„Hat kein’n Zweck!“ – Oder doch?

5. Juli 2010


Wenn es um die Erkenntnis von Gründen und Zwecken geht, teilen sich Wissenschaft und Religion die Arbeit: Wissenschaftler erforschen die Kausalität der Welt und kommen zu erstaunlich genauen Erklärungen des „Warum gerade so?“ – Doch Gott ist größer als das, was wissenschaftlich ergründbar ist. Darum widmet sich die Religion der Finalität und hilft zu verstehen: „Warum überhaupt?“

I.

Die Frage, ob die Welt einen Zweck hat (gr. Τέλος, daher: „Teleologie“ als Lehre vom Zweckbezug; lat. finis, daher: „Finalität“ als Ausdruck von Zweckbezug), ist in der Geschichte der Menschheit unter Einnahme verschiedener theologischer oder philosophischer Standpunkte oft und sehr unterschiedlich beantwortet worden.

1. In Anaxagoras’ Deutung des nous als Prinzip der geordneten Welt tritt der Finalitätsgedanke erstmals in der abendländischen Geistesgeschichte auf (Fragm. 12). Sokrates’ Finalitätsargument (Mem. I, 4) geht über Platon (Philebos 18 c-e) in die Gottesbeweise der frühchristlichen Apologeten und der Kirchenväter ein: Bei Plotin zeigt sich Gott erkenntlich in der Einheit und Vielheit der Dinge (Ennead. VI 9), denen Schönheit (Ennead. I 6; V 8; VI 7) und Streben (Ennead. VI 7) eignet.

2. Thomas von Aquin, für dessen Theologie die Erkennbarkeit Gottes mit den Mitteln der menschlichen Vernunft grundlegend ist, entwickelt den teleologischen Gottesbeweis als einen der quinque viae, der fünf möglichen Wege zu Gott (Sum. Theol. I, q. 2, a. 3). Thomas spricht zudem in seinem Kommentar zur Aristotelischen Physik von der Natur als „die den Dingen eingestiftete Vernunft einer Art Kunst, nämlich der göttlichen, durch welche diese Dinge auf ein bestimmtes Ziel hingeordnet werden“ (In Phys., II, l. 14, n. 8). Finalität und Kausalität sind zudem bei Johannes Duns Scotus prägend (Ordin. I, 2, 1, 1), während beim Spätscholastiker Francisco Suárez das Argument des Verursachtseins zentral ist (Disp. metaph. XXIX, 1, 20 ff.)

3. Einiges von Suárez’ Metaphysik nimmt Gottfried Wilhelm Leibniz auf und baut dieser philosophischen Disziplin damit im 17. Jahrhundert eine Brücke zwischen Barockscholastik und Aufklärung. Einerseits unterscheidet Leibniz in seiner Erkenntnistheorie (mit Aristoteles und gegen Bacon) die Kontingenz eines material-phänomenologischen Kausalnetzes im „Reich der Natur“, das experimentell zugänglich ist, aber nur Wirkursachen enthält (causes efficientes), von der Notwendigkeit der Zielursachen (causes finales) im „Reich der Zwecke“ bzw. der „Gnade“, das experimentell nicht zugänglich ist. Wir können also erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht in Erfahrung bringen, warum sie ist, wie sie ist. In seinem substanzmetaphysischen Weltentwurf, der Monadologie, betont er jedoch die Harmonie der Sphären (§ 79), die ermögliche, dass die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen (§ 88).

