, wie man gewöhnlich glaubt“7. Hier geht es also um einen biotechnologischen Nutzen des manipulativen Eingriffs. Aus dem Dienst an der Natur erwächst die Dienstbarmachung der Natur.

An diesem Prozess sind verschiedene Personengruppen beteiligt, die entsprechend der Operationsschritte konkreter Forschung bestimmte Funktionen erfüllen: Es gibt die „Händler des Lichts“, die aus fremden Ländern Bücher und Versuchsanordnungen beschaffen, die „Beutesammler“, die alle in Büchern registrierten Versuche sammeln, die „Geheimnisjäger“, deren Aufgabe in der Zusammenstellung aller selbst entwickelten Experimente besteht, die „Pioniere und Grubenarbeiter“, die neue Experimente ausprobieren, die „Pfropfer“, die über die Ausführung der Experimente berichten, die „Zusammenführer“, die die Ergebnisse ordnen und die „Leuchter“, die sie begutachten. Sammlung, Erprobung, Dokumentation und Begutachtung der Daten ermöglichen schließlich den „Interpreten der Natur“, die experimentellen Entdeckungen in Axiome und Aphorismen zu bringen, also wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten feststellen und daraus Regeln entwickeln. Aufgrund dieses Wissens über die natürlichen Zusammenhänge können schließlich mehr Möglichkeiten realisiert werden als eigentlich zur Verfügung stehen. Die „Interpreten der Natur“ sind „Schöpfer“ einer neuen Welt, in der, wie oben beschrieben wurde, Pflanzen mehr und öfter Frucht bringen und neue Tierarten zur Verfügung stehen. Das, was uns heute skeptisch macht, wird von Bacon kritiklos optimistisch als „Fortschritt“ bezeichnet, zum letzten Ziel: Mehrung der Macht.

Die Frage der Möglichkeit eines Erkenntnisfortschritts bestimmt seit jeher den wissenschaftstheoretischen Diskurs. Bacons optimistischer Fortschrittsglaube steht gegen die Skepsis des Sokrates, dessen Pessimismus sich auf die berühmte Formel bringen lässt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Unklar ist, ob die „neue Wissenschaftlichkeit“ der Neuzeit, die bei Bacon ihren Ausgang nahm, zu echtem Erkenntnisfortschritt geführt hat oder ob im sokratischen Sinne angenommen werden muss, dass wir umso weniger wissen, je mehr wir herausgefunden haben, weil sich aus einer neuen Erkenntnis neue Fragen ergeben.

Schaut man sich etwa die Ansichten der modernen „Interpreten der Natur“ an, kann man Zweifel bekommen. Der vielleicht bedeutendste Naturinterpret unserer Zeit, der Physiker Stephen Hawking, äußert sich mit dem Blick auf das Ganze verhalten optimistisch: „Wenn im Universum grundsätzlich alles von allem abhängig ist, könnte es unmöglich sein, einer Gesamtlösung dadurch näher zu kommen, dass man Teile des Problems isoliert untersucht.“, um dann zu resümieren: „Trotzdem haben wir in der Vergangenheit auf diesem Wege zweifellos Fortschritte erzielt“8.

Die Notwendigkeit ganzheitlichen Zugriffs auf die Natur in dem Begriff des Wissens, der hier anklingt, öffnet die Perspektive auf die Religiosität, die bei bekannten Forschern des 20. Jahrhunderts fast schon typisch ist: Heisenbergs berühmter Ausspruch „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott“9, ist in diesem Zusammenhang nur ein Exponent erkannter Ratlosigkeit angesichts des „Geheimnisvollen“ und „Undurchdringlichen“, das nach Einsteins den Kern der wahren Religiosität ausmacht.10 Max Planck etwa bekannte: „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und dann nicht mehr weiterdenken konnte“11 und auch „andere Naturwissenschaftler wie Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli oder Albert Einstein haben sich im Laufe ihres Forschens der Religion – genauer: der Mystik – genähert“12.

Die letzte Unzugänglichkeit, der nicht hintergehbare Rest, bietet jenen Spielraum für Gott, der die eigentümliche Symbiose von Physik und Metaphysik bei den angesprochenen Wissenschaftlern hervorbrachte, die damit gezwungen waren, hinter Bacons Ideal zurückzugehen, der die strikte Trennung von Physik und Metaphysik forderte und noch nicht erkannte bzw. erkennen konnte, das dies letztlich nicht möglich ist. Die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) durch die Wissenschaft hat nicht funktioniert, dies zeigt sich in unserer Zeit besonders deutlich, in der man eine Renaissance des Religiösen zu erkennen glaubt.

