Ergebnisoffen?

14. September 2016


Zur Beratung schwangerer Frauen in Konflikt- und Notsituationen.

Die Beratung schwangerer Frauen in Konflikt- und Notsituationen habe ergebnisoffen zu erfolgen. Alles andere sei Heuchelei, nehme die Frau in ihrem Konflikt, in ihrer Not nicht ernst. Besonders die katholische Kirche steht in diesem Zusammenhang in der Kritik, weil und soweit sie daran festhält, keinen Beratungsschein auszustellen, den es für die straffreie Abtreibung nach § 218 StGB braucht. Was ist davon zu halten?

Zunächst ist es so, dass die Beratung immer zum Leben erfolgen muss – und nicht neutral. In § 219 StGB wird festgelegt, dass „[d]ie Beratung [..] dem Schutz des ungeborenen Lebens [dient]“. Weiter heißt es dort: „Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt“.

So hat die Beratung zu erfolgen. Eigentlich. Ich bin selbst kein Berater, jedoch interessierter Beobachter und habe insoweit Kontakt mit Beraterinnen und Beratern in unterschiedlichen Beratungsstellen. Man sollte nicht unterschätzen, wie viele Frauen sich schon vor der Beratung entschieden haben (was ja bei einer so tiefgreifenden persönlichen Entscheidung auch nicht verwundern sollte), und zwar gegen ein Kind. Und sich dann nur den nötigen Schein „abholen“ wollen.

Dieser wird auch binnen weniger Minuten ohne weiteres ausgestellt – je „ergebnisoffener“ sich die Beratung dünkt, desto einfacher und schneller geht das. Es ist also ein formalisiertes Standardverfahren, das mit dem hehren Anspruch des § 219 StGB nichts zu tun hat. Als Begründung für eine Soziale Indikation – in über 90 Prozent der Fälle das grundsätzliche Verbot des § 218 StGB hemmend – reicht dann etwa: „Kind passt mir momentan nicht“. Das ist eine Beratung um des Scheines willen, eine Scheinberatung.

Dass sich eine Beratungsstelle eingedenk dieser Umstände nicht instrumentalisieren lassen möchte, ist ihr nicht zum Vorwurf zu machen. Denn, wir erinnern uns: Beratung muss immer zum Leben erfolgen. Wenn das nicht gelingt, ist die Entscheidung der Frau zu tolerieren, aber nicht weiter zu unterstützen. Sehr wohl aber ist die Frau weiter zu unterstützen (wenn sie etwa ein weiteres Mal kommt, ist sie genauso engagiert zu beraten wie zuvor). Aber durch Ausstellen des Scheins an einer Abtreibung mitzuwirken, wenn auch nur formal, läuft dem Anspruch einer Beratung zum Leben zuwider.

Was wäre von einer Seelsorgeeinrichtung zu halten, die Suizidkandidaten nach erfolgter (und sicher auch engagierter), aber letztlich erfolgloser Beratung zum Leben regelmäßig ein Rezept für Zyankali ausstellte? Die Botschaft, die davon ausginge, lautete doch: „Hier gibt’s Rezepte für Zyankali“. Genau das passiert, wenn das „Ergebnisoffene“ an der Beratung nicht nur als pragmatisch, sondern als programmatisch aufgefasst und kommuniziert wird. Wenn aus dem Hinnehmen und Dulden der falschen Entscheidung des insoweit irrenden Gewissens der Frau die prinzipielle Neutralität in der Beurteilung ihrer Entscheidung wird – und dies auch so sein soll.

Der Beratungsbegriff im Rahmen der Normen zur Abtreibung muss (wieder?) ernst genommen werden. Wie wenig ernst es der Gesetzgeber damit jedoch selbst nimmt, zeigt der Umstand, dass er bis heute dem Auftrag des Bundesverfassungsgericht nicht nachgekommen ist, die Normen selbst erneut zu beraten. Das wird mit Hinweis auf den „Erfolg“ der Regelung abgelehnt. Indikator sind die sinkenden Abtreibungszahlen, die jedoch weniger mit der Rechtslage als vielmehr mit sinkenden Schwangerschaften insgesamt zu tun haben (die Zahl der Geburten sinkt ja ebenfalls).

Ergebnisoffen ist also im Kontext der Beratung schwangerer Frauen in Konflikt- und Notsituationen ein höchst problematischer Begriff, wenn damit so etwas wie leidenschaftslose Neutralität suggeriert wird. Denn damit würde das eigentliche Anliegen der Beratung geschwächt: das Leben zu schützen – das der schwangeren Frau, aber auch das des ungeborenen Kindes.

(Josef Bordat)

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