Wie schnell würden die Tagesschau-Kommentatoren im Fall der in Dubai vergewaltigten Norwegerin, die nach der islamischen Rechtslehre (Scharia) zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, auf das Christentum zu sprechen kommen? Nun, zunächst wird die Scharia als „religiös geprägte Rechtsprechung“ aufgeneralisiert (Kommentar 1), um dann das Christentum ins Spiel zu bringen (Kommentar 6). Ein schon relativ hoher Generalisierungsindex, doch offenbar geht den üblichen Verdächtigen dann etwas der Atem aus.

Wie dem auch sei: Der Fall regt mich auf. Er hat mich heute morgen gehörig wachgerüttelt. Die offenkundige Ungerechtigkeit lässt den Blutdruck steigen. Ich erwarte von der internationalen Staatengemeinschaft ein klares Wort zu diesem unerträglichen Sachverhalt und zudem auch mal die eine oder andere Sanktion.

Von Vertretern des Islam erwarte ich eine deutliche Distanzierung, etwa dahingehend, dass hier eine Norm zur Anwendung kommt, deren Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt ist: Eine Vergewaltigung ist ein brutaler Gewaltakt und hat mit „außerehelichem Geschlechtsverkehr“ nur an der obersten Oberfläche etwas zu tun. Es kann nicht sein, dass das islamische Rechtsverständnis Intentionalität völlig ausblendet und daher eine Vergewaltigung unter „Sex“ und nicht unter „Gewalt“ subsumiert. Wenn dem so wäre, wäre das islamische Recht ethisch unterbestimmt und liefe ständig Gefahr, zu unmoralischen Ergebnissen zu kommen, denn keine systematisch begründete normative Ethik, aus der Rechtsregeln hervorgehen, kommt am Begriff der Handlungsabsicht vorbei. Das ist ja gerade der Witz an jedem nur denkbaren Konzept von Moral: dass unterstellt wird, der Handelnde habe sich bei der Handlung etwas gedacht, habe so handeln wollen und hätte tatsächlich auch anders handeln können. Zu fragen „Was haben Sie sich denn dabei gedacht, sich vergewaltigen zu lassen?!“ ist einfach widersinnig. Wenn Absicht und Wille, Ziel und Zweck der Handlung bei deren Beurteilung nicht zumindest mitbetrachtet werden, liegt gar kein Recht im eigentlichen Sinne des Begriffs vor.

Ich bin weit davon entfernt, Koranexperte zu sein, aber so weit weg von naturrechtlichen Grundannahmen jeder Ethik und jeden Rechts kann die islamische Rechtslehre nicht stehen. Es müsste in den letzten 1500 Jahren irgendjemandem aufgefallen sein, dass die Scharia ohne Berücksichtigung der Intentionalität zwar eine Lehre, aber keine Rechtslehre wäre. Auch die generelle Abwertung der Frau, die hier zu Tage tritt, erscheinen mir unislamisch, d. h. weder vom Koran noch von den Hadith gedeckt; erste Nachforschungen scheinen meine Haltung zu bestätigen.

Wie dem auch sei: So, wie es jetzt ist, kann es nicht sein. Nicht aus Sicht der elementaren Menschenrechte und nicht aus Sicht einer aufrichtigen Auslegung maßgeblicher islamischer Schriften.

(Josef Bordat)