Kritisieren heißt bekanntlich unterscheiden. Wer kritisiert, muss also differenzieren: Was ist gut und richtig, was ist fragwürdig, was falsch? Das gilt auch für Kritik am 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Vor allen zwei Dinge sind es, die derzeit in den Sozialen Medien breitgetreten werden: Die Verharmlosung der Christenverfolgung durch Bischof Markus Dröge und die Äußerung Margot Käßmanns zur AfD-„Abstammungslehre“.

Frau Käßmann, so heißt es, habe alle Deutschen implizit als „Nazis“ bezeichnet, so sie deutsche Eltern und Großeltern haben. Ich verstehe Frau Käßmann anders: Nicht, wer zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern hat, sei Nazi, sondern, wer – im Rekurs auf die Rassenlehre der Nazis – zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern fordert, bevor er bereit ist, dem Menschen die volle Würde und alle Rechte zuzugestehen, sei ein Nazi. Man kann jetzt darüber streiten, ob das auf die AfD-Programmatik zutrifft, aber die inkriminierte Bemerkung („da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht“) sollte man schon in diesem Kontext sehen. Und dann bekommt sie einen ganz anderen Sinn: vor einem Rückfall in ethnozentrisches Denken zu warnen. Ergo: Punkt für Frau Käßmann.

Bischof Dröge, so heißt es weiter, habe die Christenverfolgung verharmlost, indem er dazu aufrief, sie nicht zu dramatisieren. Etwas nicht dramatisieren zu wollen, bedeutet zunächst noch nicht, es zur Verharmlosung frei zu geben. Dennoch ist die Äußerung Dröges mehr als fragwürdig. Ist es angesichts der dramatischen Nachrichten aus Ägypten, die uns just während des Kirchentags erreichten, angebracht, vor einer Dramatisierung des Themas Christenverfolgung zu warnen? Gibt es dafür überhaupt einen Anlass? Wird also das Thema ständig „dramatisiert“? Sicher dann, wenn jede Kritik an Kirche und Glauben unter „Christenverfolgung“ subsumiert wird. Doch angesichts der Tatsache, dass jeder zehnte Christ seinen Glauben nicht so frei leben kann wie etwa Bischof Dröge, ist die Einlassung mehr als unglücklich. Ergo: Punkt für die Kritiker.

(Josef Bordat)