Ein Drache namens Klaus

4. September 2014


In Berlin kann man sie an den Ein- und Ausgängen von U- und S-Bahnhöfen, an Ampeln und Straßenlaternen, in Cafés und an Imbissbuden lesen: Vermisstenanzeigen. Meist geht es um Schlüssel, manchmal auch um Brieftaschen und Mobiltelefone, seltener um Rucksäcke, kleinere Koffer, Fahrräder, Fahrradzubehör, Segelboote oder Gasetagenheizungen.

Am S-Bahnhof Feuerbachstraße hängt derzeit die Vermisstenanzeige für ein Stofftier. Genauer: Für einen kleinen grünen Drachen, der auf den Namen „Klaus“ hört und offenbar „entlaufen“ ist. Sein „Herrchen“, der vierjährige Leo, ist ganz traurig und vermisst seinen Drachen Klaus sehr. Wer ihm begegne, möge sich doch bitte melden. Unterschrift: Leo.

Allein der Text ist schon so anrührend, dass man geneigt ist, Zahnarzttermine und Vorstellungsgespräche abzusagen und stattdessen nach Klaus zu suchen. Doch dann ist die Anzeige noch mit drei farbigen Bildern gespickt, die den kleinen grünen Drachen zeigen, mit seinen gelben, ja, wie sagt man bei Drachen – „Pfoten“? Sie zeigen ihn mit Leo, in drei Phasen seines noch jungen Lebens.

Ein Bild ist wohl aus diesem Sommer: der Vierjährige auf einer Bank, Klaus auf seinem Schoß. Das Bild daneben zeigt Leo als Säugling, augenscheinlich kurz nach der Geburt. Der ähnlich große Klaus liegt halb auf, halb neben ihm. Und das Bild ganz oben zeigt Klaus vor dem Bauch der Mama. Leo ist nicht zu sehen. Und doch ist er da. Es ist dies der Beginn der Freundschaft zwischen Leo und Klaus, der auf Leo zu warten scheint, mit ausgestreckten Armen.

Vor der Geburt, kurz nach der Geburt, heute. Leos Lebensphasen gehören zusammen. Umklammert werden sie von Klaus, dem Drachen.

Jetzt vermisse ich ihn auch.

(Josef Bordat)

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