Gottvertrauen und Schwarmmoral

20. Januar 2015


Gottvertrauen hemmt nicht die Übernahme von Verantwortung, sondern befähigt dazu. Erst dann, wenn ich mich nicht letztverantwortlich für alle Konsequenzen meines Tuns fühle (und ohne Gottvertrauen müsste ich dies notwendigerweise, denn wer – außer Gott – sollte meiner Verantwortung Grenzen setzen und aus welchen Gründe nun gerade dort und nicht schon zuvor oder erst später?), kann ich hier und jetzt im Blick auf die Situation moralisch handeln.

Das größte Problem einer Ethik ohne Gottvertrauen ist die Aufhebung der Differenz von Moral- und Geschichtsphilosophie. Wer den Menschen (und nicht Gott) als Herrn der Geschichte versteht (und genau das muss der Mensch, wenn er nicht auf Gott vertraut), wird unfähig, moralisch zu handeln, ja, überhaupt zu handeln, wenn und soweit er moralisch ist (und das ist er, der Mensch). Denn er muss ja dann die Güte einer Handlung (und Ziel der Ethik, das sei vorausgesetzt, ist das gute Handeln) im Ganzen bestimmen. Das kann er aber nicht, weil er das Ganze nie vor Augen hat.

So kommt es, dass ein Mensch ohne Gottvertrauen dazu neigt, andere, möglichst abstrakte Gebilde wie „den Staat“ oder „die Kirche“ in die Verantwortung zu setzen, um über die „Schwarmmoral“ der Gesellschaft oder Gemeinschaft die Folgen des eigenen Handelns möglichst gering zu halten und sich selbst angesichts der unüberschaubaren Komplexität der Welt zurückzunehmen. Dass uns diese Komplexität zwingt, von der Tugendethik auf eine Moral der Institutionen zu schalten, ist nur die halbe Wahrheit. Der Mangel an Gottvertrauen macht die andere Hälfte aus. Mindestens.

Die Menschen, die selbst aktiv werden, zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie ein großes Gottvertrauen haben. Sie glauben fest daran, dass sie selbst die Dinge nicht zum Guten wenden können, dies aber auch gar nicht müssen. Ihre Aufgabe sehen sie nicht darin, die Welt zu verbessern (oder gar zu retten), sondern ein Gespräch zu führen, eine Mahlzeit zuzubereiten oder Winterkleidung für Flüchtlinge zu organisieren. Die Gewissheit, dass ihr Handeln letztlich nichts am Lauf der Welt ändern kann, lähmt sie nicht, sondern beflügelt sie, weil sie für den Lauf der Welt auf den Herr der Welt vertrauen – auf Gott.

(Josef Bordat)

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