Fraternisierung

1. Oktober 2015


Heute vor 70 Jahren hob die Militärverwaltung der US-Besatzungstruppen in Deutschland das so genannte Fraternisierungsverbot für US-Soldaten auf. Ab dem 1. Oktober 1945 durften US-Soldaten Beziehungen zu deutschen Frauen aufnehmen. Es ist wohl unrealistisch anzunehmen, dass die Soldaten auf ein offizielles Ende des Fraternisierungsverbot gewartet haben, ehe sie in Beziehung zum weiblichen Teil der Bevölkerung des gerade eroberten Landes traten. Näher an der historischen Wahrheit dürfte mithin die Einschätzung liegen, dass mit dem Beschluss der Militärverwaltung die herrschenden Verhältnisse nachträglich legalisiert wurden. Die Macht des Faktischen hatte sich durchgesetzt, keine fünf Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen.

Vor einer Romantisierung dieses Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte sei jedoch so oder so gewarnt. Denn: Viele der Beziehungen waren nicht unbedingt freiwilliger Art. Auch, wenn es keine systematischen Vergewaltigungen gab (wie durch Rotarmisten im Osten Deutschlands), ist sexuelle Gewalt auch im Westen an der Tagesordnung gewesen. Die Autorin Miriam Gebhardt (Als die Soldaten kamen, 2015) ermittelte, dass fast ein Viertel der 860.000 sexuell motivierten Verbrechen im Nachkriegsdeutschland von US-Soldaten begangen wurden. Auch, wenn ihre Zahlen umstritten sind, zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass zumindest das Klischee des US-amerikanischen Gentleman in Uniform mit der rauhen Wirklichkeit nichts zu tun hat.

(Josef Bordat)