Von der Satire zum Shitstorm

2. Juni 2015


Eine Kulturgeschichte

Politische Satire hat in einer Demokratie einen guten Teil ihrer Berechtigung verloren. Denn es macht sich ja der Souverän, das Volk, über den Diener, den Minister, lustig. Satire ist aber, wenn sich der Schwache über den Starken lustig macht. Wenn sich der Starke über den Schwachen lustig macht, dann ist das Mobbing. Wenn viele dabei mitmachen, dann nennt man das Shitstorm.

Kulturgeschichtlich kommt die Satire aus einer düsteren Zeit. Sie entstand in einer Situation, in der es für den Schwachen keine Chance gab, den Starken wirklich zu ärgern. Also tat er das zumindest symbolisch. Durch einen Witz, eine Zeichnung, eine spöttische Bemerkung. Es ging darum, der Macht die Maske vom Gesicht zu reißen, die Stärke zu entwaffnen, „die da oben“ bloßzustellen als auch nur „ganz normal“. Heute, wo man bei Leistungsträgern, die nicht zufällig Fußball spielen, in guter deutscher Eliteskepsis davon ausgeht, dass sie, schon weil sie irgendwas tun, das man nicht versteht, ohnehin die schlechteren Menschen sind, wo sowieso alle über alle alles wissen, was will man da schon groß entlarven oder zur Schau stellen? Dass „die da oben“ die schlechteren Menschen sind? Eh klar.

Damals hatte deftige Satire ihre Berechtigung, damals bei Luther zum Beispiel. Der kleine Mönch wendet sich gegen eine übermächtige Kirche und einen Papst, der zwar im Globalen schon erheblich an Macht eingebüßt hatte (dazu waren die Renaissance-Supermächte Portugal und Spanien zu stark), der aber immer noch über erheblichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss verfügte. Wie konnte man sich da wehren, wenn nicht mit Satire? Ähnliches lässt sich über den Simplicissimus sagen: Satire in Zeiten der Monarchie, des Extremismus, der Diktatur. Das war eine Aufgabe! Das war etwas ganz anderes als heute, wo man mit dem gleichen Verve gegen demokratisch gewählte „Herrscher auf Abruf“ loszieht, so als seien das auch unnahbare Regenten, denen das arme Volk den Spiegel vorhalten muss.

Das Machtgefüge hat sich längst verschoben. Heute machen die wirklich Mächtigen die Satire, die, die besser verdienen als ihre Zielobjekte, die sicherer im Sattel sitzen als ihre Opfer, die weit einflussreicher und mächtiger sind als die Kritisierten. Was passiert denn einem Medienschaffenden, wenn er über die Strenge schlägt? Eine Rüge vom Presserat, das ist alles. Aber, wenn er nicht liefert, wenn er nicht draufhaut, so dass Blut spritzt, dann ist er schnell den Job, den Einfluss und die Macht los. Haut er drauf, ist ihm der Applaus sicher. Es ist einfach, einem zum großen Teil schlecht informierten Publikum Scherze rund um die angeblich Mächtigen anzudrehen, ohne irgendein Risiko zu tragen.

Schwierig ist allein, die Dosis immer wieder zu steigern, in einer Gesellschaft ohne Tabus. Da schlachtet man im Theater ein Schwein und bestreicht mit dessen Blut ein Kruzifix. Und? Ein paar Tierschützer blockieren in der Pause die Sektbar. Satire ist nicht mehr das Kontrastmittel, das sie war, als es eng wurde. Wenn man mal schaut, wie feinsinnig und wie elegant in Diktaturen zwischen den Zeilen kritisiert werden musste (und die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts ist ja voll gelungener Satire), wie kreativ man im Protest dadurch auch war, ja, werden musste (schließlich ging es um Leben und Tod), dann langweilt man sich nur noch angesichts der täglichen Schmähungen und der dumm-dreisten Art, mit der Politiker und andere „da oben“, zu denen offenbar immer noch katholische Bischöfe zählen, vorgeführt werden sollen.

Und noch etwas: Es fehlt jede Spur von Selbstkritik im ganzen komödiantischen Kulturbetrieb. Die Fähigkeit und der Wille, auch mal sich und den eigenen Stand auf die Schippe zu nehmen, sind mit zunehmender Selbstgerechtigkeit immer weniger gut ausgeprägt. Satire richtet sich an den Anderen und geht von oben nach unten. Und die „ganz unten“ werden in Zeiten des Internet ganz demokratisch mitgenommen: im Shitstorm. Ein Shitstorm ist gewissermaßen die rezeptfreie Psychohygiene für unglückliche Durchschnittsmenschen. Und davon gibt es hierzulande viel zu viele.

(Josef Bordat)

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