Eskalation und Weiterung. Beobachtungen im Fall van Elst

21. Oktober 2013


So traurig-tragisch der Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst für die Kirche ist (für alle anderen Beteiligten ist er hoch erfreulich: die Medien haben Stoff für Spekulationen, die Website der Stadt Limburg eine Verdopplung der Zugriffe, das Gaststätten- und Hotelgewerbe in eben dieser Stadt ein dickes Umsatzplus) – er fördert einige Mechanismen medialer Arbeit zu Tage, darunter die Eskalation und vor allem die thematische Weiterung.

Zunächst eine Vorbemerkung: Ich kann mich nicht erinnern, dass eine Person des öffentlichen Lebens wegen eines objektiv betrachtet eher geringen Schadens so intensiv gejagt wurde wie Tebartz-van Elst. Auf dem Hinflug nach Istanbul vor einer Woche habe ich die FAZ gelesen. Mehrere Beiträge über Tebartz-van Elst. Nachrichten, Berichte, Kommentare. Die Leserbriefe behandelten ausschließlich das Thema Tebartz-van Elst, so als gäbe es dieser Tage nicht den Versuch, eine Bundesregierung zu bilden, so als gäbe es keinen Krieg in Syrien, so als gäbe es auf dieser Welt überhaupt nichts anderes als Franz-Peter Tebartz-van Elst. Das letzte Mal, dass sich die FAZ so sehr auf ein Thema fixiert hat, war am 12. September 2001. Und wir sprechen von der mit Abstand besten deutschen Tageszeitung. Was hat er, Tebartz-van Elst, also getan? Er hat „Business Class“ und „First Class“ verwechselt und für eine Umverteilung von rund 30 Millionen Euro gesorgt, verteilt über mehrere Jahre. Das Geld hat er in einen Gebäudekomplex investiert, über dessen konkrete Ausgestaltung man streiten kann, der jedoch zumindest solide und werthaltig sein dürfte. Mit der Investition hat er zudem die regionale Wirtschaft gefördert. Das ist nicht die vornehmste Aufgabe eines Bischofs, aber so zu tun, als habe er das Geld in krankhafter Gier an sich gerissen, um es zu verbrennen, ist grob irreführend. Ferner: Die Frage, was man mit dem Geld sonst alles hätte machen können, stellt sich bei jeder Investition. Und auch beim Konsum. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Deutschen jedes Jahr rund 20 Milliarden Euro für Bier ausgeben, finde ich es äußerst bemerkenswert, dass die hungernden Kinder immer und nur dann herbeizitiert werden, wenn es um die Finanzen der Kirche geht. Das als Vorbemerkung, nun zum Diskurs.

Für die mediale Eskalation hat Tebartz-van Elst selbst die Vorlage geliefert, indem er die Baukosten nicht gleich in voller Höhe veröffentlichen ließ. So wurde die Phantasie angeregt, denn wenn nach 10 Millionen plötzlich 30 Millionen Euro genannt werden, sind es dann womöglich 50 Millionen? Wer weiß! Und wo – außer dem Verwaltungsbeirat – niemand etwas genaues weiß, lässt sich herrlich spekulieren. Doch neben der quantitativen gibt es auch eine qualitative Eskalation zu beobachten. Da eine finanziell überzogene Millionen-Investition in einer Zeit, in der die Milliarden nur so durch die Medien hüpfen (BER, ESM, GEZ), allzu leicht übersehen wird, muss Tebartz-van Elst möglichst als Person und möglichst spektakulär scheitern, indem die Schraube immer weiter angezogen wird. Man kann nicht einfach nur aus einem Badezimmer eine Badewanne machen, sie muss dann auch aus Bronze (Montag), Silber (Dienstag), Gold (Mittwoch), Platin (Donnerstag) bzw. Coltan (Freitag) sein, um am Wochenende einfach mal zu behaupten, der Kandidat sei psychisch krank. Das heißt: Es wird behauptet, er sei nicht psychisch krank. Das Dementi als wirkungsvolle Nachricht ist der vorläufige Höhepunkt der Eskalation. „CDU erleichtert: Merkel keine Kriegsverbrecherin“ – „Rummenigge: Hoeneß nicht schuld am Klimawandel“ – „Autismus: Bruder entlastet Tebartz-van Elst“ Kleines Experiment: Denken Sie jetzt mal bitte nicht an einen rosaroten Elefanten. So wird Stimmung gemacht.

Das reicht aber nicht. Man muss die derart erzeugte Stimmung auch nutzen. Das ist das, was Joachim Löw mit „Zielstrebigkeit vor dem Tor“ meint: Es nützt nichts, wenn Özil den Ball mit der Hacke in den Sechszehner schlenzt, es muss auch jemand da sein, der abstaubt. Und der Torerfolg der medialen Meinungsmache ist die Weiterung des Topos in die gewünschte Diskursrichtung. Der Fall Tebartz-van Elst bietet Gelegenheit zu zwei diskursiven Weiterungen: Erstens zur Frage der Kirchenfinanzierung allgemein, zweitens zur Vertiefung des Grabens zwischen der dekadenten deutschen Kirche und der armen Weltkirche, die jetzt wieder vom Papst vertreten wird, vielmehr von der Person Franziskus. Zugleich öffnet sich von daher indirekt der Raum für eine (neuerliche) Abrechnung mit Benedikt, der zwar ebenfalls das Thema Kirchenfinanzierung offensiv und beherzt anfasste (Entweltlichung) und außerdem (so als Papst halt) die Weltkirche vertrat und in erster Linie ihre Perspektive einnahm (gerade auch dort, wo die deutschen Medien eine deutsche Position erwarteten, etwa in der Ökumene, die sich bei Benedikt aber nicht allein auf bilaterale Gespräche zwischen Katholiken und Lutheranern bezieht), medial jedoch oft als deutscher Prunkprotzer verkauft wurde, weil er rote Schuhe trug. Franziskus kann nun wunderbar als pontifikaler Gegenentwurf präsentiert werden, weil er schwarze Schuhe trägt. Tebartz-van Elst setzt in diesem Kontext gleichsam Benedikts Antagonistenrolle fort. Sein Besuch beim Protagonisten Franziskus wird daher folgerichtig als Showdown zwischen Gut (Franziskus) und Böse (Tebartz-van Elst in Vertretung von Benedikt) vermarktet. Erwartet wird allgemein die finale Abrechnung, nicht nur mit Tebartz-van Elst, sondern mit allem, was dem kirchenkritischen Journalismus seit acht Jahren sauer aufstößt. Dass die anschließend darüber triumphalistisch in Kenntnis gesetzte Öffentlichkeit in der Frage des Verhältnisses von Franziskus und Benedikt grundsätzlich einer „optischen Täuschung“ unterliegt (so Lütz in der Vorwoche bei Jauch), ist wiederum Ergebnis vorausgegangener Manipulation in Wort und Bild, zugleich jedoch das Resultat der Vermengung von Methode und Inhalt. Und das ist wirklich traurig-tragisch.

(Josef Bordat)

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