Am Niederrhein

5. Dezember 2015


Am Niederrhein ist es Tradition, dass der Nikolaus am Abend des 5. Dezember um die Häuser zieht und die Kinder besucht, um Ihnen die Geschenke zu bringen. Ich erinnere mich noch gut an den Nikolaus.

Nikolaus

Der Nikolaus ist so etwas wie eine moralische Instanz. Der fragt immer: „Na, warst Du auch schön brav?“ Oder – gegen Aufpreis: „War die Maxime Deines Handelns jederzeit so, dass Du wollen kannst, sie werde zur Grundlage eines allgemeinen Gesetzes?“

Weil der Niederrhein an der Grenze zu Holland liegt, kam ab und zu auch der „Zwarte Piet“, ein holländischer Knecht Ruprecht. Der Mann für’s ganz Grobe. Knecht Ruprecht oder Zwarte Piet – is’ eigentlich das Gleiche. Die kann man trotzdem unterscheiden: Der Zwarte Piet hat ’nen TUI-Katalog unter’m Arm.

Ja, der Nikolaus. Eine moralische Instanz. Wichtigste moralische Instanz am Niederrhein, gewissermaßen der Sicherheitsrat, das sind jedoch „die Leute“. Bevor ein Diktator in Düsseldorf Giftgas gegen die Zivilbevölkerung einsetzt, muss er sich die Frage stellen: „Wat denken die Leute?“

Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sind am Niederrhein „die Nachbarn“. Die Nachbarn haben ein Veto-Recht in allen Fragen, die das Leben des Niederrheiners betreffen. „So kannst Du nicht rumlaufen, wat sollen die Leute denken? Und ers’ ma’ die Nachbarn!“

Ja, der Niederrhein. Den Niederrheiner an sich zu beschreiben bzw. das, was von ihm übrig bleibt, ist im Grunde nicht möglich. Man kann sich dem Niederrheiner und seiner Lebensart nur annähern. Am besten ist es in diesem Zusammenhang, wir schauen uns mal an, wie die berühmte Gretchenfrage aus Goethes „Faust“ gestellt und beantwortet worden wäre, wenn Goethe Niederrheiner gewesen wäre. Die Situation is’ klar. Ja? Ne, ich frag nur, vielleicht lesen Bologna-Studenten mit. Is’ aber klar? Na dann.

Also.

Gretchen: Hömma, wie ist dat mit de Religion?
Faust: Wie, Religion?

Der Niederrheiner fragt immer noch mal nach. Zur Sicherheit.

Gretchen: Ja, Religion! Wat is damit?
Faust: Wat soll damit sein?

Damit ist das Präludium des Dialogs abgeschlossen. Jedes Gespräch am Niederrhein beginnt mit dem in sich abgeschlossenen Vierzeiler: Ausgangsfrage, Rückfrage, Bestätigungsfrage, Abschlussfrage. Ausgangsfrage: Hömma, wie is dat? – Rückfrage: Wie, dat? – Bestätigungsfrage: Wat is damit? – Abschlussfrage: Wat soll damit sein?

Jetzt tritt der Dialog in die entscheidende Phase.

Gretchen: Ja, dat frag ich Dich!
Faust: Ja, wat weiß ich?!

Und mit der manchmal etwas unwirsch vorgetragenen finalen Endfrage ist das Gespräch beendet und beide sind zufrieden.

So ist das am Niederrhein. Schöne Gegend.

Allen Kläusen und Nicoles meinen herzlichen Glückwunsch zum Namenstag und allen Kindern randvolle Schuhe, Stiefel und Strümpfe!

(Josef Bordat)

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