Die Kirche. Ein Schreckensbild

13. April 2016


Wer immer schon mal wissen wollte, wie sehr ein klar profiliertes Erkenntnisinteresse den Zugang zur Wahrheit hemmen kann (man könnte auch sagen: wie sehr Hass verblendet), der lese dieses Interview. Darin kommt der Autor Carsten Frerk zu Wort. Er zeichnet ein Schreckensbild von der Kirche, nach dessen Ansicht sich eigentlich nur noch eine Frage stellt: Warum verbietet die keiner?

Um das zu erreichen, bedarf es gewisser Maßnahmen. So führt Frerk die abwegigsten Dinge zusammen, kontextualisiert sie auch ohne sachliche Basis zielsicher, deutet stets tendentiös unter der für die Kirche jeweils ungünstigsten Annahme, schreckt vor Halbwahrheiten oder Falschaussagen nicht zurück und garniert das Ganze sprachlich mit einem großzügigen Schuss Polemik. Am Ende kann er trotz der Vorarbeit nur noch darauf hoffen, dass der Leser die richtigen Schlüsse zieht, doch bei der Oberflächlichkeit des Durchschnittsbürgers in Fragen von Religion und Kirche und so stehen die Chancen nicht schlecht. Eine kurze Inhaltsanalyse des Kommentarbereichs zeigt denn auch: Wer lügt, ist klar im Vorteil.

Zunächst geht es Frerk darum, den rechtlichen Status der Kirche zu attackieren. Das kann man tun, nur sollte man diesen zunächst richtig darlegen. Zu behaupten, der Status der Kirche sei „nicht eindeutig geklärt“, weil die Kirche für sich „Göttlichkeit“ in Anspruch nimmt, ist in Sachen „richtig darlegen“ schon mal ein denkbar ungeeigneter Start. Man merkt: Es geht darum, „der Kirche“ ihre verfassungsmäßigen Rechte streitig zu machen.

Und wie das mit verfassungsmäßigen Rechten so ist: Das ist nicht so einfach. Da muss man schon mal Dinge unterstellen, die nicht so ganz der Wahrheit entgegenkommen. Oder man behauptet einfach, dass es diese Rechte ausschließlich aufgrund der Deutungshoheit des Betroffenen gibt: „Nur haben es die Kirchen geschickt verstanden, dieses Selbstverwalten in ein Selbstbestimmungsrecht zu überführen.“ Aha. Da hat die Kirche sich also wieder mal was erschlichen. Also kann von „Selbstbestimmungsrecht“ keine Rede sein. Meint nun der juristisch nur basal gebildete Leser. Schon mal ganz gut. Für den Anfang.

Leider stolpert Frerk dann jedoch schon bei der Beantwortung der Folgefrage über seine private Rechtsauffassung: „Das Selbstbestimmungsrecht ist sogar vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet.“ Hm. Also doch? Nein, nein, keine Angst! Wer zunächst sagt: „Nur haben es die Kirchen geschickt verstanden, dieses Selbstverwalten in ein Selbstbestimmungsrecht zu überführen.“ und ein paar Zeilen später zugeben muss: „Das Selbstbestimmungsrecht ist sogar vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet.“, der kann ja immer noch meinen, auf das Bundesverfassungsgericht komme es in Fragen des Verfassungsrechts gar nicht an. Ernsthaft? Ernsthaft! Nun ja, hilfsweise kann man auch annehmen, Frerk meine, die Macht der Kirche sei so groß, dass sie sogar die Verfassungshüter in der Tasche hat. Unverschämt, diese Kirche! Oder wie darf man sonst den Hinweis verstehen, es trügen „sieben Verfassungsrichter die höchsten päpstlichen Orden“?

Also, das Bundesverfassungsgericht geschmiert, „die Politik“ ohnehin – da gibt es dann nichts mehr, das die Kirche aufhalten kann. Frerks Gesamturteil: „Genaugenommen sind das Mafiastrukturen.“ Und diese ermöglichen der Kirche ein Dasein jenseits von Recht und Gesetz. So die Vorhaltung, basierend auf dem Begriff „Selbstbestimmungsrecht“, das natürlich anders gemeint ist als „das Recht selbst zu bestimmen“ – es meint vielmehr: „das Recht, selbst zu bestimmen“. Doch das ist nur ein Komma. Wen interessiert’s! Frerk scheinbar nicht. In der Tat meint „Selbstbestimmungsrecht“ also eine Bestimmung eigener Angelegenheiten im Rahmen der Rechtsordnung – zu der wiederum das an prominenter Stelle, nämlich in der Verfassung, verbriefte Recht zur Selbstbestimmung der Kirchen ja auch gehört. Das meint Selbstbestimmung. Und nicht etwa, dass man tun dürfe, was man wolle.