4. Besonders wirkmächtig wird die Teleologie in der Physikotheologie des 18. Jahrhunderts, deren Motiv es war, von der Anschauung der Natur (physis) auf Gott (theos) zu schließen. Für den deutschen Sprachraum ist das umfangreiche Werk Barthold Hinrich Brockes’ ein beachtlicher Beleg für die große Bedeutung der natürlichen Theologie in der Aufklärung, für deren teleologischen Ansatz Leibnizens Harmonievorstellung leitend war. In seinem neunbändigen Lyrikwerk Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend aus Physikalisch- und Moralischen Gedichten beschreibt Brockes das Kleine und Gewöhnliche und schließt daraus auf den Schöpfer. Exemplarisch sei das Gedicht die „Die kleine Fliege“ (V, 120 f.) genannt: „Neulich sah ich mit Ergetzen, / Eine kleine Fliege sich, /Auf ein Erlen-Blättchen setzen, / Deren Form verwunderlich / Von den Fingern der Natur, / So an Farb’, als an Figur, / Und an bunten Glantz gebildet.“ Die „Finger der Natur“ gehören zur „Hand Gottes“: „Liebster Gott! wie kann doch hier / Sich so mancher Farben Zier / Auf so kleinem Platz vereinen, / Und mit solchem Glantz vermählen, / Daß sie wie Metallen scheinen!“ Gottes „wunderbare“ Schöpfung ist aber keine l’art pour l’art, sondern soll dem verzückten Betrachter zur Gotteserkenntnis, dem „Endzweck“ der Schöpfung, verhelfen: „Hast du also, kleine Fliege, / Da ich mich an Dir vergnüge, / Selbst zur Gottheit mich geleitet.“ Hier stehen die Schönheit und Ordnung, die sich im Einzelnen erblicken lässt, im Vordergrund. Sie nötigen, so Brockes, dem Menschen den logischen Rückschluss auf das Ganze ab. Brockes formuliert in den Anfangsversen von „Unumstößliche Gründe“ (VI, 348 ff.) den Kerngedanken der Physikotheologie: „Alle menschliche Vernunft stimmt der Wahrheit hierin bey, / Jeder faßt, daß er nicht Ursach seines Wesens sey. / In der Ordnung der Geschöpfe, die so regelrecht, als schön, / Da auch sie sich nicht gemachet, ist ein Schöpfer klar zu sehn.“ Der Blick geht also immer auf das (einzelne) Geschöpf, um den Schluss auf den Schöpfer zu ermöglichen, ja sogar zu erzwingen, denn nicht nur die Sinne werden überzeugt, sondern auch die Vernunft gebietet dem Menschen den Glauben an den Schöpfer. Im Zentrum steht jedoch die betrachtete Natur, denn: „Die Bewunderung entsteht aus der Creatur Betrachtung, / Und aus der Bewunderung solcher Wunder, quillet Achtung, / Ehrfurcht, Andacht, Dank und Liebe, deren süssen Eindruck man, / Sonder der Natur Betrachtung, schwerlich recht empfinden kann.“

Leibniz jedoch hatte deutlich gemacht, dass die Harmonie der Welt als Universalharmonie das Ganze betrifft: „Allein das Ganze ist harmonisch, allein gleichsam die Gestaltung des Ganzen ist Harmonie.“ Weiterhin stellt er fest: „Die Universalharmonie beruht nicht auf den Teilen, sondern auf der ganzen Reihe der Dinge“. Um diese Harmonie des Ganzen zu erkennen, ist es nach Leibniz sinnlos, den Blick aufs Detail zu richten, da identifizierte Harmonie oder Disharmonie im Einzelnen nichts über das Ganze aussagt, da beides – Harmonie und Disharmonie – in der Universalharmonie einen Platz hat: Die „Harmonie des Gesamten bereitet durch die in sie eingefügten Dissonanzen und den dadurch auf wunderbare Weise entstandenen Ausgleich Freude“. Dieser Gedanke des „Ausgleichs“ verhindert es geradezu, in der Erforschung von Einzelheiten Hinweise auf das Ganze entdecken zu können. Weder kann also, nach Leibniz, vorgefundene Zweckmäßigkeit den Zweck des Ganzen belegen, noch können vorgebliche partikulare Unzweckmäßigkeiten diesen widerlegen. Das übersieht Brockes.

Weil aber die Erforschung von Einzelheiten das Anliegen der (baconschen) Naturwissenschaft ist, erweist sie sich mit Leibniz einmal mehr als ungeeignet für Aussagen über die Welt als solche. Analoges ließe sich über die Zweckmäßigkeit sagen, da die Harmonie in Leibnizens Vorstellung als „prästabiliert“ gilt und somit Ausdruck einer telelogischen Schöpfung ist. Anders ließe sich Leibnizens Rede vom „Ganzen“ auch nicht sinnvoll aufrecht erhalten: Ihm muss bei der Universalharmonie ein geordneter und zweckhaft-zielgerichteter Weltlauf vor Augen gestanden haben. Also: Auch die Zweckmäßigkeit betrifft ausschließlich das Ganze – die Welt als solche. Finalität mag zwar in der Welt sein (und dort als Kausalität erkannt werden), doch nicht als notwendiges Ergebnis der harmonischen Schöpfungsordnung, sondern nur als ein möglicher Teil von ihr (ebenso möglich ist das Chaotische). Notwendig ist allein der Zweck der Welt, nicht der Zweck in der Welt. Das Chaotische erfüllt schließlich wie der nicht-finale „Pseudo“-Zweck einen Zweck im Ganzen: sie formen die finale Zweckmäßigkeit und damit den Sinn der Welt im Absoluten, die Gott in unendlicher praevisio als die bestmögliche geschaffen hat.

