Wenn Beiträge halten, was Titelblätter versprechen

28. Januar 2015


Das Niveau des Zitty-Textes passt ausgezeichnet zum Niveau des Zitty-Titelblatts.

Meine Güte, ist das wirklich das Niveau der intellektuell überlegenen Aufgeklärten, die uns im 21. Jahrhundert die Welt erklären, angefangen mit „Religion“ und endend bei „Religionen“? Ich hatte ja bereits angesichts des Zitty-Titelblatts („Gott ist doof“) einige Bedenken geäußert, ohne den Beitrag zu kennen. Jetzt, wo ich ihn kenne, kann ich sagen, dass ich nicht enttäuscht wurde: der Text hält in jeder Hinsicht, was das Titelblatt verspricht. Ich versuche es trotzdem mal in der sachlichsten aller mir derzeit möglichen Formen der Auseinandersetzung.

1. Zunächst krankt der Text daran, allgemein von „Religion“ oder „Religionen“ zu sprechen, ja, sogar eine ganz eigene Trennung von „ideologisch“ (dazu gehören die Anhänger von „Religion“ / „Religionen“) und „postideologisch“ (dazu gehören die Atheisten) vorzunehmen. Richtig ist: Religionen können ideologische Züge annehmen – der Islamismus ist dafür wohl das beste Beispiel -, aber nicht jede Religion ist eine Ideologie, nicht jeder Glaube verleitet zu ideologischer Engstirnigkeit. Umgekehrt ist man als Atheist nicht davor gefeit, den Modus der reinen Negation vielleicht doch einmal zu verlassen und eine Position zu beziehen, die dann – der Logik des Verfassers folgend – ebenfalls unter Ideologieverdacht gestellt werden müsste, wenn sie sich zu einer Weltanschauung mit eigener Ethik verdichtet und verfestigt. Davon ist freilich in dem Text weiter keine Rede mehr.

2. Es wird leider allzu schnell deutlich, dass auch die Zitty ein Zerrbild, eine Karrikatur von „Religion“ / „Religionen“ verhandelt, ohne dass die Absicht erkennbar wäre, tiefer in das für eine Religion wie das Judentum oder das Christentum oder den Islam Wesentliche einzudringen, also Dinge wie Gottesbeziehung, Geschöpflichkeit, Menschenwürde, Achtung vor dem Leben, Nächstenliebe, Gemeinschaft etc. erstens als Merkmale von „Religion“ anzuerkennen und zweitens aus Sicht der jeweiligen Religion zu rekonstruieren. Nichts. Wozu auch: Mit „Religion“ / „Religionen“ dürfte die Leserschaft bereits zufrieden sein.

3. Im krassen Missverhältnis zur recht legeren Bestimmung des Gegenstands steht dann das fallbeilartige Urteil über denselben – Motto: Ich brauche nicht zu wissen, wovon ich spreche, wenn ich nur darüber urteilen soll. Auch das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Zitty. Das Urteil über „Religion“ / „Religionen“ (bzw. darüber, was der Verfasser daraus gemacht hat) besteht im Grunde aus den drei bekannten Vorhaltungen, dass nämlich „die“ Religionen erstens intolerant sind, weil sie einen Wahrheitsanspruch aufrecht erhalten, dass daraus zweitens Gewalt entsteht (oder zumindest entstehen kann) und dass drittens der trotz allem ungebrochene Erfolg von „Religionen“ daher rührt, dass sie den Denkfaulen unter den Menschen Geborgenheit in allen Lebenslagen bieten.

4. Wahrheitsanspruch / Toleranz. Die „Religionen“ erzeugen in ihrer ganzen Verlogenheit „falsche Hoffnung“, die sie jedoch eingedenk ihrer ideologischen Neurose nicht als solche erkennen, sondern für die Wahrheit halten, die sie dann dazu benutzen, in intoleranter Manier andere Denkweisen auszuschließen und andere Lebensweisen zu diskriminieren. „Religionen“ seien so sehr davon überzeugt, im Besitz der Wahrheit zu sein, „dass sie unweigerlich zur Heilslehre mutieren, die davon überzeugt ist, die Welt müsse an ihr gesunden“. Dies münde in „Mission“, das Chiffre der „Religionen“ für „penetrante Besserwisserei“. Soweit die Zitty.

