Ein abschließendes Wort

4. November 2011


Das Echo auf die Beschwerde an Facebook ist beachtlich, viel beachtlicher, als ich dachte. Neben zahlreichen affirmativen Kommentaren von geschätzten Kolleginnen und Kollegen in Blogs der Blogozese und in sozialen Kommunitäten bekam ich einige nette Mails und Nachrichten, für die ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanke. Ich habe aber auch vereinzelt kritische Stimmen vernommen. Mit diesen möchte ich mich nicht im Einzelnen auseinandersetzen, sondern in gebündelter Form. Das hat im Wesentlichen Zeitgründe.

I.

Der Tenor dieser Stimmen lautet: „Regen Sie sich doch bitte nicht so auf!“ Manchmal folgt dann auch eine Begründung, warum ich mich nicht so aufregen sollte, die oft sehr verlockend klingt: 1. damit sorge man nur für Aufmerksamkeit für eine schlechte Sache, 2. im Falle einer Sperrung der Seite verlöre das Netz eine Fundgrube der Selbstentlarvung anti-theistischer Fanatiker, die als abschreckendes Beispiel nützlich sei, 3. unser christlicher Glaube gebiete das demütige Erdulden von Verfolgung und der Christ praktiziere die Liebe, auch dem Verfolger gegenüber.

Zu Punkt 3: Da ist sicher was dran. Ich habe darüber die letzte Nacht gebrütet, was bedeutet, dass ich jetzt etwas müde bin. Eine Abhandlung zum Wesen des Martyriums und der Differenz von „anstreben“ und „annehmen“ kann ich damit nicht leisten. Fragt sich, ob ich das überhaupt leisten kann. Ich würde das gerne von einem Theologen abgehandelt wissen, weil es einem ja doch manchmal begegnet: „Seid doch froh, wenn man Euch verfolgt! Ihr wollt das doch nicht anders!“ Wenn man die Häme mal abzieht: Was genau stimmt daran nicht? Dazu wären klärende Worte (oder ein Verweis darauf) auch für mich persönlich von großem Interesse.

Ich gebe auch gerne zu, dass mir die gebotene Feindesliebe momentan in vorliegenden Fällen sehr schwer fällt, möchte aber betonen, dass sich meine Beschwerde gegen Inhalte richtet, nicht gegen Menschen. Die Betreiber der problematischen Seiten sollen selbstverständlich im Facebook bleiben dürfen, sie sollten nur ihr Tun einstellen, soweit dieses die Würde und Rechte von Menschen verletzt.

Ob Punkt 2 (Abschreckung) so funktioniert wie angedacht, ist eine Frage der Informationslage beim Rezipienten und auch eine Frage der Deutungshoheit in der Gesellschaft. Punkt 1 (Aufmerksamkeit) ist immer ein Problem im Umgang mit extremistischen und abstoßenden Inhalten; ich habe als Kompromiss – wie viele Kolleginnen und Kollegen auch – auf eine Verlinkung verzichtet, um die Aufmerksamkeit so gering wie irgend möglich zu halten. Das dazu.

II.

Ein weiterer Nach(t)gedanke richtete sich auf die Frage nach der Abgrenzung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht in der Satire. Darüber gibt es IKEA-Regale an Literatur – ohne verbindliche Lösung des Problems. Was als Witz hingenommen werden muss und was als Beleidigung zu gelten hat und also auch von Rechtswegen so empfunden werden darf, ist zeit- und raumindiziert, das bedeutet: es ändert sich. Vier Argumentationslinien scheinen mir aber grundsätzlich ungeeignet zu sein, dem Problem wirkungsvoll entgegenzutreten.

1. Das Argument des Nichtwissens

„Woher“, so wird oft von Atheisten gefragt, „sollen wir denn wissen, was religiösen Mensch weh tut, wir sind ja selbst gerade nicht religiös?“ Demnach geschehen Grenzüberschreitung in Unkenntnis der Grenze. Klar: Wer keine religiösen Gefühle hat, kann auch keine verletzten religiösen Gefühle haben und nicht wissen, wie das ist, wie sich das anfühlt. Doch ganz abgesehen davon, dass einige der „Witze“ (z.B. auf den fraglichen Seiten) sehr treffsicher sind und erkennen lassen, dass hier die Übergriffe sehr wohl in vollem Bewusstsein der Wirkung von Wort und Bild geschehen (warum sollen Christen ausgerechnet „Löwen“ zum Fraß gegeben werden und nicht etwa „Tigern“ oder „Hyänen“?) und ganz abgesehen davon, dass man nach einer unbewussten Grenzüberschreitung immer noch um Entschuldigung bitten kann, sollte es stets möglich sein, das Schlimmste zu verhindert, indem man etwa die Goldene Regel anwendet und sich fragt: „Wie ginge es mir an ihrer oder seiner Stelle mit diesem oder jenem Witz?“ Mit einem Minimum an Empathie und gutem Willen sollte ein Perspektivenwechsel zu schaffen sein: „Wie ginge es mir als Angehöriger einer Gruppe, die 100.000 Todesopfer jährlich zu beklagen hat, Menschen, die allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit sterben müssen, würde man mich unter diesen Umständen als „Müll“ betrachten, der – endlich! – entsorgt werden kann?“

Außerdem geht es in vielen Fällen gar nicht um religiöse Gefühle von Menschen, sondern schlicht um menschliche Gefühle Religiöser.

