Helmut Schmidt. Nicht schuldig!

27. April 2013


Helmut Schmidt bekennt sich „mitschuldig“ am Tode des Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, der von RAF-Terroristen entführt und ermordet wurde. Das Bekenntnis ist edel, aber nicht nötig. Denn Schuld trägt nicht der, der aus einer vertrackten Situation keinen Ausweg ohne Schaden findet, sondern der, der die vertrackte Situation herbeiführt. Schuld trifft die Erpresser, nicht die, die der Erpressung nicht nachgeben. Und der Rechtsstaat darf sich nicht dem Unrecht beugen.

Helmut Schmidts Verantwortung als Bundeskanzler bestand damals darin, Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden. Dieser Verantwortung wurde er gerecht, indem er sich nicht auf die Forderungen der Terroristen einließ, sie nicht zu Verhandlungspartnern des noch recht jungen demokratischen Gemeinwesens aufwertete. Schmidts Verantwortung bestand nicht darin, das Leben jedes einzelnen Bürgers vor jedem erdenklichen Übel zu schützen, also auch vor Menschen, die zu allem bereit waren, um ihre Ziele zu erreichen.

Das klingt hart und ist auch nach Jahrzehnten nicht unumstritten. Was ist mit der Würde Schleyers, die zu achten und zu schützen Aufgabe des Staates ist? Darf der Staat einen Menschen opfern, um das System zu retten? Es ist tragisch, doch unvermeidbar, dass es in Zeiten des Terrorismus Opfer gibt. Entweder sind es Einzelne oder das System, das dem Terror zum Opfer fällt. Wohlgemerkt: dem Terror, nicht denen, die damit von Amts wegen zu tun bekommen. Schuld am Terror haben die Terroristen. Sie tragen zunächst und vor allem die Verantwortung für die Opfer.

Die „nachrangige“ Verantwortung dessen, der mit einer Situation konfrontiert wird, aus der es nur amoralische Auswege gibt, ist prinzipiell auf das begrenzt, was man dem Einzelnen zumuten kann – qua seiner Person und – im Falle Helmut Schmidts – auch qua seines Amtes. Robert Spaemann zeigt die Grenze der Verantwortungsübernahme des Einzelnen an einem besonders drastischen Fall. Er erzählt von einem Polizisten in Nazi-Deutschland, dem man sagte, er solle ein 12jähriges Judenmädchen erschießen; falls er sich weigern sollte, werde man 12 andere Unschuldige töten. „Jener Polizist, dem befohlen wurde, ein 12jähriges Judenmädchen zu erschießen, das ihn um sein Leben anflehte, hat wirklich geschossen. Sein sadistischer Vorgesetzter hatte ihm eine Alternative vor Augen gestellt: die Erschießung von 12 anderen unschuldigen und wehrlosen Personen. Der Polizist schoß und wurde wahnsinnig. Er tat, was er nicht mußte, weil er es nicht hätte können müssen. Jeder Mensch muß einmal sterben. Den Tod jener 12 Menschen hätte der Polizist sowenig zu verantworten gehabt, als wenn er keine Hände gehabt hätte. Hätte er nicht auch im Besitz von Händen sagen können: ,Ich kann nicht’?“ Im Hintergrund steht hier auch das als absolut verstandene Tötungsverbot. Spaemann: „Wer daran festhält, daß es Dinge gibt, die man nicht tun darf, der muß natürlich zugestehen, daß niemand für die Folgen der Unterlassung solcher Dinge die Verantwortung zu tragen hat.“

Doch es bleibt auch bei dieser „sauberen“ Lösung ein bitterer Beigeschmack. „Hätte ich nicht doch schießen sollen? So habe ich zwar nicht getötet, doch 12 Unschuldige sterben lassen, obwohl ich es hätte verhindern können!“ Auch an solchen Überlegungen kann man wahnsinnig werden. Dass Helmut Schmidt sich „mitschuldig“ bekennt, ist vielleicht in diesem Sinne vor allem an ihn selbst gerichtet, ein Akt der Bewältigung eines Gefühls, das sich auch durch rationale Gedanken nicht ganz verdrängen lässt. Umso wichtiger ist, dass nun Versöhnung und Vergebung möglich wird und die seelischen Wunden heilen. Schmidts Bekenntnis ist dafür ein wichtiger Baustein. Als Unbeteiligter, der sich eine nüchterne Analyse der damaligen Situation leistet, kann ich dazu nur sagen: „Helmut Schmidt, Sie sind nicht schuldig!“

(Josef Bordat)

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