Beten hilft. Oder: Alltag im Internet

14. Januar 2015


Vielleicht kennen Sie das, vielleicht auch nicht. Irgendjemand schreibt einen Artikel über ein Pfarrfest, das beliebte Torwandschießen zugunsten des gemeindeeigenen Obdachlosencafés und den leicht angebrannten Pflaumenkuchen. Irgendjemand kommentiert: „Die Kirche ist eine Verbrecherorganisation (Kreuzüge, Hexen, Missbrauch etc.)!“. Schön. Weiter. Irgendjemand schreibt einen Essay über islamistischen Terror. Irgendjemand kommentiert: „Religion (alle!!!) ist die Ursache allen(!!!!!!!) Übels!“ Klar. Dann gäb’s auch keine angebrannten Pflaumenkuchen mehr. Weiter. Irgendjemand schreibt einen Bericht über eine Gebetsinitiative. Irgendjemand kommentiert: „Dass Beten nicht wirklich hilft, ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache!“ Und dann, ja, dann reicht es einem, in seiner Eigenschaft als erwiesenem Wissenschaftler (Tatsache!), der ab und zu betet und dabei den Eindruck hat: Es hilft. Wirklich. – Es wird zurückkommentiert, in der Hoffnung, den Kommentator zum Nachdenken anzuregen. Oder gar zum Beten.

Also.

1. „Wissenschaft“ und „Tatsache“ schließen sich methodologisch aus. Wissenschaft liefert Theorien, keine Tatsachen. Dazu „erweist“ sie die Bestätigung und Bewährung von Behauptungen (Thesen). Auch die wissenschaftliche Annahme, dass sich die Erde um die Sonne dreht, ist (streng genommen) keine Tatsache, sondern eine (vielfach bestätigte und im Alltag bewährte) These im Rahmen einer kosmologischen Theorie, mit der wir – insoweit, als sie verhältnismäßig sicher ist – rechnen und ruhig leben können. Das meiste, was sonst wissenschaftlich erforscht wird, ist jedoch weit weniger unumstritten. Wenn wir etwas wissen, dann doch das: „Wissenschaftlich erwiesen“ war schon eine ganze Menge, wahr hingegen ist immer nur ein kleiner Teil des „Erwiesenen“.

Insofern interessiert mich die Studie, auf die Sie sich beziehen. Ich bin kein Experte und kenne bislang nur Studien, die eher das Gegenteil behaupten: Beten hilft. Zunächst dem, der betet. Dessen Lebenserwartung steigt nämlich (Quelle: Studie der Medizinischen Universität New York). In der Stadt San Francisco gab es wohl mal ein Meditationsexperiment, wonach die Kriminalitätrate gesunken sein soll, nachdem dort Menschen eine Zeit lang intensiv meditiert haben (Quelle: mündliche Mitteilung). Ich bin da eher skeptisch, ob das methodisch sauber war und bezweifle die Wiederholbarkeit des Experiments. Ich kann mir aber vorstellen, dass es durch Meditation und Gebet „positive Schwingungen“ gibt, eine „gute Atmosphäre“, die individuell, aber auch kollektiv beruhigend, stabilisierend und solidarisierend wirkt.

Ich möchte insgesamt die Frage aufwerfen, ob die (Natur-)Wissenschaft den passenden methodischen Rahmen bietet, um Fragen des Glaubens zu klären, um in Bezug auf Religion und religiöse Praxis etwas zu „erweisen“. Ich weiß, dass das momentan „in“ ist in den Neurowissenschaften, denke aber, dass man die Resultate (egal wie diese aussehen) erstmal mit einer gewissen Vorsicht genießen sollte. Dazu raten seriöse Forscher auch schon selbst.

2. Der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer hat mal – wie ich finde – etwas sehr Schönes über das Beten gesagt: „Gebet als geschöpflicher Grundakt kann vom Zwang und Krampf der Selbstbehauptung loslassen und von Gott den Grund der eigenen Rechtfertigung, Freiheit und Identität empfangen. Gerade in der Danksagung und in der Anbetung realisiert sich gelebte Erlösung. Im Gebet vollzieht sich zunächst die Aussöhnung des Menschen mit den Trümmern seiner eigenen Vergangenheit, mit begangenen Fehlern und Schuld. Es befreit vom selbstverliebten Kreisen um das eigene Ich.“

Erlösung, Aussöhnung, Befreiung. Meine (ganz unwissenschaftliche) These lautet daher: Beten hilft, beten lohnt sich! Natürlich nicht in der Form, dass Gott ein Wunschautomat wäre, der das Gebetsanliegen binnen 24 Stunden bearbeitet, und wenn nicht, dann gibt’s die Kirchensteuer zurück. Man sollte schon richtig beten, in der richtigen Haltung. Dann kann das Gebet verändern – nicht zuletzt den Beter selbst, aber auch seine Umgebung. Diese Veränderung geschieht langsam. Das können dann durchaus auch politische Veränderungen sein.

In dem Zusammenhang erinnere ich mich an die jüngste deutsche Vergangenheit: Die Leipziger Friedensgebete im Sommer und Herbst 1989 hatten eine besondere Kraft und konnten in den Menschen einen Mut wecken, der zuvor von Angst überlagert war. Die friedliche Energie des Gebets drang auf die Straße und die mächtige Stasi wurde machtlos. Ohnmacht angesichts von Kerzen. Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, hätte man in Oppositionskreisen, die ganz wesentlich Kirchenkreise waren, allein politische Reden gehalten. Hätte das die gleiche Wirkung gehabt?

Ich hoffe, ich konnte die betreffende Person animieren, die eigene – mit der besonderen Dignität des modernen Gütesiegels („wissenschaftlich erwiesen“) garnierte – Haltung dem Gebet gegenüber zu hinterfragen. Und für den Rest des Tages – so viel Langeweile muss sein – recherchiere ich in Cristiano Ronaldo-Fanforen und schreibe unter jeden Heiratsantrag, den ich finden kann: „Schweini ist viel schöner!“ Wissenschaftlich erwiesen.

(Josef Bordat)

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