5. Für die Teleologie des 19. Jahrhunderts richtungsweisend ist William Paleys Uhrmacher-Analogie aus Natural Theology (1802). Aus der Zweckmäßigkeit, so Paley, mit der eine Uhr, die man findet, zusammengefügt sei, müsse man auf einen intelligenten Schöpfer, den „Uhrmacher“, schließen. Folglich müsse auch ein lebender Organismus, der ebenso zweckmäßig ist, einen intelligenten Schöpfer gehabt haben.

II.

In der Gegenwart – also: im Zeitalter der Wissenschaft als Orientierungssystem – stellt sich die Frage nach dem Zweck nach wie vor, nunmehr jedoch als Bestimmung des Verhältnisses von Teleologie und Naturwissenschaft.

1. Moderne Naturwissenschaft ist qua definitionem ateleologisch, denn „Zwecke, Ziele, globale Intentionen in die Welt hineinzutragen, wird heute in der Naturwissenschaft als eine Überschreitung der kausal-mechanistischen Erklärungsstrategie gesehen“ (Kanitscheider) und verzichtet im Zuge des Empirismusparadigmas Bacons gerade auf eine eigenständige philosophische Metaphysik – also auf Platons „Ideen“, Kants „Ding an sich“ oder Aristoteles’ Unterscheidung von „Erst-“, „Wirk-“ und „Zielursache“, an der Thomas von Aquins teleologischer Gottesbeweis, aber auch Leibnizens Unterscheidung von „Finalität“ und „Kausalität“ bzw. „Gnade“ und „Natur“ anschließen.

2. Innerhalb der „modernen Naturwissenschaft“ ist ein solcher methodischer Naturalismus eingedenk der Erkenntnisabsicht des Projekts „Wissenschaft“ und der Grenzen des Gegenstands „Natur“ durchaus angemessen. Der (idealtypische) Verzicht auf Metaphysik ist Teil der naturwissenschaftlichen Forschungspragmatik, was bedeutet: Die Naturwissenschaftlerin und ihre Kollegen verzichten nicht deshalb methodologisch auf den Zweckbegriff, weil sie etwa meinten, dass es keinen Zweck gäbe, sondern weil es für ihre Arbeitsweise egal ist, ob es einen Zweck gibt oder nicht. Wenn man Eier kauft, muss man darauf achten, dass sie frisch, preiswert und ökologisch unbedenklich sind und wenn man sie transportiert, muss man vorsichtig sein, egal zu welchem Zweck man sie gebrauchen wird. Ob daraus später Rührei wird oder ein Eierkuchen ist für den Beschaffungsvorgang egal. Das heißt aber freilich nicht, dass dem Käufer dies egal sein muss, um ein guter oder um überhaupt ein Käufer zu sein. Nur für den Prozess des Einkaufs muss und kann es ihm egal sein, denn dann spielen andere Aspekte eine Rolle. Dahingehend besteht unter Eierfreunden und Naturwissenschaftlern weitgehend Konsens.

Doch es besteht zunehmend die Gefahr, dass sich die Naturwissenschaft von ihrer berechtigten Selbstbeschreibung löst und ihre Grenzen in zwei Schritten unzulässig übertritt: Zunächst epistemologisch, hin zur Hüterin einer exklusiv und universell gültigen Monopolmethode, der Empirie, und dann ontologisch, hin zu einer atheistischen Weltschauung, dem Szientismus, der sich in der letzten Zeit oft genug anti-theistisch geriert. Aus ateleologischer Pragmatik wird ateleologische Ideologie, aus Wissenschaft wird Weltanschauung.

