Christentum in China. Kommentare im Netz

28. November 2012


Wären die alten Römer damals konsequenter gewesen, hätten wir heute das Christenproblem überhaupt nicht. Und die Welt hätte sich friedlicher entwickelt, das ist mal klar.“

Eine Religion, die mehr als genügend Menschen keineswegs zu respektvollen, ihre Nächsten liebenden Individuen formt (auch heute noch begehen Christen grausame Verbrechen, führen Kriege usw.) derart zu romantisieren zeugt weder von tieferem Verständnis politischer oder religiöser Hintergründe noch von Reflexionsvermögen!“

Die Religionen semitischen Ursprungs sind – wie fast alle anderen Religionen auch – potenziell gefährlich und gehören nun einmal klein gehalten wenn einer Führung das Wohl der Mehrheit und geistig Klaren am Herzen liegt.“

Wer jetzt meint, ich hätte besonders lange suchen müssen, um diese drei Kommentare zu finden, unter einem an sich recht interessanten und aufschlussreichen Spiegel OnlineBericht über die sich nach Meinung vieler Beobachter schrittweise bessernde, jedoch nach wie vor nicht unproblematische Lage der Christen in China (vgl. dazu die Einschätzung von Open Doors; das Hilfswerk führt China im Weltverfolgungsindex 2012 immerhin auf Platz 21), ja, wer meint, diese drei Kommentare seien besonders sorgfältig ausgesucht aus den über 100 Stellungnahmen von Spiegel Online-Lesern zum Thema „Christentum in China“, den muss ich leider enttäuschen. Der Rest der Christentumskenner und China-Experten schreibt in der Regel noch dürftiger, formal und inhaltlich. Die Auswahl erfolgte vielmehr anhand des Minimalkriteriums „Lesbarkeit des Textes“, und eines muss man den drei Statements ja lassen: Grammatikalisch sind sie einigermaßen korrekt.

Dennoch drängen sich Fragen auf. Wie kann es sein, dass erwachsene[?] Menschen sich zu solchen Äußerungen durchringen? Was ist da schief gelaufen, dass man für Menschen, die wegen ihres Glaubens vielleicht nicht mehr systematisch verfolgt, aber doch unterdrückt und gelegentlich schikaniert werden, nichts als Häme übrig hat, sobald es sich bei dem Glauben um den Glauben an Jesus Christus handelt? Und: Warum lässt es die für den Kommentarbereich zuständige Spiegel Online-Redaktion zu, dass – nach meinem Empfinden – die Grenzen der Meinungsfreiheit in mehreren Fällen deutlich überschritten werden?

Wer der verpassten historischen Chance auf Endlösung des „Christenproblems“ nachtrauert (gemeint ist nicht, dass ein Problem für Christen besteht, sondern dass die Existenz von Christen selbst ein Problem darstellt) und / oder wer mehr oder weniger unverhohlen Verständnis dafür zeigt, dass ein nicht unbedingt demokratisches Regime wie das in Peking dafür sorgt, dass „Religionen semitischen Ursprungs“ (auf eine solche Formulierung kommt man ja auch nicht, ohne sich Hintergedanken gemacht zu haben) durch geeignete Maßnahmen „klein gehalten“ werden, zum „Wohl der Mehrheit“ und der „geistig Klaren“ und / oder wer eben solche Maßnahmen damit rechtfertigt, dass „Christen“ schließlich „grausame Verbrechen begehen“, und das immerhin „auch heute noch“ (kann man ja einfach mal so behaupten; die innere Logik der Rechtfertigung bliebe übrigens erhalten, ersetzte man „Christen“ durch „Brillenträgerinnen“ oder „Männer“, was man sich jetzt nur merken muss, sollten mal irgendwo auf der Welt Brillenträgerinnen oder Männer unterdrückt werden und man das dann irgendwie gut findet), wer so oder so ähnlich spricht oder schreibt, hat meiner Meinung nach sein Recht auf Meinungsfreiheit verwirkt.

Qui tacet consentire non videtur. Seien wir konsequenter als die alten Römer: Schweigen wir nicht, sondern schreiben wir. Zum Beispiel an den Chefredakteur von Spiegel Online. Er hat ein Recht darauf zu erfahren, was man im Kommentarbereich von Spiegel Online schreiben kann, ohne dass es die Spiegel Online-Redaktion stört.

(Josef Bordat)

Kommentare sind geschlossen.