Also: Wo liegt die Grenze? Wir können es in Erfahrung bringen. Dafür sind wir als Menschen mit Vernunft und Gewissen begabt. Und: Gerade dort, wo man keine Kenntnis hat, sollte man als Satiriker (oder einfach als „Witzbold“) vorsichtig sein. Wenn man Niemanden verletzen will.

2. Das Argument mangelnder Seriosität des Witzes

Das, was dort geschieht, sind lediglich schlechte Witze. Ja, richtig. Ganz schlechte sogar. „Dann brauchen wir die Sache auch nicht ernst zu nehmen.“

Die Tatsache, dass etwas als Witz formuliert wird, entbindet nicht a priori von der Prüfbarkeit des Inhalts bzw. macht eine Prüfung nicht gleich sinnlos. Im Gegenteil: Gerade in Witzen entladen sich Spannungen und offenbaren sich verborgene Haltungen. Zwar ist das Spiel mit Tabus in Witzen ein Stilmittel, ohne das viele Witze nicht funktionierten. Die Witz-Sprache (wie auch die Werbe-Sprache) zeigt in ihrer appellativen Ambitioniertheit immer die Spitze des Eisbergs unseres Ausdrucksvermögens.

Hier kommt es aber darauf an – und das verweist zurück auf das erste Argument –, dass der Träger der verspotteten Eigenschaft nicht als Person, sondern nur hinsichtlich dieser bestimmten Eigenschaft aufs Korn genommen wird, die er selbst als „spottwürdig“ ansieht. Dazu muss der Verspottete (nicht der Spötter!) seine Einschätzung darlegen und seine Zustimmung geben. Sie oder er muss mitlachen können. Das ist das entscheidende Kriterium. Ist das nicht erfüllt, fällt der Witz zurück ins Ernste und muss insoweit auch ernsthaft kritisiert werden.

Witze – auch bösartige, die für sich genommen schon eine Art symbolischer Gewalt darstellen – sind nicht unbedingt geeignet, unmittelbar Gewalt hervorzurufen. Das ist klar. Die kausale Verknüpfung ist nicht so einfach. Doch es geht darum, dass ein Klima entsteht, in dem Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe gar nicht mehr als solche – also ernst – genommen wird. Das ist das Problem.

3. Das Argument der Vergleichsgruppe

„Witze über Christen sind auch nicht viel schlechter als Witze über Ostfriesen! Wer diese toleriert, muss auch jene tolerieren!“

Nein, muss er nicht, denn der Vergleich hinkt gewaltig! Gruppe ist nicht gleich Gruppe, Minderheit nicht gleich Minderheit und damit Witz auch nicht gleich Witz. Wer Witz über Juden, Christen und Homosexuelle auf eine Stufe stellt mit Witzen über Rechtsanwälte, Mantafahrer oder Blondinen, übersieht die Tatsache, dass Juden, Christen und Homosexuellen systematisch Gewalt angetan wurde und wird, bloß aufgrund der Tatsache, dass sie Juden oder Christen oder homosexuell sind.

Homosexuelle werden tatsächlich Opfer von Diskriminierung, Blondinen und Mantafahrer aber nicht. Juden waren und Christen sind tatsächlich Opfer von genozidaler Gewalt, Ostfriesen nicht. Die tatsächliche Situation der Verfolgung sorgt von vorne herein für eine ganz andere Kontextualisierung des Witzes über Christen, im Vergleich zum Witz über Ostfriesen.

4. Das Argument der bilateralen Gleichstellung („Revancheargument“)

„Gleichheit für alle Beteiligten: Wieso beleidigt ihr uns nicht einfach zurück!“

„Gleichheit“ kann es nur im Recht, aber nicht im Unrecht geben. Es gilt: „Gleiches Recht für alle.“, aber eben nicht: „Gleiches Unrecht für alle.“

Zumal: Nun, ich für meinen Teil will gar nicht verletzen. Ich brauche den Anderen nicht verletzt oder zerstört, um glücklich zu werden. Ich kritisiere Missstände und Eigentümlichkeiten, auch satirisch, aber ich versuche, dabei auf Inhalte abzuheben, nicht auf Menschen einzuschlagen. „Dein Pech!“ – Kann sein.

III.

Freilich stellte ich mir – der Morgen graute bereits – auch folgende Frage: „Warum dieser Hass? Warum gerade Christen? Warum diese Lust am Verletzen und Verfolgen?“ Das zu fragen, scheint nicht abwegig, schließlich stellt auch Jesus Christus dem Christenverfolger Saulus die Warum-Frage: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (Apg. 9, 4) Der Herr erhält darauf keine Antwort, sondern der Angesprochene stellt eine Rückfrage: „Wer bist du, Herr?“ (Apg. 9, 5)

Wie soll ich die verstehen? Ehrliches Interesse? Die Absicht den Verfolgten kennenzulernen und den Hass zu überwinden? Oder eher: „Wer bist du schon, Herr? Was mischt du dich ein? Was geht es dich an? Und überhaupt: Darf ich denn nicht grundlos hassen?“ Ich weiß es nicht.

Damit möchte ich das Thema vorerst abschließen.

(Josef Bordat)

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