Ich will jetzt gar nicht auf der theologischen Bedeutung des Heils im Christentum herumreiten bzw. darauf, dass dieser Begriff als „Lehre“, die innerweltlich durchgesetzt werden will, um erst noch gesund zu machen, seiner eigentlichen Funktion beraubt wird, nämlich die individuelle Erlösung des Christen sowie die kollektive Erlösung der Welt zu kennzeichnen (Dinge, die nicht durch „Religion“ geschehen, sondern durch Gott), immer gedacht als eine transzendente Dimension von Vollendung (eine immanente wäre ja auch keine, die der Rede – oder der „Religion“ – wert wäre), nein, das will ich gar nicht. Außerdem geht es ja nicht um das Christentum, sondern um „Religionen“. Bleiben wir also bei den Dingen, die sich im rückstandslos säkularisierten Diskurs von allen Beteiligten besprechen lassen, also Wahrheitanspruch, Toleranz und Mission.

Von einer Sache überzeugt sein und davon reden, bedeutet nicht automatisch, dem Gegenüber mit Intoleranz zu begegnen, auch dann nicht, wenn man von der absoluten (daß heißt universellen) Geltung des eigenen Standpunkts überzeigt ist. Im Gegenteil: Wer eine eigene Position hat, von der er glaubt, sie sei unabhängig von Zeit und Raum, von Kultur und Situation, kann oft besser verstehen, daß auch der andere eine Position hat, die er für wertvoll und wichtig hält. Wer hingegen bereit ist, jederzeit seine Haltung zu ändern, wird dies im Zweifel auch von anderen Menschen verlangen. Der gegen Christen im Nahen und Mittleren Osten gerichtete Vorwurf, sie seien ja immer noch Christen und gefährdeten sich damit unnötig, zeigt, wohin man gelangt, wenn man nicht versteht, was es heißt, eine Überzeugung zu haben, die bindet wie nichts anderes: eine religiöse Überzeugung.

Und diese Überzeugung will vermittelt werden, weil sie für wahr gehalten wird. Es kommt nun darauf an, wie die Überzeugung, mit der man den Anspruch erhebt, dem Anderen etwas Wahres mitzuteilen, das für diesen nützlich und hilfreich sein kann, an diesen Anderen herangetragen wird. Hier ist die Grenze der friedlichen Missionstätigkeit dort zu sehen, wo der andere das Angebot zur Prüfung bzw. Übernahme der Überzeugung ablehnt. Das ist zu tolerieren, auch, wenn es schmerzt. Im Christentum klappt das – ausgehend von den Missionsrichtlinien Jesu (Mt 10, 5-15) – ganz gut: Wahrheitsanspruch und Toleranz schließen einander nicht aus. Empirische Untersuchungen zeigen, dass es gerade katholische Intensivchristen sind, die sich ganz besonders durch Toleranz auszeichnen, gerade auch gegenüber Juden und Moslems. Mission kommt in der Zitty hingegen ausschließlich als etwas Schlechtes vor. Freilich nur, wenn religiöse Menschen für ihren Glauben werben. Werben nicht-religiöse Autoren für ihren Unglauben oder auch ganz konkret um neue Mitglieder für atheistische Organisationen, betreiben sie keine Mission, sondern Aufklärung. Klar.

Ob – wenn denn überhaupt – „Religionen“ ein Monopol darauf besitzen, „andere Denkweisen auszuschließen“ und „mit ihnen nicht vereinbare Lebensweisen zu diskriminieren“, bin ich mir nach der Lektüre des Textes nicht mehr ganz so sicher, wo es doch zum guten Zitty-Ton gehört, religiöse Menschen für dumm, faul, verlogen und zwanghaft zu halten. Ein Thomas von Aquin (Mittelalter) wäre niemals auf die Idee gekommen, den Nichtchristen Aristoteles für dumm, faul, verlogen und zwanghaft zu halten. Und wenn mich mein Eindruck nicht völlig täuscht, fällt der Vorwurf „penetranter Besserwisserei“, gerichtet an die Adresse „der“ Religionen (dann wohl auch: „der“ religiösen Menschen), insoweit ziemlich rasch auf den zurück, der ihn erhob.

5. Gewalt. Ja, Gewalt ist ein Problem, aber nicht allein der „Religionen“, sondern des Menschen. Und bei der Zuschreibung dessen, was Menschen anderen Menschen an Gewalt antun, zu den einzelnen „Religionen“ muss man schon ganz genau hingucken. Beim Christentum wird mangels konkreter Blutspuren einfach mal auf die Außenpolitik der „christlichen Weltmacht USA“ verwiesen. Ist das dein Ernst, Zitty?

