Definitionsmacht ist Deutungshoheit

3. Juni 2015


Und umgekehrt.

Die Ministerpräsidentin des Saarlands, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), hat mit Blick auf die Debatte über die Gleichstellung der Eingetragenen Partnerschaft und der Ehe vor einem Dammbruch gewarnt. Die Ehe sei in Deutschland als Verbindung von Mann und Frau definiert.

Und das sei gut so, denn: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“ Das wiederum sei eine Beleidigung Homosexueller, findet etwa FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Und zudem völlig abwegig, wie SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi meint.

Doch ist das wirklich so abwegig? Ist es tatsächlich völlig ausgeschlossen, dass mit den Ende der Ehe als Verbindung von Mann und Frau nicht zumindest auch der Gedanke an die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung weiterer Formen des Zusammenlebens entstehen könnte?

„Könnte“? „Gedanke“? Das ist längst politisches Programm der Piratenpartei, die immerhin in der deutschen Hauptstadt und im größten Bundesland NRW einen Teil der Legislative stellt. Es sei Zeit, die rechtliche Basis für eine Ehe von mehr als zwei Partnern zu verbessern, so die Piraten seit 2010.

Gut, die Piraten. Schnee von gestern. Aber sonst ist man sich doch einig, dass eine Änderung des Ehebegriffs nicht dazu führen darf, dass dann womöglich eine Verbindung „von mehr als zwei Menschen“ ebenfalls darunter fiele, oder? Nicht ganz. Julia Seeliger (Bündnis 90 / Die Grünen) schlägt eine verbesserte Gleichstellung polygamer (neudeutsch: „polyamorer“ oder „polyamoröser“) Lebensformen vor, Motto: „Meine WG ist meine Familie!“. Und jene solle künftig ebenso gefördert werden, etwa steuerlich, wie diese.

Und sonst, in der Gesellschaft? Medial? Im äußerst umfangreichen Wikipedia-Artikel „Polyamory“ (mit über 100.000 Zeichen mehr als doppelt so lang wie der Eintrag zu „Christentum“) wird diese Lebensform zunächst in den höchsten Tönen gelobt, um schließlich nur ein einziges wirklich ernsthaftes Hindernis auf dem Weg zur befreiten Gesellschaft zu nennen: „Religion“. Und die ist schließlich Privatsache.

Ist es also immer noch völlig abwegig, nicht ausschließen zu wollen, dass eine Öffnung des Ehebegriffs für gleichgeschlechtliche Verbindungen nicht irgendwann auch die Forderung nach einer Öffnung des Ehebegriffs für Verbindungen „von mehr als zwei Menschen“ motivieren könnte? Wie meint doch ein Tagesschau-Kommentator sinngemäß: Kritik an Kramp-Karrenbauer sei im Grunde ein Schlag ins Gesicht derer, die auch schon lange ihrer Gleichstellung harren und nun wieder leer auszugehen drohen: die Polygamen. Pardon: die Polyamoren. Oder: -amorösen. Da müsste man sich noch einigen.

(Josef Bordat)

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