3. Dabei wird freilich übersehen, dass eine metaphysikfreie Wissenschaft über Ideen und Dinge, die nur und ausschließlich im Rahmen der Metaphysik verhandelt werden können – dazu gehören alle Kernkonzepte der Religion – mit ihren Mitteln nichts Treffendes aussagen kann, da ihre Fragen dafür nicht weit genug ausgreifen. Wer „etsi deus non datur“ forscht, kann nicht plötzlich aus dieser Forschung heraus Aussagen über „deus“ machen. Diese Beschränktheit ist kein Makel, sondern ein Konstitut der Naturwissenschaft, das bislang ihre hohe Dignität und ihren großen Erfolg garantiert hat.

III.

Im folgenden geht es mir um das szientistische Postulat, die Welt als solche habe weder Zweck noch Sinn, da sich diese teleologische Struktur nicht als Resultat naturwissenschaftlicher Forschung eingestellt hätte – im Gegenteil. Abgesehen davon, dass dieses Postulat zirkulär ist, weil übersehen wird, dass man ja von ateleologischen Prämissen der naturwissenschaftlichen Forschungsmethodik ausging, man also nicht finden kann, was man gar nicht sucht, stimmt die Beobachtung natürlich: die Natur ist im Rahmen ihrer Mechanismen zweckfrei und geistlos.

1. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, als Mensch gänzlich ohne Zweckbezug zu denken, wie es die modernen Naturwissenschaften fordern, die in ihrer Welterklärung auf jede metaphysische Annahme verzichten. Es ist fraglich, ob das überhaupt geht, da der Glaube dem Wissen stets voraus geht – man muss zumindest glauben, dass man überhaupt etwas wissen kann. Wenn dies ginge, bliebe immer noch zu klären, ob es sinnvoll wäre, Gott als Garanten der vom Logos vernünftig geordneten Welt, ohne deren Gleichförmigkeit eine Verallgemeinerung von partikularen Beobachtungen durch die Formulierung von universell gültigen Gesetzen überhaupt erst ermöglicht wird, als Bedingung jeder wissenschaftlichen Annäherung an die Natur zu verleugnen, denn das hieße, die eigene Geschichte zu vergessen: Die modernen Naturwissenschaften entstanden nicht im luftleeren Raum, sondern im Vertrauen auf einen gütigen, rationalen Geist, der im Christentum Gott genannt und mit dem Logos identifiziert wird (Joh 1, 1). Schon Leibniz hatte Bacons Epigonen an die Voraussetzung ihres Empirismus’ erinnert: die Geltung logischer (also: göttlicher) Prinzipien.

2. Wie schwierig es ist, jeden Zweckbezug auszublenden, zeigt sich schon bei der oben zitierten Beschreibung des ateleologischen Prinzips der naturalistischen Methodik, in der von dieser als „Erklärungsstrategie“ (Hervorhebung von mir) die Rede ist. Der Begriff Strategie beinhaltet gerade das, was für das Erklärte Tabu sein soll: Ziel und Zweck zu haben. Ergo: Es scheint in der Tat sehr schwierig, die Welt ziellos und zweckfrei zu denken. Der Mensch hat eine unstillbare „Sehnsucht nach Sinn“. Das ist nicht nur eine rein funktionalistische Angelegenheit, denn die Sehnsucht nach Sinn ist ein starker Hinweis auf den Sinn selbst, um eine Position Robert Spaemanns zu analogisieren. Spaemann hat in einem Interview („Herr Spaemann, wie beweisen Sie die Existenz Gottes“, in: P.M.-Magazin, 4/2008) zu seinen 2007 erschienen Büchern Der letzte Gottesbeweis und Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und der Aberglaube der Moderne die Idee seines „grammatischen Gottesbeweises“ verteidigt. Spaemanns Gottesbeweis basiert auf der Beobachtung, dass die Rede von der vollendeten Zukunft (Futur II) nur dann sinnvoll ist, wenn das gegenwärtig Wahre nicht eines Tages vergessen ist, was der Fall sein wird, wenn niemand mehr existiert, der das ehemals Wahre als wahr bestätigen kann. Spaemann folgert daraus, dass es ein ewiges Bewusstsein geben müsse, in dem die Wahrheit geborgen bleibt und dauerhaft erinnert wird. Von diesem Bewusstsein, also von Gott, haben wir aus der Gegenwart heraus nur eine sehnsuchtsvolle Ahnung, den Glauben, der sich in seinem Charakter als Gerücht jedoch beständig hält. Spaemann erläutert, dass unser Bedürfnis nach Gott ein Indiz für die Existenz Gottes sei, so wie unser Durst ein Zeichen dafür sei, dass es Wasser gibt.