6. Sicherheit / Bequemlichkeit. Religion versorgt denkfaule Menschen mit schlichter Dogmatik und einem Regelwerk, das strikt befolgt werden muss. Religiöse Menschen sind epistemische und ethische Zombies, die in Sachen Weltweisheit und Moral einen abgeschlossenen Katalog an Antworten referieren können und daher auch bei komplexeren Problemen sicher und bequem über Lösungen verfügen (die natürlich keine echten sind, sondern – siehe oben – Lügen und falsche Hoffnungen). Das sei, so Zitty, das „Geile“ am Glauben: der perfekt durchkalkulierte Selbstbetrug der Grenzdebilen, in deren Spatzenhirn sich „kuschelige Gedankensicherheit“ und „gedankliche Faulheit“ gegenseitig zu immer dunkleren Tiefen geistiger Umnachtung anspornen.

Klar, das kann es geben: ein Leben, das sich an einem bestimmten Kanon orientiert. Ohne Wenn und Aber. Das ist aber – Verzeihung, ich muss wieder eine der „Religionen“ herausfischen – sehr unchristlich. Jesus selbst zeigt uns, wie mit Dogmen und Regeln umzugehen ist: in Liebe. Der Ort, diese Liebe auf die Normativität anzuwenden (nicht nur auf die religiöse, sondern auch auf die säkulare), ist das Gewissen. Schon mal gehört, Zitty? Spätestens damit hat es sich dann aber mit der Bequemlichkeit, selbst für den Katholiken.

Doch: Warum sollte dieser nicht bei jener gewissenhaften Anwendung aus dem reichen Erfahrungsschatz des Christentums schöpfen, ohne gleich als denkfaul – na, sagen wir es ruhig – diskriminiert zu werden? Warum sollte er nicht die Tradition befragen, sie durchdringen und darin sogar Antworten finden dürfen? Das ist übrigens keineswegs leicht und in der Umsetzung auch meistens nicht gerade bequem. Da ist es schon viel einfacher, keine oder eine jederzeit veränderbare Haltung einzunehmen, wie die Zitty dies dem Atheisten zuschreibt.

Andererseits wird auch der Ungläubigste Grundüberzeugungen haben, an denen er etwa persönliche Gewissensentscheidungen orientiert und prüft. Man kann nicht alles jederzeit offen halten, ohne darüber handlungsunfähig und schließlich lebensuntüchtig zu werden. Ein bestimmtes Maß an Vetrauen, an Glauben, muss jeder Mensch haben, zumindest den Glauben daran, das Leben mit der gewählten Strategie bewältigen zu können. Es ist nicht möglich, aber auch gar nicht nötig, die eigene Überzeugung „jeden Tag, jede Minute auf den Prüfstand zu stellen“, wie Zitty dies als Charakterzug des durchschnittlichen postideologischen Atheisten einführt – im scharfen Kontrast zur ideologischen Reiz-Reaktions-Abrichtung derer, die sich von „Religionen“ fernsteuern lassen. Es ist ebenso eitel wie voreilig, die eigene intellektuelle Überlegenheit mit einer im ersten Moment beeindruckenden geistigen Flexibilität und Wachheit belegen zu wollen, die sich leider im zweiten Moment als geradezu absurd unrealistisch zu erkennen gibt (und daher an dem, was belegt werden soll, erste zarte Zweifel aufkommen lässt).

Denn das schicke Modell der immer und ewigen Selbstinfragestellung scheitert spätestens daran, dass der Ideal-Atheist nach Zitty-Manier, der sich vom Zwang der „Religionen“ befreit und in diesem heroischen Akt die „Gebetsmühlen“ endgültig „zum Verstummen gebracht“ hat, zwar geneigt sein mag, alles jederzeit in Frage zu stellen – nicht aber an seiner Entscheidung dafür zu rütteln, also daran, Atheist zu sein. Um diese Entscheidung, die auch für die kritischen Generalhinterfrager nicht verhandelbar ist, öffentlich zu manifestieren, schlägt die Zitty den Atheisten Berlins vor, doch Mitglied in einer atheistischen Organisation zu werden – so ganz zwanglos, versteht sich. Zusammen lässt sich die eigene Überzeugung vielleicht besser „jeden Tag, jede Minute auf den Prüfstand stellen“. Solange zum Prüfumfang nicht die Mitgliedschaft selbst zählt.

(Josef Bordat)

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