Evening Briefing

15. August 2013


In einem so genannten „Morning Briefing“ (Bescheidgeben am Morgen) äußert sich Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatt, u. a. wie folgt: „Nach harten Strafen gegen Milchpulverimporteure und Ermittlungen gegen die Pharmaindustrie knöpft sich Chinas Kartellaufsicht jetzt die Autobranche vor. China rächt sich so für die Einfuhrbeschränkungen der EU bei Solaranlagen. Kommunisten und Katholiken teilen offenbar eine Schwäche für das Alttestamentarische: Wie du mir, so ich dir.“

Die Sache mit China lass ich jetzt mal. Mir geht es um die Katholiken mit der angeblichen „Schwäche für das Alttestamentarische“, die in dem ethischen Grundsatz gipfele: „Wie du mir, so ich dir.“

Also. Dazu ein kurzes „Evening Briefing“:

Grundlagen

1. Katholiken sind Christen.
2. Christen folgen der christlichen Ethik.
3. Die christliche Ethik folgt dem Ethos Jesu. Katholiken orientieren sich also am Ethos Jesu, nicht an der Ethik des Alten Testaments.

Erläuterungen

A. Jesus überwindet in Seinem Ethos das Wie du mir, so ich dir! (Altes Testament) in der Liebe (eine, nein: die christliche Tugend). In der Bergpredigt (Neues Testament) stellt er dem Vergeltungsprinzip des Wie du mir, so ich dir! Sein eigenes, neues Prinzip der Liebe entgegen: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.“ (Mt 5, 38-42, Hervorhebung J. B.).

B. Auch die bereits zur Zeit des Alten Testaments bekannte Goldene Regel, die im Ethos Jesu eine große Rolle spielt („Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“, Mt 7, 12) geht über das Vergeltungsprinzip hinaus, indem sie das Wünschenswerte („erwartet“) zur Grundlage macht, nicht das Geschehene („Wie du mir [getan hast], so [tue] ich dir!“). Nicht mehr Gleiches mit Gleichem zu beantworten, sondern zu erkennen, dass die Fortschreibung von moralisch falschem Verhalten nur in der empathischen Haltung dem anderen gegenüber durchbrochen und nur in der Bezugnahme auf das Erwünschte überwunden werden kann, stellt eine neue Form des Umgangs miteinander dar, die alle Möglichkeiten friedlich-kooperativen Zusammenlebens eröffnet.

Das sollte man bedenken, bevor man das nächste mal Kommunisten und Katholiken gleichsetzt und letztere ethisch mit dem Alten Testament in Verbindung bringt.

(Josef Bordat)

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