Martialische Holzkreuze. Und Antisemiten!

26. September 2012


Zur Wahrnehmung des „Marsch für das Leben“ durch den „weltlichen Humanismus“.

Manchmal lohnt es sich, Fremdwörter nachzuschlagen. „Martialisch“ heißt soviel wie „streitsüchtig“, „kriegerisch“, „wild“, „grob auftretend“.

„Martialisch“ ist offenbar das Lieblingswort des Verfassers eines Berichtes zum „Marsch für das Leben“ auf der Seite diesseits.de, einem „Online-Magazin für weltlichen Humanismus“. „Martialisch“ ist der Marsch, soweit es um dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer geht. Deren schlichte, weiße Holzkreuze seien „martialisch“, ihr gesamtes Auftreten („Ritual“) auch. Martialisch. „Streitsüchtig“, „kriegerisch“, „wild“, „grob auftretend“.

Auch über die publizistische Funktion eines Titels lohnt es sich, gelegentlich nachzudenken. Er soll in wenigen Worten über den wesentlichen Aspekt dessen informieren, von dem im Text die Rede ist. Der Titel des Berichts lautet: „Antisemiten und Homophobe marschieren für das Leben“.

Das überrascht etwas, zumal, wenn man die eine Teilnehmerin oder den anderen Teilnehmer persönlich kennt (zu kennen glaubte!) und diese Personen bisher eher nicht unter „Antisemiten“ und / oder „Homophobe“ subsumiert hat. Aber gut – lebenslanges Lernen ist das Motto.

Im Text selbst ist dann nurmehr noch die Rede davon, dass „die fundamentalistischen Religiösen einträchtig mit Antisemiten und Befürwortern der Todesstrafe für Homosexuelle auf die Straße“ gegangen seien. Also scheint es für den Verfasser zumindest einen ontologischen, wenn auch keinen phänomenologischen Unterschied zwischen „Lebensschutz“ und „Antisemitismus“ resp. „Homophobie“ zu geben, so dass man zumindest theoretisch die Chance hat, ein Freund des Lebens zu sein, ohne zugleich ein Feind der Juden werden zu müssen. Danke! Was allerdings hängen bleibt, ist etwas ganz anderes: Lebensschützer sind bzw. sind zumindest genauso schlimm wie Antisemiten. Also: Judenhasser. Also: Nazis. Voilà. Es soll Menschen geben, die das dann am Ende glauben.

Wer jetzt eine längere Auseinandersetzung mit dem Text erwartet, den muss ich enttäuschen. Ich habe weder Zeit noch Lust den Artikel im Einzelnen zu analysieren. Nach oberflächlicher Lektüre fällt mir neben dem „erzkatholischen Erzbischof Rainer Maria Woelki“ lediglich das eklatante Fehlverständnis des christlichen Lebensschutzgedankens auf, der – soweit er überhaupt jenseits von Ad hominem-Attacken zu rekonstruieren versucht wird – fast ausschließlich (warum auch immer) als Gegenentwurf zum Gedanken der sexuellen Selbstbestimmung gesehen wird. Das ist nicht nur blanker Unsinn, sondern geht völlig an der Sache vorbei. Das ist so, als wenn man wegen der Abseitsregel kein Freund des Bodenturnens ist.

Fest steht: Jede Selbstbestimmung – auch die sexuelle – hat Grenzen. Die Grenze wird u.a. von den Rechten Dritter bestimmt. Der ungeborene Mensch ist im Sinne der Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts ein solcher Dritter. So sehen es nicht nur die „Antisemiten und Homophoben“, sondern zum Beispiel auch das Bundesverfassungsgericht. Vermutlich alles „Antisemiten und Homophobe“. – Was christlicher Lebensschutz ist, kann u. a. hier nachgelesen werden.

Das Bild schließlich, das der Bericht von den Gegendemonstranten zeichnet, fällt unter die Rubrik „künstlerische Freiheit“. Das noch nicht mal mehr provozierende, sondern einfach nur dämliche Gegröle vom Straßenrand wird quasi zur höflichen Informationsofferte umgedeutet.

Wie gesagt – ich habe dafür momentan keine Zeit und keine Lust. Komme im nächsten Jahr jede und jeder selbst zum „Marsch für das Leben“, schaue sich die Sache an und bilde sich ein eigenes Urteil. Zum Beispiel darüber, welche Seite die semantische Note von „martialisch“ am ehesten versprüht.

Eins muss man dem Verfasser des Textes aber lassen: Die Teilnehmerzahl („2.500 bis 3.000 radikale Lebensschützer“) stimmt wohl. Und das ist ja schon mal was.

(Josef Bordat)

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