Religiöser Fanatismus. Sprachspiel der Hilflosigkeit

24. August 2015


Es wird in der Flüchtlingsthematik – neben vielen anderen Dingen – auch wieder über die Wirkung von Sprache gesprochen. Die richtigen Worte müssen gefunden werden, Begriffe stehen auf dem Prüfstand, die Kanzlerin solle sich äußern. In der Tat: Worte sind Waffen zur Ausübung symbolischer Gewalt. Zugleich können Worte Wunden heilen.

Dabei haben wir uns längst an einen Stil gewöhnt, der weniger an der Wirkung auf Andere, sondern viel mehr an der Wirkung auf das eigene Prestige interessiert ist. Wer heute in der totalen Reizüberflutung überhaupt noch ein wenig Aufmerksamkeit auf sich lenken möchte, darf sich nicht differenziert äußert, muss stattdessen zuspitzen, Kraftausdrücke inklusive.

Die Gewöhnung verdeckt einiges. Auch ich frage mich: Soll mich das noch ärgern oder ist das heute einfach nur allzu normal? Zum Beispiel, dass man im Berliner Tagesspiegel orthodoxe Juden, die nach der Realisierung einer alttestamentlichen Verheißung mit Hilfe der modernen Wissenschaft streben, „religiöse Fanatiker“ nennt?

Die Sache selbst ist nicht so interessant (es geht – flapsig ausgedrückt – um die Züchtung einer „perfekten Kuh“, deren Asche nach Numeri 19 zur Vorbereitung eines bestimmten Reinigungswassers verwendet wird), interessant ist der Reflex säkularistischer Publizistik: Kenn ich nicht, versteh ich nicht, ist dann wohl „religiöser Fanatismus“.

Diese Diktion ist – so glaube ich – nicht einmal böswillig. Sie ist in erster Linie Ausdruck von Hilflosikeit. Religion wird ohnehin heute nur noch als Problem behandelt. Etwas, das Gewalt verursacht, etwas, das den Fortschritt hemmt – den moralischen, politischen, sozialen, medizinischen und wo immer sonst man Fortschritt erwartet.

Wie dem auch sei: „Religiöser Fanatismus“ ist ein Sprachspiel mit dem Feuer.

(Josef Bordat)

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