Gleich darauf forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn. (Mt 14, 22-33)

Jesu Gang auf dem Wasser löst bei Seinen Jüngern Angst und Schrecken aus, weil sie den Herrn mit einem Gespenst verwechseln. Jesus sagt ihnen „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ Die Selbstoffenbarung Jesu („Ich bin es.“) ist hier eng angelehnt an die Offenbarung Gottes dem Mose gegenüber: „Ich bin der ‚Ich-bin-da’“ (Ex 3, 14). Jesus ist bei Seinen Jüngern wie Gott beim Volk Israel ist. Es kann nichts passieren, sie sind sicher.

Doch so, wie die Israeliten manchmal am Zuspruch Gottes zweifelten, weil sie Sein Dasein nicht spürten, sind auch die Jünger offenbar noch nicht ganz überzeugt, denn Petrus stellt eine Bedingung: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Er verlangt ein Zeichen, um vertrauen zu können, dass die Erscheinung tatsächlich Jesus ist, der sie immerhin – so musste es den Jüngern vorkommen – in Seenot allein gelassen hatte.

Jesus gewährt Petrus die Prüfung, wohlwissend, dass diese sich rasch zur Prüfung für Petrus wandelt. Denn beim Gang über das Wasser wird sich Petrus der Gefahr bewusst und scheitert. Die Angst vor dem Untergang lässt ihn untergehen. Wieder einmal ist es also Petrus, der stellvertretend für die Menschheit deren Schwächen auszubaden hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es ist ja ein wohlbekanntes psychologisches Phänomen, dass wir in der Sorge darum, ein bestimmter Zustand könne eintreten, diesen Zustand geradewegs herbeiführen. Petrus schreit ebenso stellvertretend für die Menschheit: „Herr, rette mich!“

Und Jesus rettet. Nicht ohne Seine Enttäuschung auszudrücken: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Er meint damit jeden Einzelnen von uns, denn wir alle sind nicht nur Kleingläubige und Zweifler, wir alle machen auch ständig die Erfahrung des Petrus, wenn wir von Gott „Zeichen“ verlangen: Es kommt auch dabei auf das Vertrauen, auf den Glauben an, auf unseren Glauben. So sehr wir auch Zeichen brauchen, um vertrauen und glauben zu können, so sehr braucht es Vertrauen und Glauben, um die Zeichen zu erkennen und mit dieser Erkenntnis auf Gott zugehen zu können – auf den unruhigen Gewässern des Lebens.

Der Glaube bewährt sich damit nur im Glauben. Resultat und Prämisse fallen zusammen – ein logischer Zirkel, der sich nicht mit den Mitteln der Vernunft auflösen lässt. Nur im Gedanken daran, dass Glaube ein Geschenk ist, das jedoch zugleich auf Annahme angewiesen bleibt, lässt sich diese widersprüchliche Spannung in eine enge wechselseitige Bezogenheit von Gott und Mensch überführen, in eine Beziehung, die zur Einheit strebt und damit bedingungslos wird.

Wenn wir mit den Jüngern sagen: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.“, dann werden wir keine Gespenster sehen, wenn sich Gott uns zeigen will. Und wenn wir in Phasen geistlicher Seenot daran festhalten, dann wird aus den Zweifeln keine Verzweiflung werden, die uns untergehen lässt. Und wenn wir doch einmal Schiffbruch erleiden, bleibt der letzte Anker der Hoffnung, der Schrei: „Herr, rette mich!“ Erst, wenn dieser Schrei verstummt, drohen wir wirklich zu ertrinken.

(Josef Bordat)