IV.

Die Frage ist nun, wie sich die starke Ahnung von Zweck, Ziel und Sinn mit einer ateleologischen Forschungsmethodik verträgt. Dazu gibt es zwei Auflösungsmöglichkeiten:

1. Man bindet die allzu offensichtliche Erkenntnis von Zwecken (oder bescheidener: die menschliche Sehnsucht nach Sinn) an den Bereich der klassischen Orientierungssysteme (also an die Religion) oder man trägt sie unmittelbar in den Bereich der Verfügungssysteme (also in die Naturwissenschaft) hinein und schafft – gegen den Szientismus – ein wissenschaftliches Orientierungssystem. Das machte diese Naturwissenschaft dann zwar – nicht nur Kanitscheider zufolge – „unmodern“, aber man spielte damit in der gleichen Liga. Dies ist der methodische Ansatz des Intelligent Design.

Oder man meint: Wenn es schon keine Zwecke in der Natur gibt, könnte immer noch die Natur selbst (als solche) einen Zweck haben. Tatsächlich lässt die Nichtbeschreibungsmöglichkeit von Zwecken innerhalb der Wissenschaft Raum für den Glauben an einen Zwecksetzer, der eben gerade nicht Akteur innerhalb der kausal-mechanistischen Naturerklärung ist, sondern Garant eines final-eschatologischen Weltverständnisses. Dies ist der methodische Ansatz der theistischen Evolution.

Beide Ansätze sind teleologisch, d.h. es geht um den Nachweis von Zweckbezügen zwischen Offenbarung und Wirklichkeit. Der Unterschied ist folgender: Einmal setzt Gott die Zwecke in der Welt (kausal-mechanistisch), einmal für die Welt (final-eschatologisch). Beides soll Gottes Existenz beweisen. Die Frage ist nur, welcher Gott jeweils bewiesen wird.

2. Die Verlagerung des Zwecksetzers in die Welt kann nicht überzeugen, weil sich in dieser nur mechanistische, auf keinen Zweck gerichtete Zusammenhänge entdecken lassen, die zeigen, dass es in der Natur gerade keine rational feststellbaren entwerfenden und planenden Kräfte gibt. Das bedeutet freilich nicht, dass es keine Schöpfung und keinen Schöpfer geben kann. Die Erkenntnis der modernen Naturwissenschaft, dass unsere Welt strikt nach mechanischen Prinzipien organisiert ist, sagt nichts über den Ursprung dieser Prinzipien aus. Wenn Gott der Zwecksetzer ist, wird Gott selbst zum naturwissenschaftlichen Erklärungstatbestand degradiert. Dieser Versuch, dem religiösen Geheimnis durch Aporien die Spitze zu nehmen, führt so – bei aller Faszination – nicht erst im Erfolgsfalle dazu, Gott in die Natur zu übernehmen und damit verschwinden zu lassen.

Bereits im physikotheologischen Ansatz ist diese Übernahme gedanklich vollzogen, denn in der Natur soll Gott erkannt werden. Wenn das Eingreifen Gottes in den Weltlauf mit naturwissenschaftlicher Methode nachgewiesen werden soll, dann verbirgt sich dahinter ein unberechtigter theologischer Reduktionismus. Die vermeintliche Sicherheit und Exaktheit der eindimensionalen Perspektive auf Gott als weltimmanenten Zwecksetzer steht die Vielfalt an Gotteserfahrungen in der Geschichte diametral entgegen, in der Gott als der transzendente „Ganz andere“ (Otto) dem gläubigen Menschen stets ungefähre Gottheit bleiben muss, die sich auch in ihrer Offenbarung – zum Beispiel ihrer Schöpfung – nie ganz enthüllt. Der persönliche Gott, von dem der gläubige Mensch existenziell zehrt, darf nicht zum rein akzidentiellen Gott anthropomorphisiert werden. Genau dies geschieht mit der Denkfigur des Designers, die aus innerweltlichen Schaffensvollzügen entnommen ist, wie die Uhrmacher-Analogie zeigt. Unter dem Versuch, das akzidentielle So-Sein Gottes zu klären, leidet die Vorstellung von Gott als substantiellem Sein, der sich dem Seienden deutlich, aber doch geheimnisvoll zuspricht.

