Lebensschutz statt Sterbehilfe

18. Februar 2013


Drei Texte liefern Argumente gegen den geplanten § 217 StGB – und für das Leben

Das Thema Sterbehilfe, wie es im Zuge der (kaum bemerkbaren) Verhandlungen um die Neufassung des Strafrechtsparagraphen § 217 adressiert wird, ist ein Lebensrechtsthema. Damit ist es ein ganz zentrales Thema für das menschliche Selbstverständnis. Jede qualifizierte Positionierung ist daher zu begrüßen. Als eine solche darf eine Textsammlung in der Edition Sonderwege bei Manuscriptum gelten, die sich kritisch mit Sterbehilfe und Suizid auseinandersetzt und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt. Der Begriff „Euthanasie“ fällt bereits im Klappentext und ruft historische Bilder auf: Kranke, behinderte, alte Menschen, „unwertes Leben“, „unnütze Esser“ werden beseitigt, um die „Volksgemeinschaft“ zu entlasten.

Das geht freilich über die momentane Fassung von Sterbehilfe und die Begründungen für deren Legitimität hinaus. Zulässig ist es aber insoweit, als es die durchaus möglichen Veränderungen im gesellschaftlichen Klima antizipiert und uns mit dem Blick in die Vergangenheit für die Zukunft warnen will. Bei einem derart fundamentalen Thema ist es angezeigt, den Teufel an die Wand zu malen, damit ihn jeder sieht. Der Übergang vom Erlaubtsein zum Gebotensein ist in der Tat ein fließender, wenn man bedenkt, dass eine Gesellschaft, die dem Einzelnen ein Recht einräumt, damit implizit ein Recht auf Rechtfertigung verbindet, falls der Einzelne dieses Recht nicht in Anspruch nehmen will. Zumindest droht ein Ende der gesellschaftlichen Solidarität mit Kranken, Behinderten und Alten – eingedenk des rechtlich zugesicherten „Auswegs“.

Im ersten der drei Texte mit der sehr sinnfälligen Überschrift Wir sollen sterben wollen. Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss begründet der Journalist und Buchautor Andreas Krause Landt die Notwendigkeit eines umfassenden Sterbehilfeverbots aus dem Wesen des Todeswunsches, der eher einer erzwungenen psychischen Extremsituation denn einer Haltung „autonomer“ Selbstbestimmung entspringt und daher nicht durch das Hilfsangebot gestützt, sondern gezielt irritiert werden sollte, um den Suizidalen zu einer ernsten Prüfung seines Wollens anzuhalten. Wird der Todeswunsch jedoch gesellschaftsfähig gemacht, gewissermaßen „normal“ – das Programm dazu ist nach Krause Landt so subtil wie vielschichtig –, und wird dann unter der Maßgabe eines falsch verstandenen Konzepts von „Freiheit“ festgelegt, dass ihm grundsätzlich zu entsprechen ist, dann wird der Umgang mit dem Suizid affirmativ und geht an den Umständen, unter denen er sich als „Lösung“ entwickelt, völlig vorbei. Das Augenmerk liegt auf dem Tod, nicht auf dem Leben des Menschen. Die „Humanisierung“ des Sterbens hat somit etwas zutiefst Unmenschliches.

Dass ein solcher Umgang mit dem Todeswunsch auch dann falsch ist, wenn er nichts kostet – außer das Leben –, betont Axel W. Bauer im zweiten Beitrag, und kritisiert, dass das geplante Verbot gewerblicher Sterbehilfe nicht nur bedeuten würde, nicht-gewerbliche Sterbehilfe zu erlauben, sondern diese rechtlich und moralisch zu stärken. In Todes Helfer. Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid fördern will untermauert Bauer, der als ehemaliges Mitglied im Deutschen Ethikrat (2008-2012) auf der Höhe des politischen Diskurses ist, Landts These von der neuen Normativität des Todeswillen und ergänzt dessen kulturwissenschaftliche um eine medizinhistorische Perspektive. Wie Landt regt auch Bauer die diskursive Verknüpfung von Topoi der Bioethik an (Abtreibung, PID, Sterbehilfe), um die Grundlinien in der Lebensrechtsdebatte klarer aufzeigen und „schiefe Ebenen“ in der Argumentation besser belegen zu können.

