Der kleine Unterschied

15. September 2011


Nochmal zum Thema „Kirche und Politik“

Die äußert schwach begründete, aber doch mit erstaunlich hoher Halbwertszeit ausgestattete Rede von der angeblich „menschenfeindlichen Geschlechter- und Sexualpolitik“ (Hervorhebung von mir) der Kirche basiert zum einen auf Missverständnissen und sinnentstellenden Verkürzungen kirchlicher Lehraussagen. Das ist der so sattsam bekannte wie leidige inhaltliche Fehler. Zum anderen steckt in ihr ein Kategorienfehler im Hinblick auf das Wesen der Kirche. Ich sprach gestern schon davon, möchte es aber noch mal klar stellen, weil mir das wichtig erscheint für den Umgang mit Kritik.

Diese Vorhaltung ist nämlich schon deshalb falsch, weil die Kirche keine „Politik“ macht. Sie hat ein Menschenbild und zieht daraus ethische Konsequenzen, die zu einer Morallehre werden, die für jeden, der Kirchenmitglied ist, verbindlich ist. Das ist etwas ganz anderes als eine Politik, die gemacht wird, um für ein ganzes Staatsvolk, vielmehr ein ganzes Staatsgebiet, die Regeln zu erlassen. Wenn in Deutschland die Mehrwertsteuer auf x% festgelegt wird, dann zahlen wir die alle, auch die Nicht-Deutschen. Und auch die, die keine Lust dazu haben. Bei abweichendem Verhalten drohen Zwangsmaßnahmen. Das ist Politik.

Die Kirche aber hat eine Morallehre, die nicht in die polis durchgreift (und das auch gar nicht beabsichtigt), sondern nur für diejenigen gültig ist, die Mitglied der Kirche sind. Von daher ist der Begriff „Politik“ im Kontext der Kirche falsch und zudem irreführend, weil er gesellschaftliche Machtansprüche der Kirche unterstellt, die nicht da sind. Dass die Kirche ihre Lehre für wahr hält, dürfte dagegen nicht verwundern, denn wenn man etwas glaubt, sollte man es zumindest für wahr halten und nicht für falsch, auch wenn religiöser Glaube diese epistemische Ebene verlässt und im Kern auf „Vertrauen“ hinausgeht, wie sich sehr schön anhand der Etymologie des Begriffs zeigen lässt.

Dass die Kirche ihre Wahrheit nach außen auch entsprechend als Wahrheit vertritt, sollte daher auch nicht verwundern. Aber die Kirche zwingt Niemanden, sind an ihre Lehre zu halten, noch nicht einmal die eigenen Mitglieder. Und das nicht etwa, weil sie nicht kann, sondern weil ihr das Gewissen des Einzelnen etwas wert ist, das Gewissen, das letztlich allein die Kraft besitzt, nach Bildung durch die Lehre und unter ernster Berücksichtigung der Gegebenheiten in unhintergehbaren Weise zu einer Entscheidung zu nötigen. Trotz der Tatsache, dass das Gewissen Verfassungsrang hat (Art. 4 GG) nimmt sich ein Gewissensvorbehalt gegen politische Maßnahmen dagegen weit schwerer aus. Den Politiker möchte ich sehen, der sagt, wir sollten beschließen, dass x% Steuern zu zahlen sind, es aber letztlich jeder selbst entscheiden und mit seinem Gewissen ausmachen müsse, ob er die Steuer tatsächlich zahlt.

Das ist der Unterschied zwischen Kirche und Politik – ganz kurz gefasst.

(Josef Bordat)

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