Am letzten Sonntag erklärte sich Jesus zur Erfüllung der Prophezeiungen Jesajas; der letzte Satz der Perikope aus der vergangenen Woche (Lk 1, 1-4; 4, 14-21) eröffnet die heutige (Lk 4, 21-30). Der Satz hat es ja auch in sich – es lohnt, ihn zweimal zu hören: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt“. Jesus meint sich. In den Augen der frommen Juden muss das wie eine unerträgliche Anmaßung geklungen haben. Schnell rücken sie im allgemeinen Beifall die Verhältnisse zurecht: „Ist das nicht der Sohn Josefs?“ Der Sohn des örtlichen Bauunternehmers – die Erfüllung der Schrift? Die Quintessenz des Wortes Gottes?

Schon bald zeigt sich an der ablehnenden Reaktion der Zuhörer, dass die Gesellschaft in der Heimat Jesu nicht bereit ist für die revolutionäre Botschaft vom Wort, das Fleisch wird, vom Heil, das allen Menschen gilt. Denen, die zuerst gebannt lauschen und begeistert sind von der Kraft der Predigt Jesu, wird es nun doch zu bunt. Lukas erzählt in seiner ihm eigenen Sachlichkeit, dass sie „in Wut geraten“, „aufspringen“ und „Jesus zur Stadt hinaus treiben“, in der Absicht, ihn umzubringen.

Es ist eine erste Andeutung der Passion. Aber: Noch ist es nicht so weit. Jesus entzieht sich den aufgebrachten Menschen: „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“ Seine Mission ist noch nicht erfüllt. Zugleich wird deutlich, dass es schwer werden wird, eine Gesellschaft, die mit Kritik nur sehr schwer umgehen kann, zu Gott zu führen.

Wir wollen Beweise! Damals wie heute ist der Ruf nach Bestätigung der Vollmacht Christi nicht zu überhören. Jesus antizipiert eine der gängigen Vorhaltungen des Zweifels: Zeig uns, was Du drauf hast, dann wollen wir glauben! Doch Jesus spielt nicht mit: „Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat! Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.“

Zum Beweis dieser These greift Jesus wieder in die jüdische Geschichte aus. Er bringt Beispiele von Gottes Einwirken durch die Propheten, nicht in Israel, sondern in anderen, geographisch nahen, doch ethnisch und sozial fernen Gegenden. Es scheint, dass Gott durch die Propheten nur auswärts etwas bewirken kann, in der Fremde, bei den Fremden, nicht jedoch zu Hause, nicht bei den Seinen. Das irritiert die Leute in der Synagoge – verständlicherweise.

Doch niemand hat Gott für sich gepachtet, kein Mensch, kein Land, kein Volk. Jesus wirkt, wo es nötig ist, und der Heilige Geist weht, wo er will. Damals wie heute. Wenn wir Gott eine Heimat bereitet wollen, dann sollten wir ihn gerade nicht exklusiv für uns beanspruchen, sondern mit Freude sehen, dass Er auch ganz woanders spürbaren Einfluss hat.

„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ Wir kennen das Leben und Wirken Jesu, wie es die Evangelisten aufgeschrieben haben. Wir erkennen Jesus tatsächlich in den Worten des Jesaja wieder. Wir können glauben, dass Jesaja tatsächlich Jesus meinte, wir können darauf vertrauen: Jesus ist die Erfüllung der Schrift. Jesus sprengt Grenzen. In Jesus wird der Fremde zum Nächsten.

(Josef Bordat)