Es hängt insoweit sehr stark vom Verständnis bzw. von der Deutung des Begriffs „Wissen“ ab, ob wir Fortschritte verzeichnen können. Mit dem baconschen Blick auf Teilprobleme können wir dies sicherlich, mit dem Blick auf „das Ganze“ erscheint es fraglich. Es zeigt sich deutlich die Dialektik des Fortschritts: Neue Antworten werfen neue Fragen, neue Lösungen neue Probleme auf. Wissenschaftsgläubigkeit und Wissenschaftskritik, Gewissheit und Zweifel bilden die Pole einer perpetuierenden Entwicklung. Einerseits werden Computer und Mobiltelefon erfunden, um uns „frei“ zu machen, andererseits schafft diese Technik neue Abhängigkeiten. Wir werden zu Sklaven einer Technologie, die uns eigentlich befreien sollte. Einerseits steigt der Umfang des Wissens geradezu unvorstellbar an, andererseits verlieren wir traditionelles Wissen im Bereich von Handwerk und Landwirtschaft, weil wir meinen, es zukünftig nicht mehr zu benötigen. Einerseits wird also z. B. mit Hilfe der Gentechnik versucht, das Welternährungsproblem in den Griff zu bekommen, indem Einheitspflanzen extremen klimatischen Bedingungen angepasst werden, andererseits werden damit gerade jene Pflanzen verdrängt, die über eine natürliche Resistenz gegen extreme klimatische Bedingungen verfügen. Am Beispiel der Kartoffel in Peru wird deutlich, was für eine Tragödie es ist, wenn der so genannte Fortschritt okzidentaler Naturwissenschaft Jahrtausende altes Wissen der indigenen Bevölkerung unberücksichtigt lässt bzw. als nicht mehr brauchbar zurückweist.

An diese Beispiele schließt sich der Gedanke an, wie es um die Ethik moderner Wissenschaft bestellt ist, wie das Verhältnis von epistemischer und ethischer Dimension des wissenschaftlichen Fortschritt beurteilt werden kann. Ist es so – wie Bacon unterstellt –, dass Wissenschaft automatisch zu einer „besseren“ Gesellschaft auch im moralischen Sinne führt, weil Problemursachen des menschlichen Gegeneinanders (z. B. Knappheit) sich angesichts des Fortschritts auflösen oder ist es vielmehr so, dass ethische Tabubrüche erst durch den induktiv arbeitenden Naturwissenschaftler der Neuzeit ermöglicht werden und wissenschaftlicher „Fortschritt“ somit tendenziell eher Problemursachen schafft – von der Militärtechnik (Kampfstoffe, Massenvernichtungswaffen) über die zivile Nutzung strittiger Technologien (Atomenergie) bis hin zu aktuellen Entwicklungen in Medizin und Biotechnologie (therapeutisches Klonen)? Also: Löst oder schafft Fortschritt Problemursachen menschlichen Mit- bzw. Gegeneinanders? Ohne darauf eine Antwort parat zu haben, bleibt wohl schließlich folgendes festzuhalten: Der „Gott-Mensch“ Bacons steht gerade heute zwischen den Extrema Schöpfung und Zerstörung (erstere ist bei Bacon mitgedacht, letztere nicht). Hier das Maß zu finden, das Fortschritt und Verantwortung zusammen betrachtet, ist die Aufgabe der modernen Wissenschaft schlechthin.

Wir sollten in der Tat skeptisch hinsichtlich der wissenschaftstheoretischen Meta-Prämisse sein, die besagt, die Forschung könne uns jenen Fortschritt bescheren, den wir gerne hätten. Ob die Wissenschaft tatsächlich unsere Hoffnung stillt, ist offen. Fragt man Forscher, so sehen sie darin gar nicht ihre Aufgabe. Doch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit besteht. Das Noch-Nicht des „Prinzips Hoffnung“ (Ernst Bloch) bezieht sich immer stärker auf den wissenschaftlichen Forschungsbetrieb, oftmals verkennend, dass auch er ein soziales System ist, das nicht über den Dingen steht, sondern eng mit ihnen verwoben ist. Die Sehnsucht nach Fortschritt verlangt Wachsamkeit – bei der akademischen Arbeit ebenso wie bei ihrer Finanzierung und bei der Nutzung ihrer Resultate.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Karl Jaspers, der in beiden Hinsichten, der epistemischen und der ethischen Bewertung der Wissenschaft, fortschrittsskeptisch ist und an einen vermittelnden Schlüsselbegriff erinnert: die Weisheit. Unter Bezugnahme auf den Rigveda, einer rund dreitausend Jahre alten hinduistischen Schriftensammlung, meint Jaspers: „So wage ich doch die Behauptung: Wir sind trotz aller Wissenschaft im Grunde nicht einen Schritt weiter als dieser alte Weise in Indien“13.

Anmerkungen:

1 R. Ahrbeck (1977): Morus, Campanella, Bacon. Frühe Utopisten. Köln, S. 111.
2 Bacon, zit. nach J. Kuczynski (1970): Wissenschaft und Wirtschaft bis zur industriellen Revolution. Studien und Essays über drei Jahrtausende. Berlin, S. 99.
3 F. Bacon (1962): Das neue Organon. Hrsg. v. M. Buhr. Berlin, S. 106.
4 A. a. O., S. 4.
5 Bacon, zit. nach H. Reinwald (1991): Mythos und Methode. Zum Verhältnis von Wissenschaft, Kultur und Erkenntnis. München, S. 413.
6 A. a. O., S. 419.
7 F. Bacon (1960): Neu-Atlantis. Hrsg. v. F. A. Kogan-Bernstein. Leipzig, S. 53 f.
8 S. W. Hawking (1995): Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums. Reinbek bei Hamburg, S. 26.
9 W. Heisenberg, zit. nach W. Jäger (2002): Die Welle ist das Meer. Mystische Spiritualität. Hrsg. v. C. Quarch. Freiburg i. Br., S. 102.
10 A. Einstein (2001): Mein Weltbild. Hrsg. v. C. Seelig. München, S. 12.
11 M. Planck, zit. nach W. Jäger (2002), S. 102.
12 Ebd.
13 K. Jaspers (1970): Chiffren der Transzendenz. München, S. 11 f.

(Josef Bordat)