Transparenzgesellschaft

30. Mai 2012


Der „Maulwurf-Skandal“ im Vatikan (Vatileaks) wird breit rezipiert. Leider fehlt mir etwas die nötige Freizeit, mich tiefer in den Diskurs einzuarbeiten. Daher überfliege ich die mediale Rezeption in einer gewissen Höhe, die Unschärfen in der Betrachtung nicht ganz ausschließt. Was ich aber festgestellt habe: Neben weniger ernstzunehmenden Kommentaren der Art „Religion dumm, Kirche böse, Papst Schuld!“ mehren sich die Ansichten, die das Thema aus der Perspektive der „Transparenz“ beleuchten.

Es ist dabei interessant, wie die Forderung nach „Transparenz“ die Beweislast umkehrt: Nicht der, der das Vertrauen von Menschen missbraucht, sich Zugang zu Informationen verschafft, um diese dann gewinnbringend zu veröffentlichen, sondern der, der daran Anstoß nimmt, soll sich schämen, schließlich hat er etwas zu verbergen.

In was für eine Gesellschaft führt das? In die Transparenzgesellschaft, in der das Problem nicht mehr ein mehr oder weniger ausgefeilter Datenschutz ist, sondern in welcher der Grundstoff aller menschlichen Beziehung so rar wird, dass er auf kleinste Kreise beschränkt wird: das Vertrauen. Was sage ich wem? wird dann zur Hintergrundmelodie des Lebens. Irgendwoher kennt man das. Richtig: Aus politischen Systemen, in denen man sich permanent der allgegenwärtigen Überwachung zu entziehen versuchte. Wie zum Beispiel in der DDR.

Also: Paradoxerweise führt Transparenz nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Kontrolle. Transparenz schafft kein Vertrauen, sondern beseitigt es, weil Vertrauen semantisch ja gerade an fehlendem Durchblick anschließt. Wenn ich alles weiß bzw. zu wissen glaube, muss ich nicht (und Niemandem) mehr vertrauen – allenfalls dem Kontrollsystem, auf dem meine Erkenntnisse beruhen. So zerstört die Transparenz die Beziehungskultur. Ich steh mit dieser Transparenzskepsis nicht ganz alleine da: Der koreanische Philosoph Byung-Chul Han hat das schon viel ausführlicher und ausgefeilter auf den Punkt gebracht. In seinem jüngsten Buch. Titel: Transparenzgesellschaft.

(Josef Bordat)

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