Die Sache klingt spannend: „neue Erkenntnisse“, „Datenbank“, „Team aus bis zu fünf Forschern“. Und dann der Titel: „Forschung über Hexenprozesse: Es gab deutlich mehr Opfer“. Soweit Evangelisch.de. – Deutlich mehr. Da bleibt freilich zu fragen: „Als was?“ Antwort: als angenommen. Und dazu findet man die Angabe: „Die Forschung schätzt die Zahl der als Hexen oder Zauberer in Deutschland Hingerichteten auf 15.000 bis 20.000“. Da staunt der Laie und der Forscher schaut verwundert. Oder umgekehrt. Denn die geschichtswissenschaftliche Forschung geht derzeit von nahezu der doppelten Anzahl an Opfern aus.

Nach derzeitigem Forschungsstand waren es insgesamt etwa 40.000 bis 50.000 Opfer (Thomas A. Brady) bzw. ca. 50.000 (Gustav Henningsen), bei einer Untergrenze von 30.000 (Wolfgang Behringer) und einer Obergrenze von 60.000 (Brian P. Levack). Von den insgesamt etwa 50.000 Todesopfern stammte mindestens die Hälfte aus „Deutschland“, d.h. lebte auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Das wären also eher 25.000 bis 30.000. Es ist also keineswegs eine „neue Erkenntnis“ zu meinen, „es seien deutlich mehr gewesen“ als „15.000 bis 20.000“.

Eine genaue Zahl können die Forscher „noch nicht nennen, da die Auswertung der Quellen noch nicht abgeschlossen ist“. Man darf gespannt sein. Es würde mich nicht wundern, wenn die tatsächliche Zahl am Ende da läge, wo die Forschung sie bereits jetzt vermutet. Eine Bestätigung des bestehenden Befundes wäre in der Tat wichtig – aber eben nichts Neues. Das Urteil auf Evangelisch.de über das Projekt („Der Blick aufs Ganze bringt neue Erkenntnisse.“) empfinde ich daher als etwas überzogen wohlwollend. Vielmehr drängt sich mir die Frage auf: Ob hier wohl eine zu niedrige Zahl unterstellt wird, um dann „zeigen“ zu können, dass die tatsächliche Zahl höher liegt?

Aber es wäre sicher falsch, die Seriösität des Forschungsprojekts anzuzweifeln. Dazu sehe ich keinen Grund. Es muss auch nicht immer alles neu sein – eine quellengestützte Bestätigung des Bekannten ist manchmal schon aller Ehren wert. Und ansonsten steht in dem Text ja auch jede Menge Richtiges, Vernünftiges und Bedenkenswertes, das die Ergebnisse mit Spannung erwarten lässt. Mit diesen ist ab Mitte 2018 zu rechnen. Präsentiert werden sie einer breiten Öffentlichkeit in Form einer Ausstellung.

(Josef Bordat)