3. Anders verhält es sich mit dem transzendenten Gott, der für die Welt einen letzten Zweck setzt, der uns als Sinnerfahrung aufleuchtet. Für den Glauben an diesen Gott ist unwichtig, ob es in der Natur selbst erkennbare Zwecke gibt, wenn doch deutlich erkennbar ist, dass die Welt als solche einem Ziel zustrebt. Dass diese Teleologie des Weltlaufs eine Erkenntnis des Glaubens und nicht der Wissenschaft ist, kann nach dem bisher Gesagten kaum überraschen, denn es ist ja die Religion, die sich um das Verstehen des Ganzen kümmert, während die Wissenschaft das Besondere zu erklären sucht – frei von der Annahme, es gäbe „globale Intentionen“ (Kanitscheider) – und zwar unentschieden frei, leidenschaftslos frei.

Man kann mit Martin Rhonheimer in der zweckfreien, geistlosen Natur gerade die Voraussetzung für einen teleologischen Gottesbeweis sehen, der sich nämlich aus dem offenkundigen Widerspruch von ateleologischer Naturmechanik und der unabweisbaren Empfindung von Zweck, Ziel und Sinn speist, die jeder Mensch im Verhältnis zur Welt entwickelt. Erst daraus ergibt sich ja überhaupt die Frage nach einem teleologischen Prinzip außerhalb der Natur, das als Schöpfung bezeichnet wird. Rhonheimer meint: Wenn „naturgesetzliche Ordnung, Schönheit und Zweckmäßigkeit ein evidentes Faktum sind“, sich die Natur, der wir diese Fakten entnehmen, jedoch in einem Entwicklungsprozess gebildet hat, in dem „keine zielgerichtet-gestaltenden und planerischen Naturkräfte am Werk waren“, dann brauche es eben eine Kraft außerhalb der Natur, die jene Harmonie innerhalb der Natur garantiert. Diese Kraft ist der christliche Gott.

Um ein Bild von Spaemann aufzugreifen: Ein noch so chaotischer Film ohne jeden Sinn (sicherlich fallen Ihnen einige Titel ein) widerlegt nicht die Existenz des Projektors, der diesen Film erst ermöglicht und zwar, damit man ihn sich anschauen kann. Fraglich ist dann (und ab hier hinkt der Vergleich), warum ein solcher Projektor sich nicht schlicht weigert, einen solchen Streifen auszustrahlen. Dahinter steht die Theodizeefrage, die hier bereits an anderer Stelle behandelt wurde.

V.

Gott – einen solchen Garanten außerhalb der Natur, außerhalb unserer Welt zu vermuten, ist eine metaphysische Spekulation, die ihre letzte Gewissheit stets und ausschließlich im Glauben findet. Ein naturwissenschaftlicher Erklärungsansatz, der darüber hinauszugehen versucht, ist nicht erst aus wissenschaftstheoretischen, sondern schon aus logischen Überlegungen nicht akzeptabel: Alle mechanischen Prinzipien werden in Naturgesetzen beschrieben, auf deren Geltung die Naturwissenschaft bei der Theoriebildung, d. h. bei der Formulierung von naturwissenschaftlichen Erklärungen, angewiesen ist. Im Ursprung sind die Prinzipien als explicanda noch nicht entstanden, es kann also auch keine sie beschreibenden Gesetze und keine darauf verwiesenen erklärenden Theorien als explanans geben. Naturwissenschaftliche Aussagen über die Entstehung der mechanischen Prinzipien der Welt lassen sich also aufgrund der inneren Struktur der Naturwissenschaft nicht machen. Wer etwas über den Ursprung sagt, betreibt immer Metaphysik. Ebenso, wer Aussagen über Zweck, Ziel und Sinn der Welt macht.

Die Frage, ob die Welt einen Zweck hat, wird am besten in einem religiösen Glauben beantwortet, der von einer metaphysischen Vernunft begleitet wird, die sich von der Geschichte theologischer und philosophischer Ideen beraten lässt. Ein ahistorischer Wissenschaftsaberglaube, der alles Sein im sinnlich erfahrbaren Seienden sucht und jede andere Erfahrung voreilig abwertet, ist hingegen keine gute Basis.

(Josef Bordat)

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