Würde und Selbstbestimmung (2). Die christliche Perspektive

27. Mai 2015


Warum in der Sterbehilfedebatte zu Unrecht mit der Autonomie des Menschen argumentiert wird

In der Debatte um Sterbehilfe rückt sehr schnell ein Begriff in den Mittelpunkt: Selbstbestimmung. Auf diese habe der Mensch ein Recht – immer. Ist es nicht tatsächlich der höchste Ausdruck von Würde, in der Frage nach Leben und Tod selbst eine Entscheidung zu treffen? Wenn nicht da, wo sonst? Schauen wir, was aus Philosophie, Theologie und Kirchenlehre zur Beantwortung dieser Frage entnommen werden kann. Wir hatten gestern mit Kant die philosophische Perspektive eingenommen. Fahren wir heute mit der christlichen Perspektive fort.

Eine noch deutlichere Ablehnung von Selbsttötung und Sterbehilfe erwächst aus dem Begriff der Würde, wie ihn das Christentum prägt. Die christliche Theologie verleiht dem Menschen eine unveräußerliche Würde, eine dignitas humana, die direkt aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen erwächst. Als Abbild Gottes ist dem Menschen personale, subjektive Würde verliehen. Ausgangspunkt der christlichen Anthropologie ist die Geschöpflichkeit des Menschen. Gott schuf den Menschen als sein Abbild, so steht es gleich dreimal hintereinander in der Genesis (Gen 1, 26-27).

Gottebenbildlichkeit ist demnach eine Gabe Gottes, die sich durch Unverfügbarkeit für den Menschen auszeichnet. Sie ist keine Qualität des Menschen, sie besteht nicht in etwas, das der Mensch ist oder tut, sondern sie besteht, indem der Mensch selber und als solcher besteht, als ein Gottes Geschöpf. Er wäre nicht Mensch, wenn er nicht Gottes Ebenbild wäre. Er ist Gottes Ebenbild, indem er Mensch ist. Damit ist die Würde des Menschen, die aus der Gottebenbildlichkeit erwächst, unveräußerlich, nicht von ihm zu trennen, weil die Gottebenbildlichkeit nicht von ihm zu trennen ist.

So ist der Mensch als geschaffenes Ebenbild Gottes von seinem Ursprung, seinem Wesen und seinem Ziel her nicht eigenbestimmt, seine Würde ist, im Sinne Luthers, eine dignitas aliena, eine „fremde Würde“. Der Mensch konstituiert sich also nicht in völliger Autonomie als selbstbestimmtes Subjekt, sondern bleibt dem Objekt in einer heteronom gestalteten Beziehung zugewandt. Gerade dadurch erhält der Mensch nicht nur eine ihm „fremde“, sondern eine ihm entzogene Würde, eine absolute Würde, die nicht Gegenstand konventionaler Überlegungen der Gemeinschaft oder subjektiver Entscheidungen des Menschen sein kann.

Ohne die absolute Würde wird der Mensch zum Spielball von Interessen, kann instrumentalisiert werden und verliert den Anspruch auf unbedingte Achtung seines Lebensrechts. Die Abschaffung der Sklaverei etwa konnte nur gelingen, weil sich Christen vor dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes für die Freiheit des Menschen einsetzten. Die christliche Stimme ist heute die einzige, die sich noch vernehmbar für den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens erhebt, eben weil es im Christentum eine absolute, von Gott her bestimmte Würde zu schützen gilt.

(Josef Bordat)

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