Wichtig scheint mir vor allem die Differenzierung von historischen, diagnostischen und prognostischen Vorbehalten zu sein, die Bauer vornimmt. Die soziologische Bestandsaufnahme der Gegenwartssituation in Deutschland wird schließlich in die Zukunft extrapoliert, ohne Scheu vor der Verkündigung dessen, was dabei herauskommt. So ist Bauer der Ansicht, mit Hilfe entsprechender Weichenstellung in der Gesetzgebung könnte künftig ein demographisches Horrorprojekt „gesellschaftlich gesteuert werden“, nämlich „der Prozess der kostengünstigen ,Entsorgung‘ alter und kranker Menschen“, der nur dann realisierbar sei, „wenn es gelänge, sie [die Alten und Kranken, J.B.] weit im Vorfeld des Todes davon zu überzeugen, dass ein freiwilliger Suizid nach einem erfüllten Leben eine Tugend oder sogar eine soziale Verpflichtung wäre“. Die geplante Neufassung des § 217 StGB identifiziert Bauer als Teil dieser Überzeugungsarbeit.

Dass im Suizid „Freiheit“ und „Autonomie“ keinen Platz haben, betonen beide unter Hinweis darauf, dass die meisten Suizidalen unter einer schweren Depression leiden, einem Krankheitszustand, der verantwortete Selbstbestimmung im eigentlichen Sinne nicht zulässt. Landt beziffert den Anteil derer, bei denen eine Depression Ursache des Todeswunsches ist, auf „mehr als 90 Prozent“ und gibt zu bedenken, dass sich auch die „restlichen zehn Prozent in einer Ausnahmesituation“ befinden, „in die man den freien Willen nur hineinlesen kann“. Bauer führt ein ontologisches Argument an: Freiheit und Autonomie sind abhängig vom Menschen, denn „Autonomie […] hat ihre Voraussetzungen in der physischen Existenz der Person“. Und: Mit einem Suizid „verwirklicht der Mensch nicht etwa seine Freiheit; er beraubt sich ihrer, und zwar für immer.“ Ohne Leben keine Freiheit, ohne Dasein keine Autonomie. Freiheit und Autonomie können nicht sein, ohne dass der Mensch existierte, der daher in seinem Handeln immer achten muss, worauf er die Freiheit und Autonomie seines Handelns gründen will: seine Existenz. Der Mensch ist zum Erhalt des Lebens genötigt, sowie er autonom und frei sein will.

Die beiden überzeugenden Darstellungen werden um einen kurzen großartigen Aufsatz von Reinhold Schneider aus dem Jahr 1947 ergänzt, der die entscheidende metaphysische Frage nach dem Sinn unserer Existenz aufwirft: „Ist das Leben eine Veranstaltung, die zu unserem Vergnügen unternommen wurde und die wir verlassen können, wenn es uns beliebt?“ Im Paradigma einer hedonisch-utilitarischen Weltsicht entsteht heute genau solch ein Menschenbild des lustbetonten Spaßmaximierers, der aus seinem Erdenaufenthalt möglichst viel „herausholen“ will („mitnehmen“, wie es absurderweise oft heißt), und der, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis unter die Leichtigkeitsgrenze fällt, wenn sich Schmerzen und Gebrechen einstellen oder Langeweile, die Reißleine zu ziehen als dem Einzelnen moralisch erlaubt betrachtet – und mit ein wenig Bearbeitung am Ende auch für gesellschaftlich geboten hält. Schneiders eschatologische Bedenken und seine religiöse Deutung des Leids werden in diesem Klima wohl kaum noch zum Nachdenken anzuregen vermögen, dennoch ist es gut, dass sie an dieser Stelle, in diesem Kontext aktualisiert werden.

Mit dem Band liegt ein ebenso wichtiges wie gewichtiges Plädoyer für das Leben vor, das deutlich die Gefahren einer uneindeutigen Verrechtlichung der Suizidbeihilfe kennzeichnet, wie sie mit dem projektierten § 217 StGB droht. Mangelnde Klarheit kann man den Beiträgen jedenfalls nicht vorwerfen, weder den aktuellen von Andreas Krause Landt und Axel W. Bauer, noch dem älteren von Reinhold Schneider. Wir sind gewarnt – und die Warnungen der Autoren erschöpfen sich nicht in effektheischender Panikmache, sondern fußen auf wohldurchdachten Argumenten zu den Schlüsselbegriffen des Diskurses: Autonomie, Freiheit, Selbstbestimmung. Es ist dem Band daher eine breite Rezeption zu wünschen.

Bibliographische Angaben:

Andreas Krause Landt: Wir sollen sterben wollen. Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss. / Axel W. Bauer: Todes Helfer. Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid fördern will. / Reinhold Schneider: Über den Selbstmord (1947).
Waltrop / Leipzig: Manuscriptum (Edition Sonderwege) 2013.
199 Seiten, 14,90 Euro.
ISBN 978-3-937801-78-0.

(Josef Bordat)

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