Logik des Teufels

14. Januar 2011


Es ist schwer, zu verstehen, wie das passieren kann: Völkermord. Wer Debbie Schlussels Kommentar zum Anschlag auf koptische Christen in Alexandria gelesen hat, ist hinterher schlauer. Man erkennt darin die kranke Logik, die hinter der Verfolgung und Ermordung von Menschengruppen steht. Man sieht, wie aus Entindividualisierung Feinbilder entstehen, die sich aus Gleichgültigkeit verfestigen und schließlich in Gewalt entladen. Hinterher fragt man sich, wie das passieren konnte.

Die konservative politische Journalistin Debbie Schlussel will nach eigenem Bekunden keine Tränen für die Kopten vergießen, auch wenn ihre Leiber von Bomben zerfetzt werden. Na, wenn schon! Der Grund: Sie habe in der Vergangenheit antisemitische Verlautbarungen seitens koptischer Christen beobachtet. So seien sie gemeinsam mit Muslimen auf anti-israelischen Demonstrationen gesehen worden.

Ich will nicht darauf eingehen, ob das stimmt. Das zu recherchieren ist mühsam. Ich will auch gar nicht mit der unmittelbar einsichtigen Selbstverständlichkeit auftreten, Kritik an Israel bedeute nicht immer und überall zugleich Antisemitismus bzw. Antijudaismus.

Mir geht es um etwas anderes: um die kranke Logik, mit der Debbie Schlussel ihre Empathieverweigerung zu verargumentieren sucht. Ihr Blog-Beitrag stammt vom 3. Januar 2011. Das trifft sich gut. Am 12. Januar 2011 jährte sich nämlich das Inkrafttreten der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zum sechzigsten Mal. In einem Vierteiler habe ich zum Thema Genozid aus völkerrechtlicher Sicht schon vor einem Jahr an anderer Stelle Ausführungen gemacht, in einem aktuellen Text sind wesentliche Aspekte dieses denkwürdigen Vertragswerks zusammengefasst. Ich möchte mich hier auf die Logik der Argumentation konzentrieren, mit der selbst das Grausamste zu rechtfertigen versucht wird. Die Logik des „So what?!“, die Logik des „Selber Schuld!“

Es liegt auf der Linie dieser Logik, den Mord an Olof Palme (nachträglich) gut zu finden, weil es schließlich schwedische Truppen waren, die im Juli 1630 Usedom überfielen, wo ein netter Bekannter ein Ferienhaus hat. Oder sich zu freuen, wenn holländische Touristen in Rio einem Raubmord zum Opfer fallen (Stichwort: Vereenigde Oostindische Compagnie). Oder jeden Unfall auf deutschen Straßen zu bejubeln, weil es Deutsche waren, aufgrund derer der Begriff „Genozid“ entwickelt wurde. Und dabei insgeheim zu denken: „Ähnliches gilt für Österreich!“

Muss ich wirklich jedes mal, wenn irgendwo ein Mensch gewaltsam ums Leben kommt, fragen, was er, seine Familie, sein Volk, sein Land und die Firma, für die er arbeitete, verbrochen haben? Bevor ich weinen darf? Anschlussfrage: Was ist das für eine kranke Logik?

Ich denke, es ist die Logik des Teufels, die Logik des Bösen. Die Logik, mit der das Subjekt entpersonalisiert und das Individuum an einem Attribut bemessen wird, das außerhalb seiner konkreten Lebensform liegt, ein Konstitutionsmerkmal also, dass ihm Identität gibt und damit unterscheidbar macht. Dieser Unterschied wird zum alleinigen Kriterium des Urteils. Es ist ein Urteil gegen die Konstitution des Kollektivs, das mit dem einzelnen Menschen nur wenig zu tun hat. Dabei ist es der einzelne Mensch, der zählt. Die Menschen, die anders denken, die über Gruppen verhandeln, so wie Debbie Schlussel das tut, haben nicht verstanden, dass der Grund systematischer Feindschaft gerade in dieser Entpersonalisierung liegt.

Diese Logik ist der argumentative Stoff, aus dem Völkermorde geschneidert werden. Wir und die statt Ich und Du. Aus diesem kleinen Unterschied entstehen Feindbilder, Vernichtungsabsichten, Völkermord. Und Christenverfolgung.

Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Feindbilder abzubauen. Er lehrt uns die Methode der Entfeindung: die Hinwendung zum Nächsten, zum – ganz konkret – Nächsten. Diese Hinwendung soll in Liebe geschehen, ohne Wenn und Aber. Das beginnt damit, dass man den Anderen ernst nimmt. Man kann das ganz praktisch einüben.

Jesus Christus teilt nicht ein in Wir und Die, sondern bietet mit seinem göttlichen Ich dem menschlichen Du eine Teilhabegelegenheit – jedem Du, das ihm begegnet, das ihm begegnen will. Das bedeutet nicht, dass ihm alle und alles gleichermaßen recht und billig sind, nein: Er spricht in aller Klarheit von Böcken und Schafen, doch er gibt jedem die Chance, Schaf zu werden. Er spricht auch von denen, die für ihn sind und denen, die gegen ihn sind, aber jeder hat die Möglichkeit, ihm nachzufolgen. Er markiert deutlich die Unterschiede zwischen Glaube und Heuchelei, Verinnerlichung und Äußerlichkeit, Wahrheit und Lüge und fordert Entscheidung und Bekenntnis – er sieht dabei jedoch stets den einzelnen Menschen.

Vor dem einzelnen Menschen und auch vor der Botschaft Jesu verschließen diejenigen, die so denken wie Debbie Schlussel, die Augen, wenn sie Opfern ihr Mitgefühl verweigern, weil Menschen, die mit den Opfern eine Eigenschaft teilen, schon einmal Täter waren. Ich habe den Eindruck, es werden immer mehr, die so denken, in großen, starren Blöcken. Die Kirche, die Religion, die Juden, die Frauen, die da oben. Die Muslime. Wollen wir Huntington Recht geben?

Übrigens: Meiner Freundin B., eine koptische Christin aus Kairo, geht es gut. Sie schreibt, dass über die Weihnachtstage alles ruhig und friedlich war. Gott sei Dank.

(Josef Bordat)

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