Caritas-Legende?

11. August 2014


Peter Winnemöller spricht anlässlich der „Schützen-Affäre“ über die Trennung von Staat und Kirche, in der es auch um die Frage ihrer fiskalischen Folgen geht. Rasch ist im Kommentarbereich von der „Caritas-Legende“ die Rede.

Schauen wir kurz mal etwas genauer auf den Fall Caritas. Die Caritas finanziert sich aus öffentlichen Geldern (Kirchensteuer und andere Steuermittel), aus Spenden, aus Kollekten, aus Gewinnen der Vermögensverwaltung und aus Mitgliederbeiträgen. Mit rund 560.000 Mitarbeitern und etwa ebenso vielen ehrenamtlichen bzw. freiwilligen Helfern ist die Caritas der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Fraglich ist, wie die Ressourcen, die das ehrenamtliche Engagement, das zumeist aus der Verbundenheit der Caritas mit der katholischen Kirche und ihren Werten resultiert, kompensiert werden soll, wäre nicht die Kirche, sondern der Staat in der Trägerschaft. Wenn nur die Hälfte der freiwillig geleisteten Arbeitsstunden wegfiele und somit finanziert werden müsste, wären dies (bei nur zwei Stunden Engagement in der Woche und etwa 600.000 Helferinnen und Helfern sowie einem Lohnkostensatz von 30 Euro pro geleisteter Stunde) Mehrkosten in Höhe von 936 Millionen Euro pro Jahr. Die müsste der Steuerzahler aufbringen, ebenso wie den jährlichen Kirchensteueranteil in Höhe von rund 320 Millionen Euro, der ersatzlos wegfiele, sowie die dann nicht mehr zu erwartenden Erlöse aus Spenden, Kollekten und Mitgliederbeiträgen in Höhe von insgesamt rund 60 Millionen Euro. Insgesamt wären dies Mehrkosten von über 1,3 Milliarden Euro pro Jahr, die der Staat bei Übernahme der Caritas zusätzlich aufbringen müsste. Ähnliches gilt für die Diakonie.

Die Forderung nach staatlicher Übernahme der kirchlichen Sozialeinrichtung entpuppt sich mithin als kurzsichtig. Noch kurzsichtiger ist der Einwand, die Kirchensteuer mindere die Steuereinnahmen, weil die gezahlte Kirchensteuer als Sonderausgabe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehbar ist und damit das zu versteuernde Einkommen reduziert. Das stimmt zwar, nur wäre ja auch die Alternative – eine direkte Spende an die Kirchengemeinde – abzugsfähig, mit gleicher Wirkung für die Steuerlast. Bereits jetzt zahlen in Berlin viele Gläubige ein so genanntes „Kirchgeld“, eine Dauerspende, die die Finanzierungslücke, die es in vielen Pfarreien gibt, schließen soll – und setzen dieses „Kirchgeld“ als Spende von der Steuer ab. Der Einwand wäre nur dann sinnvoll, wenn man den Kirchen zugleich die Gemeinnützigkeit entzöge, um Zuwendungen an Gemeinden steuerlich zu neutralisieren. Alles andere ergibt keinen Sinn. Der Effekt der tatsächlichen Vereinnahmung kalkulatorischer Zusatzerträge dürfte also weitgehend ausbleiben, wenn Spenden an die Kirche abzugsfähig bleiben. Er träte nur ein, wenn auch die Abzugsfähigkeit von Spenden an die Kirche wegfällt. Hinter einer solchen Kalkulation steht also nichts weiter als der Wille, die Katholische Kirche insgesamt nicht mehr als gemeinnützig und damit förderungswürdig zu behandeln. Das ist wohl die wahre Intention: die Kirche soll schlechter gestellt werden als ein Sportverein oder eine Theatergruppe, die Kirche soll weiter marginalisiert werden.

Auch würden die 30 Prozent der Deutschen, die immer noch und trotz allem katholisch sind, ihr traditionell sehr hohes Spendenengagement neu ausrichten (müssen), wenn sie ihre Kirche durch direkte Zuwendungen finanzieren müssten, unter der Voraussetzung, dass ein Euro immer nur einmal ausgegeben werden kann. Dadurch würde anderen staatlichen wie privaten sozial-karitativen Einrichtungen Geld entzogen, Institutionen, die heute von einem „Gießkannenprinzip“ profitieren (Motto: Zu Weihnachten bekommen alle seriösen Hilfseinrichtungen – kirchlich oder nicht – ihre zehn bis 20 Euro). Diese neuen Lücken hätte der Staat durch Erhöhung des öffentlichen Anteils zu schließen – oder aber soziale Dienste fielen weg. Das ist ein Effekt, der in seiner Höhe kaum einzuschätzen ist und deshalb oft unterschlagen wird.

Ähnliches – bis hin zu den Zahlen – ließe sich zur Evangelischen Kirche und ihrer Diakonie sagen. In Berlin arbeiten die kirchlichen Sozialdienste ohnehin eng zusammen. Der ökumenische Beitrag zu einer lebenswerten Gesellschaft würde sich bei Abschaffung der Kirchensteuer stärker nach innen richten (müssen). Das genau scheint das Ziel der Verfechter einer „unabhängigen“, dann aber auch „unverbundenen“ Kirche zu sein: die Kirche aus der Gesellschaft herauszuhalten („Trennung von Kirche und Staat“) – oder die Gesellschaft aus der Kirche („Entweltlichung“). Beide Sichtweisen – die laizistische und die ekklesiozentrische – halte ich für fragwürdig mit Blick auf den göttlichen Auftrag der Kirche, ihren Wesensvollzug in der Liebe und dem Dienst am Nächsten. Gleichwohl braucht die Kirche neben der Caritas (mit großen „C“) mehr caritas (mit kleinem „c“), mehr direkte sozial-karitative Hilfe von Gemeindemitglied zu Gemeindemitglied, von Pfarrei zur Nachbarschaft, von der Ministrantengruppe zur Migrantenfamilie, ohne den kirchenbehördlichen Weg eines offiziellen Projekts mit Kostenstelle und Budgetplan.

(Josef Bordat)

Kommentare sind geschlossen.