Genau das suggeriert Frerk aber, wenn er der Kirche vorhält, sie habe im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen ihr Selbstbestimmungsrecht gezielt genutzt, um Priester vor Strafverfolgung durch den Staat zu schützen: „So hat die katholische Kirche den massenhaften sexuellen Missbrauch durch geweihte Priester als ‚eigene Angelegenheit‘ definiert und die Missbrauchsfälle nicht an die Staatsanwaltschaft, sondern nach Rom gemeldet.“ – Das wiederum hat weniger mit „Selbstbestimmungsrecht“ zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass es für Missbrauchsfälle grundsätzlich keine Melde- bzw. Anzeigepflicht gibt. Niemand ist verpflichtet, sexuellen Missbrauch anzuzeigen. Niemand, also kein Bürger, kein Sportverein und keine Kirche. Ob das richtig ist, kann man fragen (das entscheidende Argument ist dabei übrigens der Opferschutz). Nur hat eine unterlassene Anzeige eben nichts mit irgendeinem „Selbstbestimmungsrecht“ zu tun. Entscheidend ist: Das Selbstbestimmungsrecht wird durch diese unzulässige Kontextualisierung gleich mal wieder in Misskredit gebracht. Mission erfüllt.

Doch es wird Zeit, über die Leser – die Menschen – selbst einen Keil zwischen Kirche und Staat zu treiben: „Der Staat hat mit allen Menschen zu tun, die Kirche mit den gläubigen Christen.“ Genau. Deswegen haben Moslems, Juden, Atheisten, Hindus und Veganer auch in kirchlichen Einrichtungen Hausverbot. Deswegen muss jeder, der in die Suppenküche kommt, das Credo aufsagen. Griechisch, lateinisch und deutsch. Und wer mit der deutschen Fassung Probleme hat, kriegt halt nichts zu essen. Deswegen denkt die Kirche auch gar nicht daran, Flüchtlingen zu helfen, die nicht getauft sind. Genau deswegen: „Der Staat hat mit allen Menschen zu tun, die Kirche mit den gläubigen Christen.“

Streicht man die Polemik in Frerks Ausführungen, bleiben neben den sattsam bekannten Exponaten einer eigentümlichen Sicht auf Kirche und Staat (welche die Frankfurter Rundschau aber so präsentiert, als passe zwischen Herrn Frerks privater Rechtsauffassung und der herrschenden Meinung deutscher Juristen kein Blatt Papier), vor allem krude Vergleiche übrig: „Rechnet man ihre [der „Kirche“, J.B.] gesamten Umsätze zusammen, kommt man auf 129 Milliarden Euro, die deutsche Autoindustrie setzt im Inland zwei Milliarden weniger um.“ Im Inland. Das ist natürlich Weltklasse, da die „deutsche Autoindustrie“ vor allem eines ist: exportorientiert. Vom Gesamtumsatz (2015: 405 Milliarden Euro) werden zwei Drittel im Ausland verdient. Der Inlandsumsatz der deutschen Autoindustrie betrug 2015 übrigens 141 Milliarden Euro – und damit nicht „zwei Milliarden weniger“ als die (angegeben) 129 Milliarden Euro „Kirchenumsatz“ (wie auch immer dieser sich zusammensetzt), sondern zwölf Milliarden mehr. Aber das nur am Rande. Entscheidend ist die Absicht, hier eine Vergleichbarkeit herzustellen, die enorm Eindruck schindet, so dass man als gemeiner Leser gerne übersieht, von welch absurden Bedingungen sie abhängt. Im Inland. Dass ich nicht lache. Das ist etwa also so, als sagte ich: „Kardinal Meisner schießt seit Jahren am Ersten Weihnachtstag genausoviele Tore wie Messi, Lewandowski und Cristiano Ronaldo zusammen.“ Stimmt’s? Oder hab ich Recht?

Wenn jemand, der mit solchen Taschenspielertricks arbeitet und zudem unrichtig behauptet, die Kirchen finanzierten „selbst nur weniger als zwei Prozent der Kosten von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas“ (von den ach-so-intransparenten Bistümern und der Caritas selbst erhält man Werte zwischen acht und zehn Prozent), dem ideologischen Gegner nun ausgerechnet „Lobbypropaganda“ vorwirft, sollte man das vielleicht doch richtig einzuordnen wissen. Zumindest sind leise Zweifel angebracht, ob das politische Erdulden der mafiösen Strukturen, in deren schützendem Gestrüpp die Kirche den Staat langsam aber sicher finanziell ausbluten lässt, tatsächlich nur auf die Kumpanei zwischen kirchlichen und staatlichen Eliten zurückgeht (etwa darauf, dass die „Leiter der kirchlichen Büros […] den Abgeordneten die Beichte abnehmen“ und sich dies „auf politische Rücksichtnahme in Entscheidungsprozessen auswirkt“) oder ob es auch sachliche Gründe gibt, die den Staat mit Wohlwollen auf die Kirche blicken lassen.

Ach, was: Sachlichkeit, Wohlwollen – es geht hier immerhin um die Kirche! Na, dann.

(Josef Bordat)

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